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von 15: Prof. Dr. Norbert Lammert setzte mit seiner Rede zum Thema "Wirtschaft und Ethik" das besondere Highlight des Abends. Lammert meinte zwar, dass das Thema sehr aktuell sei, aber wenig Eignung für eine Jubelrede hergebe. Lammert, von 2005 bis 2017 Bundestagspräsident und zu seiner letzten Wahl mit 94 Prozent der Stimmen aller (!) Abgeordneten bestätigt bewies auch an diesem Abend, dass er stets das Ganze im Blick hat. Und doch, die Finanzwelt dominiert die Realwelt. Und da lässt sich nicht alles gesetzlich regeln. Vieles in der Gesellschaft sollte sich aus der Gesellschaft heraus selbst regeln. Geistig trug er alles andere als Schonkost vor. Lammerts Rhetorik strahlt Ruhe, Überlegung, Kraft, die Macht des Wortes, aber auch große Nachdenklichkeit aus. Er unterstreicht das durch seine gezielten Rede-Pausen. Langanhaltender Beifall für einen großartigen Jubiläumsvortrag.
Nachstehend einige Inhalte:
Lammert stellte vorweg die Grundsatzfrage, ob Wirtschaft und Ethik möglich sind und zeigte dazu einige Entwicklungsstufen auf. Er zitierte Nikolaus Luhmann, Soziologe und Systemtheoretiker: "Meine Vermutung ist, dass die Wirtschaftsethik zu der Sorte von Erscheinungen gehört, wie auch die Staatsraison und die englische Küche, die in der Form eines Geheimnisses auftreten, weil sie geheim halten, dass sie gar nicht existieren." Inzwischen ist aufgrund der aktuellen Erfahrung der Glaube an die Existenz der englischen Küche wesentlich stabiler, als das Vertrauen in das Wirken der Staatsraison.
Ein anderer Gedanke. Lammert zitierte seinen hochgeschätzten Kollegen Peer Steinbrück: "Mich bedrückt das Ausmaß an Eliteversagen, über das die Gesellschaft weitere Halte und Fixpunkte verliert... Steuerhinterziehung, Steuerbetrug als Verstecken von Einkommen und Vermögen, die Risikoignoranz von Bankern, krummen Geschäfte ihrer Institute, die Manipulation der Deutschen Automobilindustrie, das Auftreten eines Spitzenmanagements, dessen Winkelzüge in einem umgekehrten proportionalen Verhältnis zu ihren strategischen Fähigkeiten und ihren Vergütungen stehen, Beschädigung des deutschen Markennamens der deutschen Wirtschaft über teilweise kriminelle Aktivitäten, die skandalösen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und deren jahrelange Vertuschung, die Korrumpierung des Fußball durch Fifa und Uefa, Transferleistungen und Spielergehälter, mit opportunistischem Olympische Komitee an der Spitze, und schließlich auch der teilweise selbstverschuldete Glaubwürdigkeitsverlust von Politik und Medien, der sich in einer Politik- und Medienverdrossenheit manifestiert." Frei erfunden sei das alles nicht, so Lammert. Man stößt in der Gesellschaft überall auf verlorenes Grundvertrauen. Lammert sieht die Ungleichheit vor allem grundsätzlich darin, dass es oft keinen plausiblen Zusammenhang mehr gibt zischen Leistung und Einkommen bzw. Vermögen.
Das Positionspapier der deutschen Arbeitgeber macht deutlich, dass Ethik und Ökonomie keine Gegensätze sind. Die Problemlösungen sehen aber faktisch anders aus. Zuletzt war man mit Einbruch der Sowjetunion und dem Arabischen Frühling der Auffassung, dass alle wesentliche Grund- und Systemfragen gelöst seien und sich die liberale Demokratie durchsetzt. Die heutige Realität - was für ein Konzept! Es sind die Fortschritte der Mobilitätstechnologie, die die große Veränderung erzeugt, nachdem heute jede Information sogleich auf der ganzen Welt verfügbar ist. Es verändert dich alles und immer schneller, ohne dass man darauf Einfluss nehmen kann. Die Globalisierung lässt sich nicht verhindern. Sie findet statt. Jeder wird erkennen dass sie sich mit den Möglichkeiten des Nationalstaates nicht regeln lässt. Dabei ist festzustellen, dass sich die Finanzwelt viel dynamischer als die Realwirtschaft entwickelt. Wie ist die Neuvermessung von Politik und Ökonomie vorzunehmen? Man darf die Märkte sich nicht selbst überlassen.
Ludwig Erhard, Vater des Wirtschaftswunders. Das war er nicht – so Lammert -, sondern das Wirtschaftswunder war Ergebnis nachprüfbarer, nachvollziehbarer Entscheidungen kluger Frauen und Männer in Politik und Wirtschaft. Ludwig Erhard: "Freiheit, die sozialökonomisch oder politisch in ein umfassendes Ordnungssystem eingespannt und damit gebändigt ist, oder auch um keine moralische Bindung weiß, wird immer im Chaotischen entarten." Anschließend meinte der Festredner: "Ethische Orientierungen erfolgen oder erfolgen nicht durch Menschen. Jeder hat Verantwortung zu übernehmen, in der Familie, im Beruf, auch für das eigene Land."
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Foto: Prof. Hannes Brachat