AH: Herr Bagaric, wie digital sind in Ihren Augen inzwischen der Autohandel und das Werkstattgeschäft?
K. Bagaric: Digitalisierung ist ja im Grunde nichts Neues mehr. Mittlerweile sind hier viele Wirtschaftszweige in Deutschland bereits gut unterwegs. Nur das Gesundheitswesen und der Automotive-Bereich hinken immer noch hinterher. Ich sehe da durchaus Parallelen zwischen beiden Branchen: Beide hatten bis zur Corona-Pandemie keinen Druck, Prozesse zu digitalisieren. Außerdem finden sowohl die Termine beim Arzt als auch im Autohaus oder der Werkstatt vor Ort statt. Denn ein Arzt muss einen Menschen untersuchen, genau wie der Mechaniker das Fahrzeug.
AH: Dazu kommt, dass die Automobilbranche um ein Vielfaches komplexer ist als der gewöhnliche Einzelhandel.
K. Bagaric: Wir haben unter anderem mit der Hochschule der Medien in Stuttgart mehrere Projekte gestartet, um die verschiedenen Stakeholder und Marktteilnehmer mit deren Anforderungen besser zu identifizieren. Und das sind sehr viele, denn bei einem Fahrzeug geht es ja quasi von der Fahrzeugauswahl durch den Kunden bis hin zur Inzahlungnahme und Verschrottung. Dies alles digital abzudecken kann bei einem so heterogenen Markt meiner Meinung nach nur durch Kooperationen zwischen verschiedenen Technologie-Anbietern gelingen. Mit Topmotive haben wir beispielsweise ein DMS und Systeme für das Werkstattmanagement im Portfolio. Gleichzeitig entwickeln wir aber auch einige unserer Produkte in einzelnen Elementen weiter, um mehr Schnittstellen und dadurch Kommunikation zwischen den Systemen zu schaffen.
"Neue Lösungen müssen Convenience schaffen und Prozesse für die Kunden vereinfachen."
Krunoslav Bagaric, Geschäftsführer Topmotive
AH: Wen sehen Sie als Haupttreiber bei der Digitalisierung?
K. Bagaric: Die Digitalisierung muss ja letztlich beim Endkunden ankommen. Da sind wir noch zu weit davon entfernt. Neue Lösungen müssen Convenience schaffen und Prozesse für die Kunden vereinfachen. Die Prozesse laufen meist abgeschnitten voneinander, weil die verschiedenen Stakeholder im Prozess nicht miteinander kommunizieren. Deshalb weiß ein Kunde in der Regel nicht, was mit seinem Fahrzeug passiert, wenn es in der Werkstatt ist. Ein digitales Statusupdate ist theoretisch inzwischen kein Problem mehr. Deshalb sollten wir uns auf Kooperationen und die Entwicklung neuer Technologien konzentrieren. Herstellermarkt und Aftermarkt brauchen einander. Deshalb sollten OEM und andere Marktteilnehmer gemeinsam diese Entwicklungen vorantreiben.
AH: Warum verlangen die Kunden im Autohandel nicht stärker nach digitaler Technik, wenn sie es aus anderen Branchen eigentlich gewohnt sein müssten?
K. Bagaric: Viele Kunden kennen digitale Prozesse zwar aus anderen Branchen. Im Autohandel fordern sie es aber erst seit kurzer Zeit ein. Ganz einfach, weil sie es gewohnt waren, dass hier die meisten Abläufe seit vielen Jahren noch analog stattfinden. Die Kunden wissen oft nicht, dass vieles auch digital möglich wäre. Es erinnert ein wenig an das Henne-Ei-Problem.
"Die Kunden wissen oft nicht, dass vieles auch digital möglich wäre. Sie sind es gewohnt, dass hier die meisten Abläufe seit vielen Jahren noch analog stattfinden."
Krunoslav Bagaric, Geschäftsführer Topmotive
AH: Was bremst Ihrer Meinung nach noch die Digitalisierung im Autohandel?
K. Bagaric: Das Thema Datenschutz ist in Deutschland besonders sensibel. Natürlich hat die Sicherheit der Kundendaten höchste Priorität, aber allzu oft verzögern sich in Deutschland Innovationen, weil man sich an das Thema nicht so recht rantraut. In einem unserer Projekte, dem Portal fahrzeugschein.de, können Kunden ihre Fahrzeugpapiere digitalisieren. In dem generierten Code werden via KI und Blockchain weitere Dokumente wie der TÜV-Bericht usw. angehängt. Allerdings verlangt die deutsche Polizei immer die originalen Papierdokumente.
Während sich die deutschen Behörden auf unsere Nachfrage damit nicht auseinandersetzen, haben uns österreichische Behörden im Gegensatz dazu zum Gespräch eingeladen. Innovationen sind notwendig, doch leider werden oft nur die Gefahren und nicht die Möglichkeiten gesehen.
"Bevor ich mich für ein Tool entscheide, sollte ich als Geschäftsführer genau überprüfen, wie mein Betrieb überhaupt arbeitet. Auf keinen Fall sollte man nur nach den Kosten gehen."
Krunoslav Bagaric, Geschäftsführer Topmotive
AH: Worauf sollte man achten, wenn man den Servicebereich digital fit machen möchte?
K. Bagaric: Die beste Software, zum Beispiel das DMS, bringt nichts, wenn die Kunden- und Fahrzeugdaten nicht vollständig erfasst werden. In der Regel dauert eine FIN-Abfrage in solchen Systemen weniger als eine Minute. Auch wenn es einen kleinen Geldbetrag kostet, ist der Nutzen für die Zukunft enorm.
AH: Welche Rolle spielt die Auswahl der IT-Systeme?
K. Bagaric: Eine wichtige! Bevor ich mich für ein Tool entscheide, sollte ich als Geschäftsführer genau überprüfen, wie mein Betrieb überhaupt arbeitet. Auf keinen Fall sollte man nur nach den Kosten gehen. Sämtliche Prozesse sollten durchgängig papierlos sein und die Arbeitsweisen in allen Abteilungen danach entsprechend ausgerichtet werden. Ein elektronischer Lieferschein spart Zeit und sorgt nicht nur für Transparenz. Er kann auch für Kundeninteraktionen der Marketingabteilungen genutzt werden, beispielsweise für Geburtstagsgrüße oder Service-Erinnerungen. Auch bei den Mitarbeitern müssen die neuen Prozesse in Fleisch und Blut übergehen.
"Die beste Software, zum Beispiel das DMS, bringt nichts, wenn die Kunden- und Fahrzeugdaten nicht vollständig erfasst werden. In der Regel dauert eine FIN-Abfrage in solchen Systemen weniger als eine Minute."
Krunoslav Bagaric, Geschäftsführer Topmotive
AH: Wird irgendwann alles im Handel digital sein?
K. Bagaric: Digitalisierung ist nur zur Unterstützung gedacht. Als der Hype um die Künstliche Intelligenz losging, dachten viele, dass bald alle Entwickler arbeitslos sein würden. Aber da sind wir noch lange nicht. Bei den Kunden gibt es unterschiedliche Erwartungshaltungen. Gerade im Premiumsegment wird noch vieles analog und vor Ort passieren, weil diese Kundschaft den besonderen Service und Zuwendung durch die Mitarbeiter eher erwartet. Aber im Volumenmarkt mit täglichen Auslieferungen und Reparaturen müssen die Prozesse schlank und digital sein, um die Geschwindigkeit zu halten.
AH: Gerade die neuen Player im Markt setzen im Vertrieb auf digitale Prozesse, beim Service ist das jedoch nicht möglich. Inwiefern wird das den Aftermarkt verändern?
K. Bagaric: Das kommt auf den Player an. Ein OEM, der eine elektrische Sub-Brand auf den Markt bringt, hat schon viel Erfahrung mit Servicenetzen. Der wird keine Probleme haben, sich entsprechend zu positionieren. Neue Player zum Beispiel aus China müssen über kurz oder lang mit erfahrenen Servicebetrieben kooperieren. Da bleibt keine Zeit, etwas Eigenes aufzubauen. Dies erzeugt Druck zur Flexibilisierung: Es wird mehr Kooperationen und Technologiesprünge geben, weil sich die Durchlaufzeiten dank der besseren Datenverfügbarkeit in den Systemen und den vernetzten Fahrzeugen verkürzen. In der Folge werden sich vermutlich mehr Servicebetriebe auf einzelne Marken oder Reparaturen spezialisieren.
"Im Volumenmarkt mit täglichen Auslieferungen und Reparaturen müssen die Prozesse schlank und digital sein, um die Geschwindigkeit zu halten."
Krunoslav Bagaric,
Geschäftsführer Topmotive
AH: Ist für Sie als IT-Dienstleister die Beratung aufwändiger als die eigentliche technische Umsetzung?
K. Bagaric: Die Beratung kostet wesentlich mehr Zeit. Ich habe höchsten Respekt vor den Unternehmern und Geschäftsführern im Autohandel. Aber viele scheuen die Veränderung, weil die Effekte der Digitalisierung vielleicht nicht sofort spürbar sind oder die alten Prozesse noch irgendwie funktionieren. Am Ende setzt sich die Technik jedoch durch. Wir möchten Impulse setzen, um den Handel bei der digitalen Transformation zu unterstützen.
AH: Herr Bagaric, vielen Dank für das Gespräch!