56 Prozent des Marketingbudgets investieren Autohäuser dieses Jahr in Online-Aktivitäten. 2017 sind es noch 31 Prozent gewesen. Das ist ein elementares Resultat der Digitalstudie 2021, die TÜV NORD, das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) und AUTOHAUS zum dritten Mal durchgeführt haben. "Das ist der höchste Wert, den wir in der Studienreihe je gemessen haben", betonte Prof. Benedikt Maier, stellvertretender Direktor des IfA, als er am Freitag die Kernergebnisse im AUTOHAUS Webinar den 227 Teilnehmern vorstellte.
Nach der Begrüßung durch AUTOHAUS-Chefredakteur Ralph M. Meunzel sowie Hartmut Abeln, Geschäftsführer von TÜV NORD Mobilität, und Dirk Helmold, Mitglied der Geschäftsleitung, Leiter Corporate Vertrieb und Marketing von TÜV NORD, kam der Wissenschaftler gleich zur Sache. In einem Ritt durch sieben Kernfelder – vom Fahrzeugkauf und den Werkstattbesuch über Social Media, Videotelefonie und die Auswirkungen der Covid-Pandemie bis zu persönlich-stationären Konzepten und den Perspektiven – skizzierte Maier den Wandel in der Branche und die Herausforderungen des Omnikanal-Vertriebs in Handel und Werkstätten. Dazu wurden 549 Autokäufer in Online-Interviews sowie 284 Markenhändler per Telefon befragt.
Kfz-Kauf: Digital und analog greifen ineinander
Im Fahrzeugkaufprozess haben sich unter anderem die staatlichen Förderungen als neuer Motivationsfaktor in die Impulse für den Kauf gesellt. Acht Prozent nennen dies als Grund für den Neuwagenkauf. Zugleich bestätigt die Erhebung, wie wichtig die eigene Website in Verbindung mit den Online-Börsen und Suchmaschinenoptimierung für die Gewinnung der GW-, als auch Neuwagen-Kunden ist. Demnach finden 37 Prozent der GW-Kunden ihren Weg zum Händler über Kfz-Börsen und Neuwagenkunden selektieren online vor und prüfen anschließend interessante Autohäuser gezielt physisch.
Gleichwohl erfolge der bewusste Erstkontakt der Neu- und Gebrauchtwagenkunden offline, in der Regel via Telefon, konstatierte Maier. Zudem machten 74 Prozent der GW-Kunden und 60 Prozent der NW-Kunden mindestens eine Probefahrt. Virtual Reality könne die Qualität des multisensualen Erlebens im Autohaus noch nicht umsetzen. Daneben stellt die Studie beispielsweise ein immenses Potenzial für Finanzierungen fest, dass die Händler noch heben können.
Autohaus-Marketing goes digital
Darüber hinaus vermitteln die Daten ein Bild davon, in welche digitalen Medien die Marketingbudgets fließen. Grundsätzlich setzen große Händler durchschnittlich 3,5 digitale Medien, mittlere 2,5 und kleine 1,9 ein. Maier verwies hier auf die begrenzten Ressourcen in den kleinen Betrieben, ließ dies aber nicht als Ausrede gelten: Auch wenn die großen Händler in der Breite eine höhere digitale Reife haben, gibt es auch kleine Betriebe, die digitale Vorreiter sind.
Ein Zwischenfazit zum Mediennutzungsverhalten und -angebot im Kfz-Kaufprozess: "Alle zur Verfügung stehenden Kontaktoptionen können nicht bespielt werden. Autohausunternehmen sind zur Selektion und Piorisierung gezwungen", so Maier. Und weiter: "Ein zentrales Customer-Touchpoint-Management ist erforderlich. Dies muss bereichsübergreifend implementiert werden und On- wie Offline-Medien kombiniert betrachten."
Status quo im Werkstattbereich
Im nächsten Schritt erläuterte Maier, wie sich die Situation aus Kundensicht in der Werkstatt darstellt. Ein neuralgischer Punkt seines Erachtens: Werkstätten sprechen die Kunden selten auf die Notwendigkeit eines Werkstattbesuchs an. Lediglich zwölf Prozent der Wartungsaufträge gehen auf aktive Hinweise von Werkstätten und Prüforganisationen zurück. Das sei eindeutig nicht zufriedenstellend. Da ginge mehr.
Im Rahmen der Auftragserteilung stellt das IfA beim Punkt der Zustandsdiagnose auch fest, dass der digitale Fahrzeugscan an Bedeutung gewinnt. Elf Prozent der Werkstattdurchgänge würden einen solchen bereits durchlaufen. Zugleich setzen die Autohäuser im Aftersales-Marketing vermehrt digitale Kanäle ein. Ganz oben steht die Online-Terminvereinbarung (76 Prozent), gefolgt von Social Media (71 Prozent) und Bannerwerbung auf externer Website (52 Prozent). Zudem wurde ermittelt, welche digitalen Anwendungen wie Messenger-Dienste oder Videocall-Systeme die Werkstätten planen, künftig einzusetzen. "Alarmierend sind die hohen Nennungen der Antwortoption, dass der Einbezug der jeweiligen Lösung ‚weder geplant noch in Betracht gezogen‘ wird", hieß es.
Kunden wollen wieder persönlichen Kontakt
Einen tieferen Einblick gab es auch in die Social Media-Aktivitäten, die Videotelefonie als Chance, digitale und persönliche Welt zur Kundengewinnung zu vereinen, sowie die Auswirkungen der Pandemie auf das Mediennutzungsverhalten der Kunden. Lediglich 14 Prozent wollen demnach auch nach Aufhebung der Einschränkungen das Autohaus respektive die Werkstatt seltener aufsuchen als zuvor. Laut Maier freuen sich die Kunden auch wieder auf persönliche Kontakte und ins Autohaus zurückzukommen.
Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Thema "Was Kunden über Autohäuser denken". Darin wird das Selbstbild der Betriebe dem Fremdbild der Kunden gegenübergestellt. Wie wichtig zur Kundengewinnung und -bindung daher die Omnikanal-Strategie ist und wie eine Roadmap für die Umsetzung im jeweiligen Betrieb aussehen kann, hat Maier ebenfalls umrissen.
Konsolidierung und Geschäftschancen
Dem Vortrag schloss sich direkt eine Diskussion ein, in der die erste Frage einer Teilnehmerin lautete: "Führt aus Ihrer Sicht die Digitalisierung in Kombination mit den Agenturmodellen zu einer Reduzierung der Autohäuser?" Das bejahte Prof. Maier. Diese Entwicklung verlaufe wohl aufgrund der digitalen Reife zugunsten der großen Autohäuser. AUTOHAUS-Chefredakteur Meunzel fügte hinzu, dass die Digitalisierung für kleine sogar mehr Chancen biete sich zu profilieren. Es gehe darum schnell und agil zu sein. Der Kunde richte im Web den Fokus auf die Leistungen der Betriebe.
Nach den Chancen fragte auch ein anderer Teilnehmer: "Gehen Sie im Hinblick auf den Workload davon aus, dass sich die Anzahl der Kundenkontakte mit der Digitalisierung (auch der Fahrzeuge) eher verringern wird oder werden es sogar mehr?". Maier eindeutig: "Die Kontaktfallzahl wird meines Erachtens steigen." Wenn ein Autohaus verstehe, diese einzusammeln, könne es ein gutes Bild vom Kunden generieren.