Aktuelles Urteil: Ewiges Widerrufsrecht

Mit einem aktuellen Urteil vom 11.09.2019 (Aktenzeichen C-143/18) erteilt der EuGH dem ewigen Widerrufsrecht im Fall bereits abgewickelter und vollständig erfüllter Verbraucherdarlehensverträge eine Absage und korrigiert damit die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Bekannte Problematik Gerade im Zusammenhang mit dem Dieselthema werben die einschlägigen Rechtsanwaltskanzleien mit dem Widerrufsjoker und der für Verbraucher bestehenden Möglichkeit, bei kreditfinanzierten Fahrzeugverkäufen im Fall unzureichender oder fehlerhafter Aufklärung den Darlehensvertrag auch nach Jahren noch zu widerrufen. Dies mit dem Ziel, sich so ohne weitere Diskussion über Abgasmanipulationen gleichzeitig auf einfache Weise auch vom Fahrzeugkauf zu lösen. Zu Grunde liegen die mit der Neufassung des Schuldrechts im Jahr 2002 in das BGB übernommenen und zusammengefassten Regelungen zu den verschiedenen Widerrufsrechten bei Verbraucherverträgen (§§ 355 ff. BGB). Für Verbraucherdarlehensverträge beginnt die 14-tägige Widerrufsfrist demnach nicht zu laufen, bevor der Darlehensnehmer seinen schriftlichen Antrag oder den Vertrag mit allen erforderlichen Pflichtangaben ausgehändigt bekommen hat. Zu diesen Pflichtangaben zählen neben den konkreten Darlehenskonditionen insbesondere auch die Aufklärung über das Bestehen und die Ausübung eines Widerrufsrechts, über Kündigungsrechte, Sicherheiten, Vorfälligkeitsentschädigungen etc. Fehlen einzelne dieser Pflichtangaben im Darlehensvertrag zur Fahrzeugfinanzierung und werden sie auch nicht außerhalb des Vertrages in vorgeschriebener Form nachgeholt, besitzt der Verbraucher nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 12.07.2016-Az. XI ZR 564/15) ein "ewiges Widerrufsrecht". In der Folge greift dieser Widerruf auch auf den Kaufvertrag für das finanzierte Fahrzeug als verbundenes Geschäft durch und der Fahrzeugkauf muss allein aus diesem Grund rückabgewickelt werden. Rechtslage Die Fahrzeugfinanzierungen im Autohandel werden bekanntlich ganz überwiegend als Fernabsatzgeschäfte ohne persönlichen Kontakt zwischen Kunde und Bank vermittelt. Bei solchen Fernabsatzgeschäften besitzt der Verbraucher ein in § 356 BGB geregeltes Widerrufsrecht. Dieses Widerrufsrecht gilt allerdings nicht, wenn dem Verbraucher bereits anderweitig aus anderem Schutzgrund ein Widerrufsrecht als Darlehensnehmer zusteht (§ 312 g Abs. 3 BGB). Dies ist beim Verbraucherdarlehen der Fall (§ 495 BGB), wobei hier bei nicht ordnungsgemäßen Informationen für den Widerruf keine zeitliche Beschränkung vorgesehen ist (§ 356 b BGB). Dagegen enthalten die Vorschriften zum Widerruf von Fernabsatzverträgen Regelungen zur zeitlichen Beschränkung und zum Wegfall des Widerrufsrechts, die vom BGH aber auf Verbraucherdarlehensverträge auch dann nicht angewandt werden, wenn sie im Fernabsatz abgeschlossen wurden. Rechtsprechung Verschiedene Landgerichte haben in Einzelverfahren klagenden Verbrauchern nach Ziehung des Widerrufsjokers bereits Recht gegeben. So sind das Landgericht Berlin (Az. 4 O 150/16) und das Landgericht Arnsberg (Az. 2 O 45/17) bei Darlehensverträgen der VW Bank von einer unzureichenden Aufklärung über das außerordentliche Kündigungsrecht aus wichtigem Grund ausgegangen. Das Landgericht Stuttgart (25 O 73/18) und das LG Ravensburg (Az. 2 O 259/17) sehen Fehler in der Widerrufsbelehrung in den Darlehensverträgen der VW Bank und der Mercedes Bank. Nach einem weiteren Urteil des LG Berlin (Az. 4 O 20/18) weisen Verträge der Mercedes Bank sowohl Defizite bei den Hinweisen auf die Kündigungsrechte als auch bei der Widerrufsbelehrung auf. Aber auch andere Herstellerbanken und die mit dem Handel zusammenarbeitenden Kreditinstitute können betroffen sein. Die aufgeführten Urteile beziehen sich auf Neu- und Gebrauchtfahrzeuge, die nach einer Zeit von bis zu 4 ½ Jahren zuzüglich Prozessdauer zurückgenommen werden mussten. Mehrheitlich gehen die Gerichte dabei immerhin von einer Verpflichtung der Darlehensnehmer aus, Ersatz für die von ihnen gezogenen Nutzungen zu leisten, das heißt sich die mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer anrechnen zu lassen. Soweit sich Sammelklagen bislang mit diesem Thema beschäftigt haben, gibt es keine Klageerfolge zu vermelden. Maßgeblich wurden entsprechende Sammelklagen vom OLG Stuttgart (Mercedes) und vom OLG Braunschweig (VW) aus formellen Gründen nicht zugelassen. Beschränkung durch den EuGH Auf Vorlage des LG Bonn hat der EuGH aktuell im Fall eines Fernabsatzkredites entschieden, dass die Rechtsprechung des BGH zum "ewigen Widerrufsrecht" bei Verbraucherdarlehensverträgen zumindest in denjenigen Fällen nicht haltbar ist, in denen der Vertrag bereits vollständig abgewickelt und erfüllt ist. Das Landgericht Bonn hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem die Darlehensnehmer eines 2007 aufgenommenen Immobiliendarlehens 2016 den Widerruf erklärten. Zur Begründung beriefen sie sich auf eine ihrer Meinung nach fehlerhafte Widerrufsbelehrung, die auf ein vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts im Fall der vollständigen Vertragserfüllung mit Zustimmung des Darlehensnehmers hinwies. Nach Auffassung des Richters steht diese Widerrufsbelehrung aber im Einklang mit der Regelung in Art. 6 Abs. 2 c der EU-Richtlinie 2002/65 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, die gerade in diesem Fall ein Erlöschen des Widerrufsrechts vorsieht. An einer Entscheidung zu Gunsten der Bank sah sich der Richter jedoch durch die Rechtsprechung des BGH zum ewigen Widerrufsrecht gehindert und legte deshalb die Sache beim EuGH vor. Der EuGH hält die Rechtsprechung des BGH zum "ewigen Widerrufsrecht" bei Verbraucherkreditverträgen für nicht EU-rechtskonform. Er fordert zumindest bei im Fernabsatz abgeschlossenen Verbraucherkreditverträgen die Berücksichtigung der Regelungen in der EU-Richtlinie 2002/65 bei der Auslegung der deutschen Rechtsvorschriften zum Vorrang des Widerrufs ausschließlich nach den für das Darlehen geltenden Bestimmungen. Konkret verlangt der EuGH damit für den ihm vorgelegten Fall, dass das Landgericht Bonn sich über die Rechtsprechung des BGH hinwegsetzt und die inhaltlich der genannten EU-Richtlinie entsprechende Widerrufsbelehrung als wirksam und den Widerruf des Kreditvertrages als unwirksam beurteilt. Vorgegeben ist damit auch, dass Verbraucher ihre im Fernabsatz abgeschlossenen Darlehensverträge jedenfalls dann nicht mehr widerrufen können, wenn diese mit ihrem Einverständnis bereits vollständig erfüllt und abgewickelt sind. Kurzfassung 1. Der EuGH schränkt für Verbraucherkreditverträge das "ewige Widerrufsrecht" ein und korrigiert damit die Rechtsprechung des BGH.2. Das "ewige Widerrufsrecht" gilt nicht für Verbraucher, deren im Fernabsatz abgeschlossene Kreditverträge bereits vollständig erfüllt und abgewickelt sind.3. Gegenteiliges widerspricht der EU-Richtlinie 2002/65 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher, die bei der Auslegung des deutschen Widerrufsrechts zu berücksichtigen ist. Kommentar Die gesetzlichen Vorschriften und Ausführungsbestimmungen zum Widerruf von Verbraucherverträgen mussten in den letzten Jahren immer wieder geändert und der Rechtsprechung angepasst werden. Zwischenzeitlich wurde ein halbwegs stabiler Zustand erreicht, der allerdings im juristischen Alltag weiterhin eine Vielzahl von Unsicherheiten und Rechtsstreitigkeiten provoziert. Der eigentlich gut gemeinte Schutzzweck der Vorschriften wird durch einige Großkanzleien auch konterkariert, wenn sie mit einschlägigen Werbethemen die Trommel rühren und sich auf Mandantensuche begeben. Das vorliegende Urteil des EuGH sollte aber gerade deshalb für den Gesetzgeber nochmals Anlass für eine Abwägung zwischen angemessenem Verbraucherschutz und Rechtsfrieden sein. Die zeitliche Limitierung von Widerrufsrechten des Verbrauchers wurde in vielen Bereichen bereits als sinnvoll erkannt. Eine einheitliche Regelung unter Einbezug auch der Widerrufsrechte beim Verbraucherdarlehen wäre wünschenswert.Rechtsanwalt Robert Glocker

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