Ausgabe 11/2011: Fluch oder Segen?

Fluch oder Segen? Rückrufaktionen E Viele Händler und Servicebetriebe sehen Rückrufaktionen nicht nur negativ, sondern auch als Kundenkontakt-Chance. von Bernd dohrmanndas Autojahr 2010 brachte dem deutschen Markt neben einer „Normalisierung“ des Neuwagen-Geschäfts nach dem Prämienjahr 2009 auch einen neuen Rekord, denn mit 185 Rückrufaktionen – davon 114 wegen besonderer Gefährlichkeit als „überwachte“ Aktion – wurde die höchste Anzahl dieser Aktionen seit Beginn der KBA-Aufzeichnung 1998 erreicht (siehe Grafik 1). Knapp 1,2 Millionen Halteranschriften wurden für diese Rückrufe vom KBA übermittelt, im Vorjahr waren es gerade einmal 617.000 (siehe Grafik 2). In den meisten Fällen bezogen sich die Rückrufe auf Mängel der Bremsanlagen.Auch wenn Toyota seit 2009 mit einer weltweiten Pannenserie ca. 16 Millionen Fahrzeuge in die Werkstätten rufen musste, war diese Marke kein Einzelfall. In der nach Marken gegliederten Rückrufstatistik in den USA zeigt sich, dass bei Toyota 2010 die Zahl der betroffenen Fahrzeuge knapp viermal so hoch (380 %) wie die Anzahl der Toyota-Neuzulassungen war, Suzuki kam sogar auf eine Quote von fast 600 Prozent. USA-weit lag die Rückruf-Quote markenübergreifend bei 157 Prozent. Die deutschen Marken blieben trotz leichtem Anstieg deutlich unter der 100-Prozent-Marke. Prof. Dr. Stefan Bratzel vom Center of Automotive an der Fachhochschule der Wirtschaft FHDW Bergisch Gladbach führt die steigenden Rückrufe auf die zunehmende technische Komplexität der Autos und wachsenden Kostendruck zurück, der zu immer mehr gleichen Bauteilen in verschiedenen Fahrzeugen führt. Von einem Mangel des Bauteils sind dann immer mehr Modelle betroffen.Deutschland: Rückrufe 2004 bis 2009Das KBA veröffentlicht bei seiner Rückruf-Übersicht normalerweise keine Markennamen, musste aber auf Anweisung des Bundesverkehrsministeriums nach einer Kleinen Anfrage eine Markenliste zu den Rückrufen im Zeitraum vom August 2004 bis zum Juli 2009 herausgeben. Dabei lag Renault mit 50 Rückrufen vor Fiat (34) und Opel (28). Bei der Anzahl der betroffenen Fahrzeuge lag Opel (366.678 Autos) vor Audi (347.206) und Renault (331.914). VW rangierte mit 242.074 betroffenen Fahrzeugen (15 Rückrufe) auf Rang fünf vor Mercedes-Benz (193.159 Fahrzeuge bzw. 13 Rückrufe) und Ford (185.012 bzw. 22 Aktionen). Beste deutsche Marke war BMW mit nur 15.327 Fahrzeugen in fünf Aktionen.Rückrufe als ChanceDass Rückruf-Aktionen nicht per se einen bitteren Beigeschmack haben müssen, zeigt sich in den Reaktionen und Einschätzungen auf dem deutschen Markt. Viele Marken-Werkstätten sehen zunehmend auch Chancen in diesen vom KBA angeordneten „Zwangsbesuch“ der Kunden. Wie z. B. Händlerverbandssprecher betonen, ergeben sich so gute Möglichkeiten, auch im Lauf der Zeit verlorene Kunden zurückzugewinnen und vor allem Verantwortungsbewusstsein von Marke und Autohaus gegenüber den Kunden zu demonstrieren. Als kostenlose „Aufbesserung“, „Modellpflege“ oder „Qualitätsverbesserung“ bezeichnet, können diese Aktionen sogar das Image von Marke und Autohaus beim Kunden fördern. 7Lesen Sie hier...... warum Rückrufaktionen nicht a priori schlecht für die betroffenen Markenhändler sein müssen und wie man Rückrufaktionen auch positiv „verkaufen“ kann. „Kratzer am Image“Ulrich Köster, Pressesprecher ZDK< Eine hohe Zahl von Rückrufen ist grundsätzlich zu bedauern, denn auch die Kfz-Betriebe werden in Mitleidenschaft gezogen, wenn bei Häufung solcher Aktionen negative Schlagzeilen am Image einer Marke kratzen. Auf der anderen Seite geben Rückrufe den Kfz-Betrieben aber die Chance, gegenüber den Kunden Kompetenz und Verlässlichkeit zu demonstrieren und damit ein Stück Vertrauen für die betroffene Marke zurückzugewinnen. >„Streben nach qualität“Ulrich Selzer, Geschäftsführer Toyota Deutschland GmbH< Generell sind Rückrufe Teil unseres Strebens nach Qualität und Kundenzufriedenheit. Sobald wir ein Problem erkennen, lösen wir es im Sinne unseres Kunden. Ein Rückruf ist für uns also immer auch eine Chance, unsere Produkte weiter zu verbessern. Und diese Verbesserungen sind natürlich positive Faktoren, wenn wir über das Thema Kundenzufriedenheit reden. In der Regel sind die Kunden verständnisvoll und zum Teil auch angenehm überrascht. Besonders wenn es sich um ältere Fahrzeuge außerhalb der Garantiezeiten handelt, nehmen unsere Kunden Rückrufe eher positiv auf. Der normale Ablauf bei einem Rückruf ist tatsächlich so, dass zuerst alle technischen und logistischen Fragen geklärt werden. Also: Welches Problem liegt genau vor, was ist die Lösung, wann haben wir ausreichend Teile. Danach wird der Handel im Detail informiert und dann der Kunde über das KBA angeschrieben. Gerade im letzten Jahr haben sich unsere Kommunikationsprozesse als sehr belastbar herausgestellt – unsere Handelsorganisation war zu jedem Zeitpunkt bestmöglich informiert. >„Es kommt drauf an, was man draus macht“< Bei Rückruf-Aktionen kommt es immer darauf an, wie man sie verkauft. Vor allem die deutschen Hersteller sind mit Umschreibungen wie ,Aufbesserung‘, ,Nachbesserung‘ oder ,kostenlose Modellpflege-Maßnahme‘ deutlich geschickter als manche Importeure. Für Toyota sehe ich keinen Image-Schaden durch die letzten Rückrufe, denn die Marke ist ja eindeutig und offiziell rehabilitiert, da es sich nicht um Fahrzeugmängel, sondern um Fehlbedienungen durch den Fahrer handelte und die folgenden Aktionen unbedeutend waren. Auf die Toyota-Partner in Deutschland und das Image der Marke hat es daher keine Auswirkungen. Ich bin sicher, dass Toyota wieder zulegt, denn bei der Qualität sind wir wieder auf Top-Niveau. >„Kunde fühlt sich gut betreut“Jürgen Schumacher, Präsident Renault-Händlerverband: < Bis vor einigen Jahren war Renault von Rückruf-Aktionen weitaus stärker betroffen als heute. Inzwischen hat sich die Situation deutlich verändert. Wenn die Zahl dieser Aktionen so wie heute sehr dosiert bleibt, ist das für uns kein Problem. Es hängt viel von der Kreativität des Renault-Partners ab. Wir bezeichnen Rückrufe gegenüber den Kunden als Qualitätsverbesserung, die wir über unseren Hersteller durchführen. Auch Renault selbst gibt uns Tipps dazu. Der Vorteil für uns: Der Kunde bekommt neue Teile in sein Auto eingebaut und fühlt sich gut aufgehoben und betreut, für uns bringen die Aktionen zusätzlichen Umsatz. Auf Initiative unseres Verbands hat die Renault Deutschland AG die Unterstützung für die Händler und Werkstätten in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Wir haben über die Datenbank sofort die Informationen, welche Fahrzeuge betroffen sind und welche Arbeiten ausgeführt werden müssen. >„Keine generelle aussage“Antje Woltermann, GF Verband der Hyundai-Vertragspartner: „Beitrag zur Qualitätssicherung“Johann Gesthuysen, Haupt-GF Ford-Partner Verband: „kostenlose serviceaktionen“Christof Birringer, Leiter Produkt- und Markenkommunikation Opel: < Die einfache Aufsummierung rückgerufener Fahrzeuge sollte nicht zu falschen Schlüssen verleiten, denn die bloße Anzahl hat keinen Aussagewert zum Thema Qualität. Wir nutzen kostenlose Serviceaktionen – die in die Rückrufstatistik mit einfließen – ebenso wie klassische Rückrufe ganz gezielt und proaktiv, um die Qualität unserer Automobile auf höchstem Niveau zu halten. Den Erfolg beweisen unabhängige Qualitätsuntersuchungen wie z. B. der Dekra-Mängelreport, bei welchem gleich mehrere Opel-Fahrzeuge Qualitätssieger wurden. Der letzte Qualitätsreport von AutoBild beweist, dass Opel mit dieser Strategie erfolgreich ist. Opel ist laut dieser umfassenden Untersuchung der beste deutsche Automobilhersteller. Auch in Zukunft werden wir die Maßnahmen eines Rückrufs und einer Serviceaktion nutzen, um Top-Qualität zu sichern. >„Kundenvorteile in den Mittelpunkt stellen“Wilfried Blöbaum, Vorstand Fiat Händlerverband:< Rückrufaktionen können durchaus positiv wirken, wenn man die Kundenvorteile wie die kostenlose Instandsetzung auch älterer Fahrzeuge in den Mittelpunkt stellt. Auch für den Händler und Servicepartner bringt es Vorteile, denn auch verlorene Altkunden kommen wieder ins Autohaus und können als Servicekunden zurückgewonnen werden. Leider ist bei Fiat das Procedere zur Bestellung der benötigten Austauschteile sehr aufwändig für die Werkstätten, denn diese Teile kommen erst, wenn das ursprüngliche Originalteil zur Überprüfung an Fiat gesandt wurde. Das bedeutet, dass der Kunde zwei Mal zu uns kommen muss. Die Informationen von Fiat für die Partner bei Rückrufen sind gut und umfassend. >„Änderungskampagne“ statt „Rückrufaktion“Sascha Spindler, Verein deutscher Suzuki Automobilhändler: < Die Auswirkungen von Rückrufen auf das Marken-Image hängen sehr stark davon ab, wie man die Aktion bezeichnet. So hat eine „Änderungskampagne“ eine ganz andere Wirkung auf den Kunden als eine „Rückrufaktion“. Mit der kostenlosen Reparatur kann man den Kunden positiv beeindrucken. Und wenn man ihm für die Reparaturzeit ein neues Modell als Leihwagen anbietet, führt dies zu einer Probefahrt und eventuell sogar zu einem neuen Verkauf. Auch für die Auslastung der Werkstätten sind solche Aktionen aus Händlersicht positiv. Vom hohen Rückrufanteil für die Marke Suzuki bis 2009 in den USA waren die Modelle in Deutschland nicht betroffen. >

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