Datenbrillen im Autoverkauf: Auto gucken ohne Auto

Virtual Reality (kurz VR) ist in aller Munde. 2016 soll der Technologie, die mithilfe leistungsstarker Computer interaktive Umgebungen erschafft, endlich der Durchbruch gelingen. Die nötige Technik ist mittlerweile bei mehreren Herstellern vorhanden: schnelle Computerchips, scharfe Bildschirme, winzige Sensoren. Viele Brillen sind schon auf dem Markt, mit denen die reale Welt mithilfe von Computern erweitert werden kann - das nennt man Augmented Reality. Mit manchen kann man auch gleich eine virtuelle Realität erschaffen, in der nichts mehr echt ist. Internet nicht nur für den Kopf, sondern für alle Sinne. Dem Autohandel fehlt derzeit noch der Glaube daran, dass 3D-Brillen im Showroom nützliche Hilfsmittel sein könnten: In der jüngsten pulsSchlag-Befragung von AUTOHAUS zeigten sich nur 33 Prozent der Händler von den Spezialgläsern überzeugt. Die Aktivitäten der Hersteller deuten aber darauf hin, dass diese Technik kommen wird. Einige setzen die Brillen schon ein, andere testen oder planen. BMW will sie anlassbezogen nutzen Schon bei der BMW i8 Einführung im Sommer 2014 gab es ein Pilotprojekt mit Google Glas. Interessenten konnten sich Details zu Themen wie Laserlicht, Carbon oder Plug-In Hybridantrieb über eine Augmented-Reality-Anwendung präsentieren lassen. Vor wenigen Wochen dann konnten Kunden das BMW Visionsfahrzeug "Vision Next 100" im Handel mit der Brille erkunden. Seit dem Frühjahr werden die VR-Brillen auch bei Verkäuferschulungen zu Plug-In-Hybrid-Fahrzeugen eingesetzt. Während der Fahrt wird damit das Zusammenspiel der Komponenten Batterie und Motor gezeigt. Ein flächendeckender und permanenter Einsatz im Handel ist derzeit aber nicht vorgesehen. Die Brillen sollen lediglich immer wieder anlassbezogen eingesetzt werden, heißt es aus München. "Virtual-Reality-Anwendungen sind eine gute Möglichkeit, unsere Innovationen erlebbar zu machen und unsere Technik anschaulich zu erklären", so Stefanie Wurst, Leiterin Marketing BMW Deutschland. Bei Audi ab 2016 im Handel Audi hat die VR Experience, die erste vollintegrierte VR-Anwendung für den Automobilvertrieb erstmals im Januar 2015 auf der Messe in Detroit vorgestellt. Seitdem wird sie in Pilotprojekten bei Audi-Händlern in Südamerika erprobt. Der reguläre Einsatz in ersten Handelsbetrieben ist Ende 2016 geplant. Er soll in ausgewählten Märkten starten und anschließend international ausgerollt werden. Wann das System in deutsche Autohäuser kommt, ist derzeit noch unklar. Was der Hersteller mit der Datenbrille erreichen will, ist aber genau definiert: Audi bietet inzwischen über 50 verschiedene Automodelle mit Millionen möglicher Ausstattungskombinationen an. Bisher kann kein Händler diese Vielfalt seinem Kunden vorführen. Die Brille macht es möglich. Mit ihr wird die gesamte Welt von Audi im Aktentaschen-Format verfügbar. Der Verkaufsberater kann jedes Modell frei konfigurieren, und der Kunde erlebt sein Wunschfahrzeug mit der VR-Brille virtuell. Außerdem kann er zwischen verschiedenen Umgebungen wählen, in denen er das Auto betrachten möchte (z. B. Stadtumgebung, Rennstrecke etc.). Über eine spezielle Fernbedienung kann der Kunde auch selbst mit dem System interagieren, seine Position zum Auto bestimmen und zum Beispiel virtuell in das Auto einsteigen. Ob das potenziellen Käufern reicht, muss sich noch herausstellen. "Wir sehen Virtual Reality als eine sehr attraktive ergänzende Technologie für den Fahrzeugvertrieb, die den Händlern zusätzliche Möglichkeiten eröffnet und dem Kunden ein weiter verbessertes Einkaufserlebnis bietet", heißt es jedenfalls aus Ingolstadt. Durch Virtual Reality lassen sich digitale Fahrzeugmodelle mit authentischem Größeneindruck erleben und zudem sehr natürlich erkunden, da die Darstellung in der VR-Brille direkt der Kopfbewegung des Betrachters folgt. "Das Feedback aus unseren Pilotprojekten zeigt, dass auch und gerade dieser Erlebnisfaktor von unseren Kunden als echte Bereicherung beim Händlerbesuch wahrgenommen wird", so ein Sprecher der Ingolstädter. Auch Audi setzt die Brille seit diesem Frühjahr im Rahmen von Händlerschulungen ein. Die Funktionsweisen der neuesten Assistenzsysteme werden damit demonstriert. Während der Fahrt auf dem abgesperrten Gelände des Trainingszentrums am Münchner Flughafen tragen die Schulungsteilnehmer das VR-System, das eine virtuelle Realität zeigt, in die die realen Fahrbewegungen des Fahrzeugs integriert werden. Somit lassen sich beispielsweise automatisch ausgelöste Notbremsungen demonstrieren, die durch einen virtuell simulierten Fußgänger ausgelöst werden, der die Fahrbahn quert. Überschaubare Kosten Die Kosten für das Tool sollen sich nach Angaben des Herstellers in Grenzen halten. "Die kurz vor der Markteinführung stehende neue und sehr leistungsfähige Generation von Consumer-VR-Brillen wird mit Kosten von einigen hundert Euro im Vergleich zu bisherigen VR-Lösungen ausgesprochen günstig werden", erläutert Sven Schuwirth, Leiter der Marken- und Vertriebsentwicklung bei Audi. Die Kosten für den Händler werden nach seiner Aussage allerdings über dem reinen Hardware-Preis liegen, denn zusätzlich passt Audi die Brille an die sich aus dem Handelseinsatz ergebenden Bedürfnisse an und kombiniert sie beispielsweise mit einer eigenen Basisstation inklusive Fernbedienung, speziellen Bang & Olufsen-Kopfhörern und einem leistungsfähigen PC, um die Fahrzeuge in höchster visueller Qualität und Performance darzustellen. Volvo: Viel Interesse bei den Kunden Volvo lockt ebenfalls mit einer Datenbrille aus der Kooperation mit Microsoft. Anlässlich der Klubb 90 Tour hatten Interessenten für die neue 90er Limousine und den Kombi die Möglichkeit, sich mit einer "Holo Lens" genannten Brille die Wirkungsweise von Assistenzsystemen anzuschauen. Eine Testfahrt in der digitalen Kunstwelt gab es dabei allerdings noch nicht. Denn um das zu zeigen wäre mehr Zeit nötig gewesen, als es bei der Klubb Tour gab, um möglichst vielen Gästen die Möglichkeit eines Tests zu geben. Das Interesse war aber groß und die Schlange vor dieser Erlebnisinsel lang. Man kann davon ausgehen, dass diese Technik auch in die Händler-Schauräume der schwedischen Marke Einzug halten wird. Hier seien aber noch viele Entscheidungen zu treffen, heißt es aus Köln. Lexus: Mit Pappe ins Rennen Lexus hat bereits 2015 mit der neuen Technik experimentiert und gezeigt, dass auch sehr günstig ein besonderes Erlebnis erzeugt werden kann. Manchmal ist die virtuelle Welt nämlich nur einen Pappdeckel entfernt. Aus einer Vorlage aus Karton kann ein kleiner Kasten gefertigt werden. Mit einem Gummiband wird das Handy quer im Innenraum befestigt. Zwei Linsen geben den Blick aufs Display frei - und fertig ist das virtuelle 360-Grad-Kino. Dazu den RCF Test Drive aus dem App oder Google Play Store herunterladen und ab geht es auf die Rennstrecke. DS: Personalisierung erlebbar machen DS hat seinen Anspruch als Premiummarke des PSA-Konzerns auf dem Genfer Automobilsalon mit dem Einsatz einer Brille unterstrichen. Mit der Branchenlösung "Virtual Garage" von Dassault Systèmes präsentierte sie den neuen DS 3, ohne dass das Fahrzeug auf dem Stand physisch vorhanden war. Mithilfe des HTC Vive Headsets und eines Joysticks konnten Besucher den neuen DS 3 virtuell erkunden, betrachten und mit ihm so interagieren, als sei das Fahrzeug tatsächlich vor Ort: darin Platz nehmen, um das Auto herumgehen, die Farben von Dach und Karosserie ändern, die Ausstattungselemente innen und außen anpassen und die vorderen Türen öffnen und schließen. Vor kurzem zeigten die Markenverantwortlichen auch mehreren Investoren diese Lösung im DS Store in Paris. "Wenn unser Netz im Jahr 2018 steht, wird die Brille bei der Ausstattung unserer Händler eine Rolle spielen", sagte dazu ein Sprecher. Schließlich sei sie besonders gut geeignet, um die zukünftige Breite und Tiefe des Angebots erlebbar zu machen. Auch die Möglichkeiten der Personalisierung könnten so gut gezeigt werden. Die Brille sei eben ein Werkzeug des 21. Jahrhunderts für Fahrzeuge des 21. Jahrhunderts. Kurzfassung Fahrzeuge zeigen, die gar nicht vorhanden sind. Ausstattungsvarianten, Farben, Technik und Assistenzsysteme erlebbar machen. Die Brille macht's möglich. Viele Kunden wollen sie ausprobieren. Ob das letztendlich für die Präsentation reicht, muss sich noch herausstellen.

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