Mein Haus, mein E-Auto, meine Wallbox: Mit dem Umstieg auf die Elektromobilität schießt auch die Zahl der privaten Ladepunkte in die Höhe. Allein über einen Fördertopf des Bundes haben zuletzt mehr als 800.000 Haushalte einen Zuschuss dafür beantragt, die Bundesregierung will bis 2030 bis zu 15 Millionen E-Autos auf der Straße haben. Doch auf das Stromnetz kommen damit gewaltige Herausforderungen zu, Netzbetreiber sorgen sich vor lokalen Stromausfällen. Eine Studie präsentiert nun Lösungsansätze. Zumindest einen davon könnten auch die Verbraucher zu spüren bekommen.
Martin Konermann hatte sich schon vor Jahren Gedanken gemacht. Er ist Geschäftsführer Technik beim baden-württembergischen Netzbetreiber Netze BW, einer Tochter des Energiekonzerns EnBW. Nach einem Gespräch mit einem Daimler-Manager über deren E-Auto-Pläne habe er sich damals besorgt die Frage gestellt: "Was passiert eigentlich mit unseren Netzen, wenn perspektivisch vor jedem Haus ein E-Auto steht?" Bislang seien die größten Verbraucher im Haushalt Saunen oder Elektroherde gewesen. Eine handelsübliche Wallbox - also ein privater Ladepunkt - habe mit bis zu 22 Kilowatt aber rund doppelt so viel Leistung. Wenn dann eine komplette Straße gleichzeitig nach Feierabend ihr Auto lade, könne im äußersten Fall die Sicherung für die Straße fallen.
Auch aus Sicht der Bundesnetzagentur stehen die Verteilnetze durch den Hochlauf von E-Fahrzeugen oder auch Wärmepumpen absehbar vor Herausforderungen. Als Grund nennt die Behörde "teils beträchtlich höhere Bezugsleistungen" und eine deutlich höhere Gleichzeitigkeit bei der Nutzung. Es brauche eine zeitnahe und vorausschauende Ertüchtigung der Verteilernetze. Doch der Ausbau allein reiche nicht aus - künftig sollen Netzbetreiber auch an einigen Stellschrauben drehen können. Zum neuen Jahr soll dafür ein neuer Gesetzespassus in Kraft treten, der das möglich machen könnte.
Belastungs-Tests unter realen Bedingungen
Welche Stellschrauben das sein könnten, das hat die Netze BW in den vergangenen Jahren in mehreren Pilotprojekten in Baden-Württemberg erforscht. In den sogenannten Netzlaboren wurden Anwohner in ausgewählten Wohnvierteln mit E-Autos und Ladestationen ausgestattet. Das Ziel: Unter realen Bedingungen testen, wie und wann die Menschen ihr Auto laden, was das für das lokale Netz bedeutet - und welche Möglichkeiten es gibt, die Belastung für die Netze zu reduzieren. Insgesamt machten 113 Haushalte an acht Standorten mit.
Inzwischen ist Technikchef Konermann entspannter. Das hat auch mit den Ergebnissen dieser Versuche zu tun. Denn zum einen ergab sich, dass die Anzahl an Fahrzeugen, die gleichzeitig luden, stark variiert. In den Netzlaboren pendelte der Wert zwischen 22 und 88 Prozent und lag im Mittel bei 50 Prozent. "Wenn wir überall 80 bis 100 Prozent Gleichzeitigkeit gehabt hätten, dann hätte sich die Netzbelastung und damit der Ausbau unseres Stromnetzes um ein Vielfaches erhöht", sagt Markus Wunsch, der die Projekte leitete.
Und zum anderen - und das ist nun der Kern dessen, was auch der Gesetzgeber demnächst regeln will - konnten die Belastungen für das Netz durch sogenanntes netzdienliches Lademanagement reduziert werden. Hinter diesem etwas sperrigen Begriff versteckt sich ein einfaches Prinzip: Wenn mehr E-Autos am Netz hängen, als dieses eigentlich verträgt, dann könnte man durch eine gezielte und bedarfsabhängige Reduktion der Ladeleistung die Belastung für das Netz abfedern. Das führt dann aber auch dazu, dass ein einzelnes Auto langsamer lädt.
Netzdienliches Lademanagement
Grundsätzlich gebe es zwei Arten, dieses Lademanagement durchzuführen: Entweder dynamisch, also auf Basis des real gemessenen Stromverbrauchs - dafür brauche es aber entsprechende Messtechnik, sagt Wunsch. Leichter umzusetzen seien statische Ladefenster. Also beispielsweise eine Reduzierung der Ladeleistung um die Hälfte in den Abendstunden. "Der Kunde kann weiterladen - es geht dann aber teilweise nur etwas langsamer", sagt Konermann.
Praktisch haben die meisten Teilnehmer der Netzlabore laut Netze BW kaum Einschränkungen durch den Einsatz von Lademanagement gemerkt, die Autos seien am nächsten Morgen immer geladen gewesen, und die Ladezeit habe sich um maximal eine Stunde erhöht.
Patrick Graichen, der für Stromnetze zuständige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, sieht in den Versuchen einen Beitrag zur Integration von 15 Millionen Elektroautos in das Stromnetz. Insgesamt stehe damit bis 2030 auch eine Speicherkapazität von 600 Gigawattstunden zur Verfügung, sagte er zur Projektpräsentation am Freitag. "Das ist eine Menge für das Stromsystem." Um das Potenzial nutzen zu können, brauche es aber auch eine systemdienliche, nutzerfreundliche und sichere Ladesteuerung. Diese müsse aber möglichst schnell im Praxisbetrieb getestet und angewandt werden. "Da sind wir ehrlich gesagt noch nicht."
Die Bundesnetzagentur arbeitet gerade an möglichen Regelungen zum Lademanagement, die zum 1. Januar 2023 in Kraft treten sollen. Im Gegenzug für eine verringerte Leistung könnten demnach die Strompreise für Verbraucher sinken, teilte sie mit. Netze BW erhofft sich die rechtliche Grundlage für einen standardisierten Einsatz von netzdienlichem Lademanagement. Laut Bundesnetzagentur ist rechtlich auch eine verpflichtende Lösung möglich. Details nannte sie nicht.
Autos mit hoher Leistung zu laden nicht notwendig
Der Forscher für Netzintegration, Krzysztof Rudion von der Uni Stuttgart, sieht in der Begrenzung der Ladeleistung ebenfalls einen Hebel, um lokale Netzausfälle notfalls zu verhindern. Noch sei ihm kein solcher Ausfall bekannt. Für die Zukunft sei es aber nicht auszuschließen. Auch eine verpflichtende Lösung könne er sich vorstellen. Meist sei es nicht nötig, die Autos mit hohen Leistungen zu laden. Außerdem könnten dadurch die Netze entlastet oder durch mehr gleichzeitig ladenden Autos auch die Bedürfnisse nach Mobilität erfüllt werden. "Also zusammenfassend kann man aus dieser Perspektive sagen: Ja, die Autobesitzer könnten zu einem Lademanagement ohne größere Schwierigkeiten gezwungen werden." In der Umsetzung sei aber wichtig, dass die Kunden nicht allein die Kosten dafür tragen müssen.
Verbraucherschützer pochen darauf, dass der Schwerpunkt einer solchen Regel auf freiwilliger Basis bleibt. Nur im Notfall dürften Wallboxen oder Wärmepumpen teilweise oder ganz abgeriegelt werden - nicht aber normale Haushaltsgeräte, sagt Thomas Engelke, Leiter des Teams Energie und Bauen im Verbraucherzentrale Bundesverband. Die Netzbetreiber müssten dann aber ganz genau erklären, wo und wann das erforderlich ist. "Eine Generalerlaubnis für eine tägliche mehrstündige Teil- oder Totalabriegelung darf es nicht geben."