Notrufsystem Ecall: Anspruch auf Deaktivierung?

Nach Mitteilung des statistischen Bundesamtes von Ende Februar 2018 starben im Jahr 2017 in Deutschland 3.177 Menschen bei Unfällen im Straßenverkehr. Damit erreichte die Zahl der Verkehrstoten den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik in den fünfziger Jahren. Auch die Zahl der Verletzten ging 2017 gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent auf 388.200 Personen zurück. Diese rückläufigen Zahlen sind nachvollziehbarerweise auf die immer sicherer werdenden Fahrzeuge zurückzuführen. Es ist darüber hinaus der gemeinsame europäische politische Wille, dies insbesondere im Hinblick auf die Internationalisierung des Straßenverkehrs, durch Ausnutzung digitaler Systeme die Anzahl der Verkehrstoten und Unfallverletzten möglichst schnell und effektiv weiter zu senken. Umgesetzt wurde dieser politische Wille durch die EU-Verordnung 2015/758 über die Einführung eines Pkw-bordeigenen eCall-Systems, das unter Verwendung der europaweiten Notrufnummer 112 eine Unfallmeldung an eine Notrufzentrale versendet. Die eCall-Verordnung gilt seit dem 31.03.2018. Allgemeine und spezifische Pflichten Mit Geltung der eCall-Verordnung müssen die Hersteller allgemein nachweisen, dass alle neue Fahrzeugtypen der Klassen M 1 und N1 (mit wenigen Ausnahmen wie z. B. Kleinserienfahrzeuge) mit einem festeingebauten und auf dem 112-Notruf basierenden bordeigenen eCall-System gemäß den Vorgaben der eCall-Verordnung ausgerüstet sind. Betroffen sind somit Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge bis zur einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 Tonnen. Daneben müssen die Hersteller gewährleisten, dass alle ihre neuen Fahrzeuge nicht nur mit dem eCall-System ausgerüstet, sondern schon ursprünglich gemäß den Vorgaben der eCall-Verordnung hergestellt werden. Schließlich müssen die Hersteller nachweisen, dass alle neuen Fahrzeugtypen so konstruiert sind, dass bei einem schweren Unfall, der durch fahrzeugeigene Sensoren oder Prozessoren als solcher erkannt wird, automatisch ein eCall über die einheitliche europäische Notrufnummer 112 ausgelöst wird. Zusätzlich müssen die Hersteller nachweisen, dass neue Fahrzeugtypen so konstruiert sind, dass ein eCall-Notruf über die Notrufnummer 112 auch von Hand ausgelöst werden kann, wobei durch entsprechende Gestaltung der Betätigungseinrichtung eine Fehlbedienung zu vermeiden ist. Das Vorhalten eines eCall Systems ist in den betroffenen neu hergestellten Fahrzeugen somit gesetzliche Pflicht. Privatsphäre und Datenschutz Zwar wird bei Auslösen eines eCall-Notrufs nur ein Minimaldatensatz übertragen - namentlich Unfallzeitpunkt, Fahrtrichtung, Fahrzeugidentifikation, Service-Provider-Identifikation, Information ob automatischer oder manueller Notruf - nichtsdestotrotz handelt es sich letztlich um personenbezogene Daten. Grundsätzlich ist deshalb vom Gesetzgeber ein starker Datenschutz gewünscht. Hierfür sind in Art. 6 der eCall-Verordnung umfassende Regelungen festgelegt: - Die nach der eCall-Verordnung verarbeiteten personenbezogenen Daten dürfen nur für die Bearbeitung der speziellen Notfallsituationen verwendet werden. - Die Fahrzeughersteller haben dafür Sorge zu tragen, dass das auf dem 112-Notruf basierende bordeigene eCall-System nicht rückverfolgbar ist. - Bevor der eCall ausgelöst wird, dürfen die durch das eCall-System erfassten Daten außerhalb des bordeigenen Systems für niemanden zugänglich sein. - Die Hersteller haben in der Betriebsanleitung klare und umfassende Informationen über die Verarbeitung von Daten durch das bordeigene eCall-System darzulegen - Die Hersteller haben sicherzustellen dass das eCall-System so konzipiert ist, dass kein Austausch der hierdurch erfassten personenbezogenen Daten mit einem anderen bordeigenen Fahrzeugsystem (beispielsweise herstellereigene Erfassung und Speicherung allgemeiner und spezieller Fahrzeugdaten) möglich ist. "Zusatznutzer" dürfen sich also nicht an das eCall-System anhängen. Urteil AG Düsseldorf Wie nicht anders zu erwarten, war das bordeigene eCall-System von Anfang an Diskussionsgegenstand im Abgleich zum Datenschutz. Die widerstreitenden Interessen zwischen digitalisierter Unfallmeldung und Datenschutz waren unter anderem Gegenstand in einem Sachmängelprozess vor dem Amtsgericht (AG) Düsseldorf (Az. 44 C31 für 7/17), der mit Urteil vom 23.03.2018, somit vor Geltung der eCall-Verordnung in 1. Instanz endete. Der Fall: Im Juni 2017 erwarb ein Käufer von einem Autohaus ein Gebrauchtfahrzeug für knapp 25.000 Euro. In der Fahrzeugbestellung und in der Auftragsbestätigung war zur Fahrzeugausstattung unter anderem Folgendes ausgeführt: "M. Notrufsystem". Eine Erklärung zum Notrufsystem erfolgte durch das Autohaus weder mündlich noch schriftlich. Vier Monate nach dem Erwerb forderte der Käufer das Autohaus auf, das automatische Notrufsystem zu deaktivieren. Das Autohaus verweigerte die Deaktivierung und es kam zum Prozess vor dem AG Düsseldorf. Das AG Düsseldorf gab dem Kläger recht und verurteilte das Autohaus zur Deaktivierung des "M. Notrufsystems". Zur Begründung führte das AG Düsseldorf aus, dass mit dem Notrufsystem personenbezogene Daten erhoben würden und die gemäß Datenschutzrecht erforderliche Einwilligung des Käufers hierzu nicht vorlag. Auf die eCall-Verordnung wollte das AG Düsseldorf nicht abstellen, da diese zum Zeitpunkt des Urteils noch keine Geltung hatte. Das Urteil des AG Düsseldorf ist nicht rechtskräftig. eCall-Verordnung Seit Geltung der eCall-Verordnung sind die Fahrzeughersteller gesetzlich verpflichtet, Neufahrzeuge mit einem bordeigenen automatisch funktionierenden eCall-System auszurüsten. Eine Wahlmöglichkeit besteht für die Hersteller nicht. Es können aufgrund rechtlicher Verpflichtung den Käufern zukünftig also nur noch Fahrzeuge mit einem eCall-Notrufsystem angeboten werden. Nach Art. 6 der ebenfalls erst seit rund eineinhalb Monaten geltenden Datenschutzgrundverordnung ist die Verarbeitung personenbezogener Daten dann rechtmäßig, "wenn die Verarbeitung der Daten zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich ist, der der Verantwortliche unterliegt". Im datenschutzrechtlichen Sinne ist der Hersteller der datenverarbeitende Verantwortliche bezüglich des eCall-Notrufsystems. Einer zusätzlichen speziellen Einwilligung des Fahrzeugkäufers in die Verarbeitung personenbezogener Daten durch ein bordeigenes automatisch funktionierendes eCall-Notrufsystem bedarf es somit seit Geltung der eCall-Verordnung nicht. Kurzfassung 1. Seit 31.03.2018 gilt die sogenannte eCall-Verordnung zur Auslösung eines automatischen Notrufs durch ein bordeigenes System für den Fall eines schweren Unfalls. Die Hersteller müssen nachweisen, dass neue Fahrzeugtypen der Klassen M1 und N1 mit einem eCall System ausgerüstet sind, und müssen gewährleisten, dass ihre neuen Fahrzeuge schon ursprünglich nach den Vorgaben der eCall-Verordnung hergestellt werden.2. Bei Auslösen eines eCall-Notrufs wird ein Minimaldatensatz an personenbezogenen Daten an die Notrufzentrale übertragen.3. Art. 6 der eCall-Verordnung legt umfassende Regelungen für den Datenschutz fest. Hiernach dürfen die Daten nur für spezielle Notfallsituationen verwendet werden und die Hersteller haben insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die durch das eCall-System erfassten Daten für niemanden zugänglich sind und kein Austausch mit anderen bordeigenen Fahrzeugsystemen erfolgt.4. Nach dem (nicht rechtskräftigen) Urteil des AG Düsseldorf vom 23.03.2018 liegt ein Fahrzeugmangel vor, wenn durch ein fahrzeuginternes System außerhalb der eCall-Verordnung personenbezogene Daten verarbeitet werden, ohne dass eine ausdrückliche Einwilligung des Käufers vorliegt. Kommentar Informationssysteme - mit oder ohne "echte" Notrufeigenschaft - haben die Fahrzeughersteller schon etliche Zeit vor Geltung der eCall-Verordnung entwickelt und in ihre Fahrzeuge eingebaut. Zumeist haben die Fahrzeugkäufer für ein derartiges herstellerinternes System einen Aufpreis zu zahlen. Hingegen betrifft das Notrufsystem nach der eCall-Verordnung die Serienausstattung der Fahrzeuge, so dass ein Aufpreis hierfür nicht zu verlangen ist. Darüber hinaus ist für herstellerinterne Informationssysteme in datenschutzrechtlicher Hinsicht Folgendes zu beachten: Kauft der Kunde ein herstellerinternes Informationssystem bewusst als Zusatzausstattung, so ist hierin in der Regel eine Einwilligung in die Verarbeitung der aus dem System gewonnenen personenbezogenen Daten zu sehen, wobei für den Kunden dennoch klar sein muss, welche Daten im Einzelnen verarbeitet werden. Der Kunde ist in dieser Hinsicht aufzuklären. Wird dem Kunden allerdings ohne dessen Einwilligung ein herstellerinternes System "untergeschoben", welches personenbezogene Daten verarbeitet, so ist ein Fahrzeug nach den Grundsätzen des (nicht rechtskräftigen) Urteils des AG Düsseldorf vom 23.03.2018 mangelhaft - mit den entsprechenden Konsequenzen. Transparenz ist in jedem Fall erforderlich.Rechtsanwalt Rainer Bopp

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