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Stackmann schreibt: Brutalster Wettbewerb in Reinform – die Auslese beginnt …

Stackmann schreibt ...
Jürgen Stackmann schreibt exklusiv für AUTOHAUS.
© Foto: AUTOHAUS

Über 100 Premieren machten die Autoshow in Peking in diesem Jahr zur wichtigsten PS-Messe der Welt. Und die interessantesten Neuheiten kamen nicht aus Deutschland, sondern aus China. Was bedeutet das für das Ökosystem der Branche?

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Datum:
03.05.2024
Lesezeit:
5 min

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Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank für die rege Aufmerksamkeit und Ihr Feedback zu meiner letzten Kolumne "Crunchtime für Agenturmodelle". Ich bleibe am Ball und werde mich regelmäßig zum Thema melden. Heute möchte ich meinen Blick in die Ferne richten, nach China. Die Auto China Beijing 2024 zog eine riesige mediale Welle hinter sich her – ich nehme an, dass auch Sie entweder persönlich vor Ort waren oder der Berichterstattung eng gefolgt sind.

Und damit sind wir schon beim eigentlichen Thema: Die Autoindustrie hat augenscheinlich ihren Schwerpunkt nach China verlagert – eben auch wegen des öffentlichen Interesses. Gibt es eigentlich neben Peking und Shanghai noch weitere relevante Kraftzentren unserer so wunderbaren Industrie? Fast schon ehrfürchtig pilgern Autohersteller, Zulieferer, Analysten und Berichterstatter in die Volksrepublik, um die Fortschritte der Chinesen zu bestaunen und den Status der heimischen Produzenten zu bedauern.

Ja, es gab auch dieses Jahr wieder einige echte Überraschungen zu erleben, die uns "Deutsche" schon fast verlegen machen. Da kommt mit Xiaomi ein Handyhersteller zur Messe, der mit dem SU7 einen "Porsche" zum Volkswagen-Preis vorstellt – schaut auch zudem noch gut aus. Im Gegensatz zu Apple macht Xiaomi das halt einfach. Dementsprechend hoch sind die Ambitionen des Unternehmens – man möchte langfristig in die Top 5 der Autokonzerne aufsteigen. So weit, so gut (das haben auch schon viele andere verkündet). Der CEO von Xiaomi, Lei Jun, ist der Held der jungen Chinesen – wie es bis vor Kurzem noch Elon Musk war. Eine echte Wachablösung!

Die Analysten schwärmen, der Aktienkurs von Xiaomi gehen durch die Decke und der "Tesla-Killer" ist ausgemacht (gut so, dieses Unternehmen macht ja eh keine große Freude mehr). Die Welt und besonders die Chinesen hypen diese Neuvorstellung. Grundsätzlich: Die chinesischen Hersteller und das chinesische E-Auto-Ökosystem ist sehr innovativ, sehr kreativ, sehr leistungsfähig und "braucht" den Westen eigentlich nur noch als Absatzmarkt. Das tut weh – noch Fragen?

Warum wird dieses gute Fahrzeug zu Dumping-Preisen angeboten?

Natürlich um einen Hype zu kreieren und eine große Story zu erzählen, weil Xiaomi es kann, und weil der chinesische Markt für E-Mobile eine schon fast tödliche Kombination aus Überangebot (die installierte Kapazität übersteigt die Nachfrage um ca. 50 Prozent!) und Preisen unter Kostenniveau bietet.

Kaum ein Hersteller arbeitet mehr profitabel. Nio, eines der bekannten E-Start-ups aus der ersten Welle (sicherlich auch mit sehr guten Produkten) verbrennt jedes Jahr Milliarden Euros und tritt im Volumen auf der Stelle. Selbst beim Branchenprimus BYD brechen die Renditen ein. Die Vielzahl der chinesischen E-Auto-Marken wird nur noch durch frisches Geld von Investment-Bankern, den Regionalregierungen und der Zentralregierung am Leben gehalten. Der unglaubliche Druck auf alle Hersteller führt zu einer Zuspitzung deren Leistungsfähigkeit. Noch mehr Geschwindigkeit, noch schnelle Innovationszyklen, noch mehr Kostendruck. Brutalster Wettbewerb in Reinform – die Auslese beginnt in Kürze… Vielleicht schafft es Xiaomi durch seine weiteren profitablen Geschäftsmodelle (Smartphones usw.) doch eine Auto-Sparte nachhaltig aufzubauen. Es bleibt abzuwarten. 

Unsere deutsche Autoindustrie hatte über fast 20 Jahre einen Lauf in China und hat mit riesigen Gewinnen aus Fernost das deutsche Auto-Ökosystem gefüttert und (zu) satt gemacht. Diese Jahre sind vorüber – besonders für Volumenhersteller wie Volkswagen mit seinen Marken. Nur nebenbei bemerkt: Die Franzosen und Italiener haben sich von dort bereits komplett verabschiedet, Ford steht kurz davor, irrelevant zu werden (unter 200.000 Verkäufe p.a.).

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Die deutschen Premiumhersteller BMW, Mercedes und Audi genießen noch einen gewissen zeitlichen Schutz durch ihre Markenstärke zumindest in der älteren Käuferschicht – die jungen Chinesen stehen aber zunehmend immer mehr auf "Premium Made in China".

Ein Grund zu verzweifeln? Keineswegs! Es ist an der Zeit den Realitäten ins Auge zu blicken, zu handeln und den Kampf anzunehmen und mit den Folgen umzugehen. Globale Wettbewerbsfähigkeit, die uns so lange ausgezeichnet hat, muss zurückerarbeitet werden – je konsequenter, desto besser. Das können wir doch – warum sollte das nicht gelingen können? 

Rückzug ausgeschlossen 

Der chinesische Markt ist und bleibt der größte Einzel-Automarkt der Welt. Er ist schon heute fast Faktor 8 größer als der deutsche und wird schon bald Faktor 10 erreichen. Nur eine starke Marktposition in China erhält auf lange Sicht die globale Wettbewerbsfähigkeit. Ein Rückzug ist damit ausgeschlossen – wohin sollten wir uns denn auch "zurücknischen"? 

Die Automobilindustrie ist langzyklisch – einmal im Markt, läuft ein Fahrzeug mindestens sieben Jahre, um seine Investitionen zurückzuverdienen. Die jetzt im Markt befindlichen, "deutschen" E-Fahrzeuge, gerade im Volumenmarkt, sind nicht wettbewerbsfähig. Marktanteile und Volumen müssen also erkauft werden zu Lasten der Ertragskraft, die Position muss stark bleiben. Sei's drum. Diese Einschläge sind unvermeidlich.

Die Unternehmen werden es verkraften können, da ihre Stellung im profitableren chinesischen Verbrennermarkt, in Europa und auch den USA noch stark genug ist. Aber die Zündschnur ist bereits angezündet – viel Zeit bleibt nicht mehr. Die Analysten sollten diese gut vorausschaubaren, finanziellen Effekte jetzt einmal gesamtheitlich "einpreisen" statt jeden Monats aufs Neue erstaunt und enttäuscht darüber zu sein. Wie der Kölner sagen würde: "Et kütt wie et kütt".

Aus Deutschland für China steht vor dem Aus

Das deutsche Geschäftsmodell der abgelaufenen "Vergangenheit" bestand im Wesentlichen darin, überlegenes Know-how in Entwicklung, Produktionstechnik und Markenaufbau zu exportieren und die Wertschöpfung zu lokalisieren. So haben Volkswagen-Produkte in China zum Beispiel schon lange einen Lokalisierungsanteil von nahezu 100 Prozent aller genutzten Teile

Jetzt beginnt die zweite Phase der Entwicklung, und auch diese ist nicht zu verhindern, wenn die deutschen Unternehmen global wettbewerbsfähig bleiben wollen. Es beginnt mit der Fahrzeugentwicklung, die hierzulande prozessual zu langsam, kostenseitig zu teuer, nicht innovativ, kreativ und mutig genug ist. Die letzten in Deutschland von Volumenmarken entwickelten E-Fahrzeuge befinden sich im Markt oder werden gerade vorgestellt. Mit diesen muss noch mindestens drei bis vier Jahre "durchgehalten" werden.

In China für China

Volles Augenmerk muss jetzt der lokalen Entwicklung im chinesischen Ökosystem gelten. Chinesisches Tempo ("China-Speed") bekommt man nur vor Ort mit einheimischen Partnern und Zulieferern im tagtäglichen Kampf mit dem lokalen Wettbewerb. Grundvoraussetzung dafür ist der Aufbau einer "legal entity" im überwiegenden Mehrheitsbesitz des deutschen Unternehmens in China – wie es zum Beispiel Volkswagen in Heifei hält. Nur so lässt sich das "intellectual property" von Entwicklungs-Know-how schützen und dauerhaft nutzbar machen. 

Die bisher sehr erfolgreichen Joint Venture-Strukturen, in denen nur 50/50 Anteile gehalten werden, bieten leider keinen erfolgversprechenden Weg in die Zukunft. Zumal die Partner dieser "Vergangenheit" sich immer stärker als eigenständige Wettbewerber im Markt positionieren (siehe zum Beispiel MG Motor von SAIC). Nur die große Volumenabhängigkeit der chinesischen JV-Partner von deutschen Marken lässt das etablierte System momentan noch funktionieren.

Neue Partnerschaften müssen geschlossen werden, um die Innovationskraft Chinas für Deutschlands Autobauer nutzbar zu machen. Gewöhnen wir uns also an neue Namen, die von elementarer Zukunft für uns sind. Goshn, Horizon Robotics, Xpeng, Baidu, um nur einige zu nennen. Sogar Stellantis sucht einen Neustart durch eine Großinvestitionen in Leapmotor. 

Einzig die erfolgreiche Umsetzung dieses neuen Netzwerkes sollte im Mittelpunkt unserer Betrachtung bleiben – hier entsteht entweder nachhaltige Zukunft für Deutschland in China oder "Tschö China" (um die Kölner noch einmal zu bemühen). Das Rezept scheint erkannt, man kann den handelnden Vertretern der deutschen Unternehmen in China nur die Daumen drücken und diese aus Deutschlands Zentralen dabei zu 100 Prozent unterstützen. Zögern und zaudern wird leider erbarmungslos bestraft werden.

Was heißt das jetzt für das deutsche Auto-Ökosystem? Die Auslagerung von Entwicklungskompetenz nach China wird natürlich mittelfristig den Abbau von Arbeitsplätzen und damit der Wertschöpfung hier im Lande deutlich beschleunigen. Was in China entwickelt wird, braucht hier keine Entwickler mehr, keine lokale Planung, keine Tester, keine Qualitätsingenieure. Der Abbau erfolgt mindestens 1:1 – in Wahrheit aber sogar noch darüber hinaus, da sich das Gesamtsystem auch im globalen Wettbewerb verschlanken muss.

Erst nach Wiedererlangen der Wettbewerbsfähigkeit in China kann über "re-growth", also Wiederaufbau, nachgedacht werden. Das gilt für die Hersteller wie für das bislang so starke System der Zulieferer – hier ist der Veränderungsdruck schon viel weiter fortgeschritten.

Deutschland braucht also dringend einen gesamtwirtschaftlichen Plan, um die Phase des Schrumpfens positiv anzunehmen und einen Wiederaufschwung danach aktiv zu gestalten. Wahrscheinlich sogar einen europäischen Plan wie ihn Luca de Meo in seinem offenen Brief an "Europe" unlängst eingefordert hat.

Marke, Marke, Marke 

Den stärksten Schutz vor "Verfall" in der Umbruchszeit bieten starke, von Konsumenten getragene Marken. Diese Basis haben die deutschen Hersteller in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich gelegt. Ein Ruhepolster bietet diese gute Ausgangslage jedoch bei weitem nicht. Traditionelle Markenwerte müssen durch Innovationen aufgefrischt und mutig vorangetrieben werden. 

Die vergangenen Jahre haben im Westen gezeigt, wie schnell sich die intellektuelle junge Elite von neuen faszinierenden Geschichten angezogen fühlt (Tesla!) und damit gut etablierte Platzhirsche auf einmal "alt" wirken lässt. Der gleiche Trend zeigt sich jetzt in China erneut – die junge Elite sucht nach Unternehmensgeschichten, die zu ihnen und ihrer Generation passen. Hier sind die Marketeers der deutschen Hersteller gefragter denn je! 

Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch mein persönliches Highlight der Pekinger Automesse verraten: Hier lohnt es sich auf YouTube nach "Xiaomi SU7 accessories" zu suchen. Dort gibt es für den ansonsten durchdigitalisierten China-Star ein besonderes Zubehör zu erwerben. Per magnetischem "Click" kann der Kunde eine Bedienleiste mit Knöpfen hinzufügen – welch eine grandiose Idee! Ich nenne dies die "Generationen-Leiste", die älteren Menschen wie mir einen bedienbaren Zugang zum digitalen Overkill ermöglicht. Liebe deutsche Hersteller, macht es doch bitte jetzt nach chinesischer Art. Gute Dinge sollten sofort kopiert werden!

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Zum Autor

Jürgen Stackmann zählt zu den bekanntesten Automanagern Deutschlands. Unter anderem war er im Vorstand der Hersteller VWSeatSkoda und Ford tätig. Er gilt als Experte für die Bereiche Management, VertriebMarketing und Finanzen.

Seit 2021 hat Stackmann einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU). Zudem ist er Direktor des Institutes für Mobilität an der Universität St. Gallen. Seit 2024 verfasst der Branchenkenner exklusiv die Kolumne "Stackmann schreibt" für AUTOHAUS.




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KOMMENTARE


Theo Ribert

03.05.2024 - 17:57 Uhr

„die rege Aufmerksamkeit und Ihr Feedback zu meiner letzten Kolumne "Crunchtime für Agenturmodelle".“ Allerdings ist unter der letzten Kolumne von Jürgen Stackmann nur ein (1) Kommentar zu finden, alles andere an Feedback fand also nicht sichtbar auf dieser Plattform statt. Schade, dass somit nicht oder kaum im Öffentlichen darüber diskutiert wurde oder wird. Sollte mehr geschehen. Dies als Anregung. Danke.


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