Herbert Gilbert fährt immer schon VW. Immer waren es Benziner und immer war er zufrieden. Mit dem Diesel begann der Ärger, und nun steht Gilberts Sharan 2.0 TDI match sozusagen Pate für Zigtausende andere Autos von Volkswagen, deren Besitzer Schadenersatz verlangen, weil sie sich im Dieselskandal getäuscht und betrogen fühlen. Am Dienstag (9.30 Uhr) verhandelt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe erstmals in einem der sogenannten VW-Verfahren. Ganz konkret geht es darin um Herbert Gilberts Sharan, aber darüber hinaus um noch sehr viel mehr - für die zigtausend Kläger und auch für VW. (Az. VI ZR 252/19)
Der Fall:
Im Januar 2014 kauft Gilbert seinen Sharan bei einem freien Händler. Gebraucht, 20.000 Kilometer auf der Uhr, für 31.490 Euro brutto. Unter der Haube steckt ein Diesel-Motor vom Typ EA 189 - mit einer unzulässigen Abgastechnik, die, wie sich im Herbst 2015 herausstellt, dafür sorgt, dass das Fahrzeug die Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht aber auf der Straße einhält. Gilbert klagt gegen VW, will sein Fahrzeug zurückgeben und dafür das Geld zurück.
Das Landgericht Bad Kreuznach in Rheinland-Pfalz wies die Klage im Oktober 2018 ab. Das Oberlandesgericht Koblenz als nächsthöhere Instanz entschied im Juni 2019 anders: VW schuldet dem Käufer Schadenersatz, muss das Fahrzeug zurücknehmen und dafür 25.616,10 Euro nebst Zinsen zurückzahlen. Das ist der Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsentschädigung. Gilbert aber will den vollen Preis zurück, geht in Revision. Auch VW geht gegen das Urteil vor. Der Autobauer will gar nicht zahlen. Nun muss der 6. BGH-Zivilsenat entscheiden. Am Dienstag ist aber noch kein Urteil zu erwarten.
Die Argumente:
Wie viele Diesel-Besitzer argumentiert auch Gilbert: Hätte er gewusst, was für eine Software da in seinem Fahrzeug steckt, hätte er es nie gekauft. Er habe ein sauberes Auto haben wollen und der Werbung geglaubt. Nun fühle er sich getäuscht. Das OLG Koblenz gab ihm recht und sah im Verhalten von VW eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung. Der Autobauer habe Behörden, Wettbewerber und Verbraucher zur Maximierung seines Profits systematisch getäuscht. Und statt eines uneingeschränkt zugelassenen Fahrzeugs habe der Käufer ein Auto bekommen, das von Betriebsuntersagung und Stilllegung bedroht sei.
"Diesen Vertrag hätte kein Käufer abgeschlossen, wenn er gewusst hätte, welche Unwägbarkeiten damit verbunden sind", sagt Anwalt Alexander Voigt von der Potsdamer Kanzlei Goldenstein & Partner, die neben Gilbert nach eigenen Angaben noch rund 21.000 weitere VW-Besitzer in anderen Verfahren vertritt.
VW sieht das ganz anders: Das Fahrzeug sei zu jeder Zeit voll nutzbar gewesen, somit sei auch kein Schaden entstanden, der nun ersetzt werden müsste. Es habe durch die Software auch keinen Wertverlust gegeben, und sollte doch ein Mangel oder Schaden entstanden sein, dann sei der in jedem Fall mit dem Software-Update behoben worden.
Eine Besonderheit sieht der Autobauer zudem darin, dass es sich um einen Gebrauchtwagen handelt. Am Verkauf sei man ja gar nicht beteiligt gewesen, habe also den Kunden auch nicht täuschen können, argumentiert VW. Auch vom Kaufpreis habe der Konzern nichts bekommen.
Anwalt Voigt hält dagegen, die Täuschung liege ja schon darin, dass VW alle glauben gemacht habe, die Fahrzeuge seien okay und es drohe keine Stilllegung. Ob es nun um einen Neu- oder Gebrauchtwagen geht, hält er daher nicht für relevant.
Die Folgen:
Mit ihren Urteilen geben die obersten deutschen Zivilrichter in aller Regel die Linie vor, an der sich untere Instanzen dann orientieren. Gerade im VW-Dieselskandal kann von einheitlichen Entscheidungen bisher keine Rede sein. Wichtig dürfte vor allem die Antwort auf die grundsätzliche Frage sein, ob VW den Autokäufern wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung Schadenersatz schuldig ist oder nicht. Denn selbst das wird mangels Grundsatzurteil von den Gerichten bisher sehr unterschiedlich gesehen.
Auch der sogenannte Nutzungsersatz, also der Abzug eines Teils des Kaufpreises bei Rückerstattung, ist ein zentraler Punkt des aktuellen Falls. Daneben gibt es aber unzählige Details, deren Bedeutung der BGH wohl eher nach und nach im Zuge weiterer Verfahren klären wird: der Zeitpunkt des Autokaufs vor oder nach Bekanntwerden des Dieselskandals, mögliche Verjährungsfristen, Software-Update ja oder nein, die Laufleistung der Fahrzeuge oder die Frage nach Zinsen auf den Kaufpreis.
Bisher hat sich der BGH nur ein einziges Mal zum Dieselskandal bei VW geäußert. Anfang 2019 hielt ein anderer Senat in einem sogenannten Hinweisbeschluss fest, dass in einer unzulässigen Abgastechnik ein Sachmangel zu sehen sein dürfte. Allerdings ging es dabei um das Kaufrecht und nicht um eine Schadenersatzforderung.
Drei weitere Schadenersatz-Verfahren mit jeweils anderen Fallkonstellationen hat der BGH schon für den Juli terminiert, darüber hinaus liegt inzwischen eine dreistellige Zahl an weiteren Verfahren beim zuständigen 6. Zivilsenat. Das letzte Wort zum Dieselskandal bei VW wird daher auch beim BGH noch lange nicht gesprochen sein. (dpa)
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