Emotionen ersetzen Tatsachen. Dieses bekannte Muster zeigt sich auch in der hitzigen Diskussion um die Zukunft des Dieselantriebs. Im Neuwagenhandel ist die Verunsicherung der Kunden bereits erkennbar. Doch wie sieht es auf dem Gebrauchtwagenmarkt aus? Geraten die Restwerte von Diesel-Pkw angesichts von manipulierten Abgaswerten, zu hohem NOx-Ausstoß und drohenden Fahrverboten unter Druck? AUTOHAUS hat bei den Branchenspezialisten von Schwacke nachgefragt.
AH: Wie entwickeln sich die Gebrauchtwagenpreise bzw. Restwerte von Dieseln und Benzinern seit Beginn der Abgasaffäre?
Schwacke: Im Zusammenhang mit der sehr hohen medialen Aufmerksamkeit des Themas und der detaillierten Berichterstattung bezüglich der finanziellen und juristischen Aspekte für den Volkswagen-Konzern war eine belastbare Prognose in den ersten Monaten kaum sinnvoll. Mittlerweile haben wir mehr Daten und sehen etwas klarer. Grundsätzlich ist zu bedenken, dass zum einen der Gebrauchtwagenmarkt tendenziell langsamer auf solche "Großereignisse" reagiert und zum anderen wir uns einer Reihe von anderen schwerwiegenden Einflussfaktoren gegenüber sehen, wie z.B. der gesamtwirtschaftliche Aufschwung und die Kaufkraftdaten, der wachsende Anteil von Flotten- und Vermietzulassungen der vergangenen Jahre, die Verschiebungen bei den Fahrzeugsegmenten usw. Daher veränderten sich die Gebrauchtwagenpreise von Dieseln auch der offenbar betroffenen Marken im ersten Jahr seit dem Beginn des Abgasthemas nicht signifikant. Seit Ende vergangenen Jahres sehen wir so etwas wie erste Anzeichen einer Veränderung, dies ist aber vor allem anhand anderer Parameter, wie den sich im Vergleich zu den Benzinern deutlicher erhöhenden Standtagen von Dieselfahrzeugen zu bemerken. In manchen Segmenten wie z.B. bei der Kompaktklasse zeigen Benziner und Diesel derzeit gegenläufige Tendenzen, d.h. die Benziner steigen im Werterhalt.
AH: Welche aktuellen Werte haben Sie gemessen?
Schwacke: Wie zu erwarten war, stabilisiert sich der Gesamtmarkt preislich aufgrund der insgesamt immer noch zunehmenden Angebotsmenge, die sich aus den Zulassungen vergangener Jahre, insbesondere der Flotten-, Vermiet- und Vorführzulassungen speist. Die Segmente und Modelle verhalten sich hier höchst unterschiedlich, aber generell kann man sagen, dass die Schere zwischen Dieseln und Benzinern in den Punkten Standtagen, Angebotsmenge und Restwertentwicklung deutlicher auseinander geht als noch vor einem Jahr. Konkrete einzelne Werte zu nennen, ist aber angesichts der Komplexität wenig aussagekräftig.
AH: Sehen Sie Auswirkungen der laufenden Debatte um Emissionen und Fahrverbote auf das Kaufverhalten von Neu- und Gebrauchtwagen und die Preisentwicklung?
Schwacke: Die bisher geführte Diskussion zur Dieselaffäre ist mit dem jetzt aktuellen Thema "Fahrverbote" nicht zu vergleichen, da bis dahin faktisch kaum bis wenig Einschränkungen oder Nachteile in der Nutzung der Fahrzeuge zu erwarten waren. Mittlerweile sind aber – zunächst – regionale und zeitlich begrenzte Nutzungseinschränkungen in Aussicht, die für bestimmte Nutzer unter bestimmten Bedingungen auch tatsächlich wirksam werden. Die für 2018 getroffene Entscheidung in Stuttgart verleiht der Diskussion um den Diesel und seine Zukunftschancen neue Brisanz. Die Bevölkerung ist durch die breite Berichterstattung ähnlich wie bei "Dieselgate" stark involviert, allerdings ist die Wahrnehmung durch die Entwicklungen des vergangenen Jahres sicher nicht ganz unbeeinflusst. Es entsteht also ein weiterer negativer Aspekt in der Beurteilung potenzieller Neu- und Gebrauchtwagenkunden. Inwieweit sich diese Situation tatsächlich nachteilig auf die Restwerte auswirkt, ist aus heutiger Sicht noch nicht seriös zu beantworten. Klar ist, dass die Diskussion die Branche weiter intensiv beschäftigen wird und dass mögliche Effekte und deren Ausmaß stark davon abhängen, ob das Beispiel Stuttgart nun tatsächlich umgesetzt wird, auch in anderen Kommunen Schule macht oder gar eine bundesweite Regelung ("blaue Plakette") in Betracht gezogen wird. In puncto Preisentwicklung scheint der einzelne Faktor Fahrverbot aber aktuell noch keinen sichtbaren bundesweiten Effekt zu haben.
AH: Prognose: Wie werden sich die Diesel-Preise und -Restwerte in den nächsten Monaten entwickeln?
Schwacke: In den kommenden Monaten erwarten wir weiterhin keine dramatischen Veränderungen, sondern in Summe stabile Werte.
AH: Was denken Sie: Verlieren die Käufer das Vertrauen in den Diesel? Werden die Verkaufszahlen zurückgehen?
Schwacke: Insgesamt wird vermutlich eine Kombination aus verschiedenen Faktoren dazu führen, dass weniger Dieselfahrzeuge in Zukunft ihre Kunden finden. Dazu gehört auch ein reduziertes Angebot seitens der Hersteller und stärker werdendes Angebot von anderen Antriebsarten. Die Hersteller werden eine Reihe von neuen Elektro- und Hybridmodellen auf den Markt bringen, so dass sie im Eigeninteresse für Absatz sorgen werden. Sollten dann noch staatliche Eingriffe hinzukommen durch steuerliche Unterstützung, Infrastrukturausbau, Fahrverbote oder ähnliches, dann wird dies den Prozess verstärken. Sollte der Diesel die Gunst der Käufer verlieren, und das ist nicht nur auf den deutschen Markt, sondern den gesamteuropäischen Markt bezogen, so kann es für Neuentwicklungen enger werden. Europa ist der Dieselabnehmer weltweit, und wenn der Absatz hier ins Stocken kommt, schwächelt der Markt, der auch die Entwicklungskosten refinanzieren muss. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Die Preise steigen oder das Dieselangebot wird zurückgefahren. Was für die weitere Forcierung des Dieselmotors spricht, ist die bessere CO2-Bilanz, die zur Erreichung der Emissionsziele wahrscheinlich in den nächsten Jahren noch gebraucht wird. Die große Unbekannte ist die Geschwindigkeit einer Elektrifizierung, die dann noch besser für die Erreichung der CO2-Ziele dient.
AH: Können die alternativen Antriebe in die Diesel-Lücke stoßen?
Schwacke: Alternative Antriebe, egal ob Elektro, Hybride oder Gasantrieb, spielen mit aktuell unter drei Prozent Marktanteil noch immer eine sehr untergeordnete Rolle. Das wird sich vermutlich erst mit der Modelloffensive der Hersteller in den kommenden Jahren, insbesondere ab 2020, signifikant verändern. Allerdings liegen hierdurch die Restwerte für solche Fahrzeuge noch verhältnismäßig hoch. Wie sich dies entwickelt, wenn die Stückzahlen deutlich wachsen, wird sich zeigen. Insbesondere wird dann entscheidend sein, ob der Gebrauchtfahrzeugmarkt aufnahmefähig hierfür ist und alternativ angetriebene Fahrzeuge ihre Käufer finden.
AH: Gibt es schon Anzeichen, dass sich auch die Gewerbekunden vom Diesel verabschieden?
Schwacke: Firmenkunden bzw. Flotten sind erfahrungsgemäß darauf aus, möglichst wenig in ihren Prozessen und in der Beschaffung von Arbeitsgerät zu verändern. Das merkt man auch bei der Wahl ihrer Fahrzeuge. Generell kann man allerdings schon beobachten, dass der Dieselanteil insgesamt sich reduziert, auch wenn die Gesamtzahl der Diesel-Flottenzulassungen von 2015 zu 2016 sich sogar noch leicht erhöht hat. Die Benziner haben eben mehr Konjunktur als andere Antriebsarten. Insbesondere bei User Choosern und den Kleinflotten, die sich in ihren Kaufentscheidungen eher wie Privatkunden verhalten, macht sich dies bemerkbar, so dass der Diesel-Anteil bei "nur noch" ca. 68 Prozent liegt.
AH: Welche Automarken sind von den aktuellen Entwicklungen besonders betroffen?
Schwacke: Das Bild der Zulassungs- und Gebrauchtwagenzahlen ist mit Zugang immer neuer Modelle und Derivate zunehmend komplex und zeigt kein einheitliches Bild, auch nicht auf Markenebene. Marken wie VW oder Audi beeinflussen natürlich schon aufgrund ihres hohen Marktanteils sehr stark bei Veränderungen in ihrem Portfolio das Gesamtbild. Ein einseitiger VW-Effekt ist aber nicht in dem Maße zu beobachten, wenn dies das Ziel der Frage war.
AH: Welche Fahrzeugsegmente stechen momentan hervor? Wo gibt es die stärksten Ausreißer, wo die Restwertriesen?
Schwacke: Die restwerttechnisch stärksten Segmente bleiben weiterhin die SUV. Das Kundeninteresse ist ungebrochen und steigt stetig, vor allem mittlere und große SUV bringen gute Vermarktungsergebnisse. Scheinbar ist der Bedarf immer noch mindestens so groß wie das Angebot, so dass wir verhältnismäßig niedrige Standzeiten und gute Restwerte beobachten. Aber auch das Sportwagensegment weist sehr wertstabile Modelle auf. Bei den diesjährigen "Wertmeistern" haben wir wieder die Top-Performer gekürt – und ja, auch Benziner und alternativ getriebene Modelle sind dabei, mehr als in den vergangenen Jahren. (rp)
Hohmann