Geschäftsmodell Automobilvertrieb: Das Navi für die Branche!

Hersteller und Handel und - ganz zu schweigen - ZDK und Fabrikatsvertreter tun sich schwer, die digitale Revolution gemeinsam anzupacken und ein Gesamtkonzept, zumindest in den Eckpunkten, auf die Beine zu stellen. Was der Branche offensichtlich fehlt, ist ein Navigationssystem für die erfolgreiche Bewältigung der notwendigen Transformation, in das die Ziele klar eingestellt sind und die Wege dorthin aufgezeigt werden. Audi und VW als Navigatoren Wie es scheint, stehen Audi und Volkswagen bereit, die Rolle des Navis für die Branche zu übernehmen. Mit ihren aktuellen Verlautbarungen lassen Martin Sander (Vertriebschef Audi Deutschland) und Thomas Zahn (Leiter Vertrieb und Marketing VW Deutschland) erste Ansatzpunkte für die notwendigen Änderungen erkennen, mit denen das bestehende Geschäftsmodell in das digitale Zeitalter überführt und zukunftsfähig gemacht werden soll. Bemerkenswert ist, dass sich die angesprochenen Inhalte fast eins zu eins mit unseren bisher in AUTOHAUS skizzierten Studien zu einem neuen Geschäftsmodell für den Automobilvertrieb der Zukunft decken. Martin Sander legt in einem aktuellen Interview eine bereits ziemlich konkrete Agenda vor und listet 5 Erfolgsfaktoren auf, die für den Vertrieb in der Zukunft von besonderer Bedeutung sein werden. Seine Punkte, die in diesem Artikel um weitere wichtige Faktoren ergänzt werden, könnten für die gesamte Branche zum Leitbild eines neuen Geschäftsmodells werden. Sie lauten: 1. Vertriebsstufen abschaffen 2. Omni-Channel-Präsenz sicherstellen 3. Enge Zusammenarbeit von Handel und Hersteller gewährleisten 4. Das Autohaus stärken 5. Hersteller und Händler müssen sich neu erfinden Thomas Zahn wird im AUTOHAUS Interview am 16. Februar 2017 (vgl. autohaus.de und AUTOHAUS Nr. 5, Seite 12 f.) nicht ganz so konkret. Doch seine Kernsätze - "Wir sind davon überzeugt, dass die bisherigen Konzepte im Autohandel auf den Prüfstand gehören. Denn aus meiner Sicht ist dieses Geschäft in der heutigen Form langfristig nicht zukunftsfähig" - machen deutlich, dass bei VW ähnliche Überlegungen im Gange sind wie bei Audi. Es tut sich etwas. Es bedarf Courage, vorweg zu gehen. Denn die neuen Konzepte für den Vertrieb der Zukunft fallen nicht vom Himmel. Und man kann sich abschminken, dass sie, wenn sie dann vorliegen, für die nächsten zehn Jahre Bestand haben werden. In Zukunft werden immer wieder Updates notwendig und schnell durchzuführen sein. Die neuen Konzepte müssen deshalb mutig und visionär erarbeitet werden. Und das möglichst gemeinsam. Martin Sander von Audi bringt das auf den Punkt: "Wir müssen es gemeinsam mit dem Handel schaffen, beide Welten (Anm. d. Red.: Online und Offline) in Verbindung zu bringen." An dieser Stelle hapert es derzeit noch am meisten. Die Realität ist nämlich diametral anders. Die Händler sind es aus der Vergangenheit heraus betrachtet nicht gewohnt, dass sich die Hersteller in Vertriebsbelangen als die großen Innovatoren gezeigt haben. Und die Hersteller haben in erster Linie ihre Absatzzahlen und ihre Vertriebskosten im Kopf. Deshalb denkt derzeit - wenn überhaupt - jeder für sich. Dieses schwierige Momentum ist erst einmal zu überwinden. Interpretationen, Präzisierungen und Ergänzungen Die Statements der beiden deutschen Vertriebschefs bieten derzeit noch viel Raum für Interpretationen, aber auch für Präzisierungen und Ergänzungen. Das gilt insbesondere für Punkt 5 "Hersteller und Händler müssen sich neu erfinden". Was entwickelt sich dazu hinter den Kulissen bei Audi und VW? Fakt ist, Audi als Premium- und VW als Volumenmarke eignen sich bestens als Beispiele für die Branche. Beide Konzernmarken können repräsentativ für ein neues Geschäftsmodell stehen, das auf den gleichen Grundlagen fußt, aber trotzdem notwendige Differenzierungen zulässt. Denn die Geschäftsmodelle für Premium- und Volumenmarken werden sich zumindest teilweise unterscheiden - nicht nur, weil unterschiedliche Stückzahlen und Preisklassen von Autos gehandelt werden, sondern auch, weil die Kunden unterschiedliche Anforderungen stellen. Das Grundkonzept jedoch sieht gleich aus und wird von der Omni-Channel-Idee getragen. Darauf wird später eingegangen. Zunächst stehen die Kern-Botschaften der beiden Vertriebschefs zur Zukunft des deutschen Automobilvertriebs zur Erörterung an. Vertriebsstufen abschaffen Wenn Herr Sander von der Abschaffung von Vertriebsstufen spricht und sie ins Museum verweist, dann packt er damit den entscheidenden Erfolgsfaktor des Vertriebs der Zukunft an und stellt die tradierte Prozesskette Hersteller > Handel > Kunde einschließlich der entsprechenden Rückkanäle und - ganz wichtig - ihrer Steuerung mit allen ihren heutigen Brüchen und Knoten infrage. Seine Äußerung macht auch deutlich, dass die Hersteller zukünftig aktiv Fahrzeuge selbst und direkt über das Internet verkaufen wollen und werden. Das lässt sich aus dem Statement von Herrn Zahn "Sollten die Kunden es wünschen, wird es auch direkt Angebote von uns an den Kunden geben" ebenfalls ableiten. Unabhängig davon geht es in Zukunft nicht nur um die Präsenz auf allen Kanälen, sondern vor allem auch um eine nahtlose, nirgendwo unterbrochene Verbindung zwischen den Herstellern, dem Handel und den Kunden. Heute werden Systeme und Prozesse immer noch weitgehend getrennt voneinander betrieben - mit der Folge vieler Störungen und hohem Aufwand in der automobilen Wertschöpfungskette und im Vertriebsprozess. Die sollen beseitigt werden. Bis zu sechs getrennte Prozessstufen (1. Hersteller > Händler, 2. Händler > Hersteller, 3. Händler > Kunde, 4. Hersteller > Kunde 5. Kunde > Händler, 6. Kunde > Hersteller) verhindern nicht nur ein optimales Kundenbeziehungsmanagement, sondern verursachen auch hohe und zugleich unnötige Vertriebskosten. Die Vertriebskosten zu senken und die Einsparungen an anderer Stelle zu reinvestieren, ist ein weiterer, von den Vertriebschefs unausgesprochener Erfolgsfaktor. Denn sie wissen, dass allein der heutige Steuerungsaufwand signifikant reduziert werden kann (regionale Organisation, Außendienste, usw.) - künftig überflüssige Kosten in mehrstelliger Millionenhöhe. Über eine absolut durchgängige Systempartnerschaft der Hersteller als Systemführer und dem Handel als Systempartner und Dienstleister könnten die heute bestehenden Lücken geschlossen, die vorhandenen Defizite beseitigt und die Kosten gesenkt werden. Deshalb lauten die Hauptaufgabe und der erste Schritt zu einem neuen Geschäftsmodell, eine Prozessintegration von Herstellern und Händlern vorzunehmen. Auf den Punkt gebracht: Weg von den heutigen Vertriebs- und Prozessstufen und hin zu einer störungsfreien und aktiven Zusammenarbeit zwischen Hersteller, Handel und Kunden. Logisch, dass dafür eine neue Vertragsgrundlage und ein neues Vergütungssystem geschaffen werden müssen. Aber auch die Vertriebsformate, die Vertriebsnetze und die IT werden sich im Rahmen eines neuen Geschäftsmodells ändern müssen. Herrn Sanders fünf Erfolgsfaktoren sind daher um diese Themen unbedingt zu ergänzen. Omni-Channel-Präsenz sicherstellen Der Kunde will auf allen Ebenen und zu jeder Zeit mit den Herstellern und den Händlern in Kontakt treten können. Das ist sein klarer Anspruch. On- und offline-Kompetenz im Verkauf und Service auf sämtlichen Vertriebskanälen ist das Gebot der Stunde und muss deshalb für die Branche zum Standard werden. Sie muss sich online und stationär gleichermaßen professionell aufstellen. Die dafür notwendige Omni-Channel-Strategie bindet Hersteller und Händler gleichermaßen ein und sorgt dafür, dass alle verfügbaren Kanäle kongruent gestaltet und synchron betrieben werden. Die Wahl der Nutzung wird dem Kunden überlassen. Oberstes Ziel ist die Verknüpfung der Stärken von offline und online in einem neuen Geschäftsmodell einschließlich der intelligenten Nutzung aller Daten durch alle Beteiligte im Sinne und zum Nutzen der Kunden. Die entsprechenden Prozesse müssen aufgebaut und vernetzt werden; sie betreffen auf der Hersteller- und auf der Händler-Seite jeweils das gesamte Unternehmen. Ohne Zweifel eine gewaltige Aufgabe und Herausforderung. Eine klug austarierte Omni-Channel-Strategie wird auch die Kunden in die Autohäuser führen - da hat Herr Sander vollkommen recht. Enge Zusammenarbeit von Handel und Hersteller gewährleisten Während es innerhalb der einzelnen Markenwelten im stationären Handel gelungen ist, einen weitgehend einheitlichen Auftritt zu realisieren, befindet sich im Hinblick auf das Managen der einzelnen Kanäle heute praktisch jeder Händler in einem anderen Entwicklungsstadium. Dies gilt sowohl für die jeweiligen Offline-Aktivitäten als auch erst recht für die Online-Präsenz - von der idealen IT-Infrastruktur ganz zu schweigen. Um ein wirklich schlagkräftiges neues Geschäftsmodell zu entwickeln, wird auch vor diesem Hintergrund keiner allein, weder die Hersteller noch der Handel, die bestehenden Herausforderungen bewältigen können. Das Autohaus stärken Wie weit auch immer die Digitalisierung voranschreiten mag, ohne ein Vertriebsnetz und einen stationären Handel und Service wird es nicht gehen. Das zeigen die Aktivitäten der Internetkonzerne wie Apple, Amazon oder jüngst Zalando und ihre Bemühungen, neben ihrem Onlinevertrieb ganz gezielt auch Outlets aufzubauen. Der stationäre Handel über das Autohaus ist deshalb kein Auslaufmodell, sondern wird mit den künftigen Entwicklungen sogar gestärkt. Im Rahmen einer Omni-Channel-Strategie ändert sich das Autohaus zwar wesentlich, es hat jedoch auch in Zukunft seinen festen Platz. Die kaufentscheidenden Prozesse des "Human Touch" werden damit auch weiterhin im Autohaus gemanagt - aber anders. Reale und virtuelle Welten werden verschmelzen - mit allen Chancen für den stationären Handel. Sie sind nicht Gegensatz, sondern ergänzen und bedingen einander, denn die "Location-based Services" werden auch in Zukunft nur vor Ort im Autohaus zum Tragen kommen können. Dann werden nicht nur Autos mit allem Drum und Dran wie heute, sondern auch alternative Mobilitätskonzepte in vielfältiger Ausprägung verkauft. Alles zusammen verändert auch die Vertriebsnetze. Dabei muss klar sein, dass an den meisten Standorten von den Händlern in diesem Szenario nur noch der Service der Fahrzeuge angeboten wird. Der Konsolidierungsprozess wird fortschreiten. Es beginnt mit der Anzahl der Händler und setzt sich in den Autohäusern mit dem Flächenbedarf und der Ausstattung in den Schauräumen fort. Hersteller und Händler müssen sich neu erfinden Allen Beteiligten ist klar: Wenn die Hersteller und Händler nicht selbst mit neuen Konzepten aktiv werden, dann werden die Digitalisierung und neue Wettbewerber die von den Herstellern und den Händlern in der Vergangenheit errichteten Abgrenzungen niederreißen. Sixt zeigt es gerade wieder einmal gemeinsam mit dem Internetdienstleister United Internet und seiner Marke 1&1 mit einer Flatrate für Autos, wie es geht. "Wir wollen das Amazon für Neuwagen werden", erklärt dazu der Vorstandsvorsitzende der Sixt Leasing SE Rudolf Rizzolli. Die Stärken des heutigen Vertriebssystems, aber auch seine Schwächen liegen auf der Hand. Tradierte Rollen und tradiertes Verhalten müssen überdacht werden - und zwar schnell und durchaus auch radikal. Die Veränderungsgeschwindigkeit ist hoch und die Bereitschaft, nachhaltige Anpassungen des heutigen Systems vorzunehmen, muss signifikant steigen. Andere Branchen sind auf diesem Weg in der Anpassung an die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden sehr viel dynamischer unterwegs und haben sich durchaus schon neu erfunden. Ein "Weiter so" darf es auch im Automobilvertrieb nicht geben. Deshalb nun zu den weiteren notwendigen Ergänzungen der Statements der Herren Sander und Zahn. Vertragsgrundlage Hinter den Kulissen werden heftige Diskussionen darüber geführt, welche vertragliche Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit von Hersteller und Händler strategisch richtig ist. Fest steht bereits, dass es die heute angewandten Handels- und Serviceverträge nicht sein können und werden, da sie sich für die grundsätzlich angestrebten Veränderungen nicht eignen und auch nicht einfach an die neuen Bedingungen angepasst werden können. Unterschiedliche vertragliche Ausrichtungen werden derzeit abgewogen. Für den Neuwagenverkauf der Premiummarken wird zum einen der vertragliche Rahmen des echten Handelsvertreters diskutiert. Warum des "echten"? Weil es auch den unechten Handelsvertreter gibt, auf dessen Basis in der Branche z. B. die Mercedes-Benz Organisation im Pkw-Verkauf arbeitet. Dahinter steht, dass Belastungen und Risiken entgegen den Regeln des echten Handelsvertreters dort heute vom Händler bzw. Vertreter übernommen werden. Die hinter dem echten Handelsvertretersystem stehenden Abwicklungsmodalitäten gestalten sich relativ aufwändig und sind deshalb bei Volumenmarken mit den großen Stückzahlen und den hohen Fahrzeugbeständen nur schwierig umzusetzen. Hier werden deshalb die vertraglichen Bedingungen des Kommissionsagenten ins Auge gefasst. Er handelt nach außen im eigenen Namen, steht jedoch zu seinem Hersteller in einem ständigen Dienstverhältnis wie der Handelsvertreter. Mit beiden Vertragskonstellationen würde seitens der Hersteller vom heutigen Push-System Abschied genommen. Zukünftig gezielt eingesetzte Push-Aktionen wären zwar trotzdem möglich, müssten aber vom Hersteller anders organisiert werden. Des Weiteren ginge damit die Verantwortung für die Durchsetzung der Preise auf den Hersteller über. Die weiteren Geschäftsaktivitäten des Markenhandels im Aftersales und im Gebrauchtwagenverkauf könnten als notwendige Voraussetzung für die Umsetzung der zuvor beschriebenen Prozessintegration von einem spezifischen Franchisemodell für den Autohandel zwischen Hersteller und Händler getragen werden. Alle wissen, dass diese moderne Vertriebsform im Automobilhandel bereits heute teilweise praktiziert wird, ohne das Kind so beim Namen zu nennen und vertraglich auszufüllen. Der zwischen Franchisegeber (Hersteller) und Franchisenehmer (Händler) abgeschlossene Vertrag würde zu einem Vertrauensverhältnis im besonderen Maße verpflichten. Die Verbindung aus der Marktmacht des Franchisegebers (Hersteller) und der Marktnähe des Franchisenehmers (Händler) wäre schon deshalb die ideale Plattform für die beabsichtigte Neuausrichtung. Außerdem könnten über ein Franchisesystem idealtypisch alle wichtigen Rahmenbedingungen gestaltet und die notwendige, aber heute nicht vorhandene Infrastruktur (z. B. IT) aufgebaut werden. Das Vergütungsmodell Die bisherige Margen-Logik ist in der zuvor beschriebenen neuen Welt nicht mehr haltbar. Die Vergütung des Handels muss in Zukunft leistungsbezogen auf Basis der für den Systemführer "Hersteller" erbrachten Dienstleistungen erfolgen. Ein ergänzendes Restprovisionsmodell ist ebenfalls denkbar und setzt die Verantwortung der Hersteller für die Durchsetzung der Preise und die Restwertstabilität voraus. Gute Beispiele dafür gibt es bereits heute, z. B. im wettbewerbsintensiven Nutzfahrzeugverkauf. Ergänzt wird das Vergütungsgefüge um Prämien für den Verkauf und die Vermittlung von Finanz- und sonstigen Mobilitätsprodukten. Damit wäre eine für beide Seiten klar kalkulierbare Ertragsbasis sichergestellt. Die Kommentierungen und Ergänzungen sollen als sachdienliche Hinweise verstanden werden, ein neues Geschäftsmodell voranzutreiben, das den insbesondere durch die Digitalisierung veränderten Rahmenbedingungen des Automobilvertriebs vollumfänglich gerecht wird und sich für alle Beteiligten als zukunftsfähig erweist. Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. Der Autor Walter Missing kennt den Autohandel seit Jahrzehnten aus Hersteller- und aus Handelssicht. Mit seiner Unternehmensberatung "Missing Management" hat er sich auf die Sanierung und Restrukturierung sowie die Management-Vermittlung im Automobilhandel fokussiert und begleitet Unternehmensverkäufe auf der Verkäufer- und auf der Käuferseite. www.missingmanagement.com

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