Ausgabe 12/2009: Das Millionenspiel

Das Millionenspielschadenmanagement E Versicherungswirtschaft, Automobilindustrie und weitere Unfallschadenabwickler versuchen, ihre Marktanteile auszubauen.von walter k. pfauntsch und karsten thätnerEgal, ob heute oder vor 100 Jahren: Ein Autounfall ist eine ärgerliche Angelegenheit, die seit jeher eine ganze Reihe von Interaktionen verschiedener an der Instandsetzung Beteiligter auslöst: Die Fahrzeughalter bemühen sich bei ihrer bzw. der gegnerischen Versicherung um Schadensersatz, Kfz-Sachverständige begutachten die Höhe der Reparaturkosten, Karosserie- und Lackbetriebe bzw. Marken-Autohäuser versuchen, Unfallfahrzeuge möglichst in ihre Werkstatt zu holen. Im Laufe der Zeit kamen – neben den schon früher eingeschalteten Gerichten, Rechtsanwälten und Unfallfahrzeug- bzw. Schrotthändlern und Verwertern – weitere Instanzen hinzu: Elektronische Restwertbörsen von AUTOonline über car.tv, car.casion, W.O.M. und WIN.value erleichtern die Vermarktung von Totalschadenfällen. Prüfdienstleister wie ControlExpert, Eucon, ICAM oder 3C checken Gutachten und Kostenvoranschläge bereits vorab auf Plausibilität und Richtigkeit, die Kalkulations- und Datenanbieter Audatex, DAT oder Eurotax offerieren eine Vielzahl von Dienstleistungen rund um die Abwicklung von Unfallschäden. Richtig interessant wurde es jedoch erst in den letzten zehn bis 15 Jahren.Neue Strukturen entwickeln sichDenn im Laufe dieser Phase, vor allem durch die Liberalisierung des Versicherungsmarktes und die Einführung elektronischer Unterstützung, hat sich das jahrzehntelang eingespielte Gefüge zwischen Kfz-Versicherung, Reparaturbetrieb und Sachverständigem mehr und mehr verändert. Die oft gewachsenen Strukturen aus persönlichen Bekanntschaften und alten Geschäftspartnern sind modernen Prozessen per EDV gewichen. Die Assekuranzen sind vom reinen „Payer“ zum aktiven Player geworden, der versucht, die Abwicklung möglichst schnell und kostengünstig über die Bühne zu bekommen. Kfz-SV wurden nach und nach immer weiter zurückgedrängt, auch durch die Vielzahl von Betrieben, die in der Zwischenzeit begonnen haben, Schäden selbst zu kalkulieren. Kurzum: Schadenmanagement hat, Mitte der 1990er Jahre erstmals und seit der Jahrtausendwende mit Macht, Einzug gehalten in die Abläufe der deutschen und europäischen Unfallschadenabwicklung. Reparaturvermittler kommen auf Zunächst stießen die entsprechenden Marktaktivitäten auf große Widerstände: Die Niederlassung einer deutschen Tochter der britischen Motorcare wurde 1996/97 von vielen Branchenplayern rundweg abgelehnt. Kostenloser Leihwagen, Fahrzeugreinigung und kostenloser Hol- und Bringservice etablierten jedoch Standards, die heute gang und gäbe sind. Jahre später, aus Motorcare ist längst die Innovation Group geworden, haben sich diese Wogen geglättet. Konkurrenzunternehmen wie Reparatur-Partner-Direkt, später Nobilas (heute als innovation-nobilas Teil des „Ex-Motorcare“-Konzerns) oder Europ Assistance profitierten von der Pionierarbeit der Stuttgarter. Ebenfalls bereits 1998 etablierte der Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugbau (ZKF) mit seiner Eurogarant AutoService AG ein eigenes Werkstattnetzwerk, um seine Marktanteile zu sichern. aAssekuranzen machen mobilVorreiter auf der Versicherungsseite waren neben der Württembergischen vor allem HDI, AXA, DEVK, Gerling, HUK-Coburg, LVM, R+V, Signal Iduna, Victoria und die Westfälische Provinzial. Erst als die Allianz, unter Kraft-Schadenchef Dr. Gerhard Küppersbusch, mit Direktabkommen zu Ford, Mercedes-Benz, Renault und VW/Audi ins Geschäft einstieg, nahm Schadenmanagement in Deutschland an Fahrt auf. Weiter forciert wurde das Thema durch die Etablierung erster Abwicklungsplattformen wie Dekra Schadennetz (DSN), AIDA oder ClaimsNet. Die Zeit der „digitalen Schadenakten“ sollte noch kommen – den ersten Gehversuchen war allerdings, mangels einheitlicher Daten- und Kommunikationsstandards, die später der GDV zu setzen verstand, nur wenig Erfolg beschieden: Noch schien der Widerstand der Branche gegen die neue „Schadenära“ unüberwindlich. Eben angesprochener GDV, der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, griff 1999 an einer zweiten Front ins Geschehen ein: Mit der Sicherung des Erstzugriffs auf die Notrufsäulen an deutschen Autobahnen wollte die einflussreiche Branchenvertretung „100 D-Mark“ pro Fall einsparen. Mehr noch – gemeinsam mit der Automobilwirtschaft (VDA, VDIK und ZDK) entwarf man ein Schadenmanagementpapier, das als Vorlage aller Einzelvereinbarungen gelten sollte. Automobilwirtschaft rüstet sichGanz im Gegensatz zu den Verbänden waren sich Automobilhersteller darüber im Klaren, dass jedes Fahrzeug, das über die Versicherung in einen freien „Vertrauensbetrieb“ fand, für die eigene Handels- und Serviceorganisation verlorenen Umsatz bedeutete. So stellte Anfang 2001 Marktführer VW in Person des damaligen Servicechefs Knut Schüttemeyer die markeneigene Not & Dienst Zentrale in Köln vor: Über die Vanitynummern 0800-VOLKSWAGEN bzw. 0800-VWSERVICE sollten Autofahrer nach Unfall oder Panne zum nächstgelegenen VW-Partner geführt werden. Eine Weiterentwicklung des Systems stellte die „mobile Notrufsäule“ dar, die über das Handy des Kunden ebenfalls Kontakt zum Hersteller-Call Center vermittelte. Werkstattbindung allenthalbenDie Fronten, die die nächsten fünf Jahre des Schadenmanagements in der Branche bestimmen sollten, standen also bereits Anfang dieses Jahrtausends fest: auf der einen Seite die Versicherungswirtschaft, die gemeinsam mit ihren Partnerbetrieben große Stücke des Unfallschaden-Kuchens für sich reklamierte, dort die Automobilindustrie, die über die Auslastung ihrer eigenen Partner hinaus mittels Forcierung von Financial Services und Mobilitätsangeboten der hauseigenen Banken und Versicherungsservices ihrerseits auf dem Gebiet der Assekuranzen zu wildern begann. Gelungene Konzepte wie BMW Unfallmanagement oder die speziell zertifizierten Volkswagen Unfallspezialisten waren das unmittelbare Ergebnis dieser Auseinandersetzung. Mit der Verabschiedung eines neuen Rechtsdienstleistungsgesetzes wurde zudem eine wichtige Rahmenbedingung für die weitergehende Kundenbetreuung durch Instandsetzungsbetriebe geschaffen. Zusätzliches Öl ins Feuer goss 2005 der Kölner Gothaer-Konzern, der mit einer Wiederbelebung der zuvor bereits im kleineren Rahmen gescheiterten Kasko-Police mit Werkstattbindung die eindeutige Schadenlenkung vertraglich verankerte und den Kunden dafür mit Prämienrabatten belohnte. Gemeinsame WerkstattpartnerPerfektioniert wurde dieser Ansatz rund ein Jahr später von der HUK-Coburg, die zunächst hart für das Durchpeitschen ihrer eigenen Interessen gescholten wurde. Die Erfolgsgeschichte von Kasko Select, die bis dato mehr als eine Million Kunden an das eigene Partnernetz von Reparaturbetrieben gebunden hat, startete im April 2006. Auf die Nummer 2 im deutschen Kfz-Versicherungsmarkt folgten mit der AXA, CosmosDirekt, DEVK, Europa, HDI, VHV und WGV schnell weitere namhafte Branchenplayer. Durch die gemeinsame Nutzung des HUK-Coburg Werkstattnetzes mit der AMB Generali Gruppe, des Gothaer Konzerns sowie der Concordia konnte den Betrieben mit der Zeit auch genügend Auslastung zugeführt werden – einer der wunden Punkte aller bisherigen Schadenmanagementkonzepte. Den gemeinsamen Anstrengungen der Schadenlenker und -wegsteuerer stellte sich schließlich Konkurrenz aus einer unerwarteten Richtung entgegen. Zweikampf an der SpitzeMit der Forcierung seines Fairplay-Konzepts eröffnete der Münchner Branchenprimus Allianz eine weitere Front im Schadenmanagement – oder gerade eben nicht. Gemeinsam mit dem ZKF wurden Regeln vereinbart, die eine weitgehende Automatisierung der Schadenregulierung erlauben, dabei jedoch allen Beteiligten ein auskömmliches Wirtschaften ermöglichen. Neben den freien Instandsetzungsbetrieben und Eurogarant schlossen sich innerhalb der letzten Monate auch einige Fahrzeugmarken dem Fairplay-Gedanken an: Opel, Ford, Mercedes-Benz und BMW stehen als Partner an der Seite der Allianz, die den Zweikampf mit der HUK-Coburg um die Spitze des deutschen Versicherungsmarktes nun gleich auf mehreren Schauplätzen austrägt. Tatsache ist, dass dieses Wettrennen der Giganten einen Großteil der Medien- und Branchenaufmerksamkeit auf sich zieht und den anderen Marktteilnehmern deutlich mehr Spielraum lässt, in Ruhe ihre Konzepte umzustrukturieren und Nischen zu besetzen. Eindeutiger AusblickWelche weiteren Marktentwicklungen sind nun für die nächsten fünfzehn Jahre Schadenmanagement zu erwarten? Fraglich ist an dieser Stelle vor allem die Zukunft der Kfz-Sachverständigen, die schon in der Vergangenheit versucht haben, sich durch das gezielte Besetzen von Nischen unverzichtbar zu machen. Dennoch laufen die Bemühungen der großen Marktplayer darauf hinaus, die Einschaltung kostentreibender Gutachter beim „Standardfall“ möglichst zu vermeiden. Vermeintlich einziger Ausweg ist das Haftpflicht-Gutachten, bei dem die gegnerische Versicherung auf Basis des § 249 BGB zahlungspflichtig ist. Hier zeichnet sich eine der wichtigsten Konfliktlinien der K&L Branche ab. Fakt ist, dass sich die elektronische Unfallschadenabwicklung inzwischen dank GDV-Standards, schnellerer EDV-Technik und intelligenter Konzepte wie AudaNet oder DAT-Net durchgesetzt hat. Die perfekte Anbindung zwischen Werkstätten und Kfz-Sachverständigen ist in diesem Zusammenhang die nächste große Baustelle der entsprechenden Dienstleister, an der bereits emsig gearbeitet wird. Erfolgskonzepte wie die GlaserStory werden sich neben BMW auf andere Marken übertragen lassen und neben der Glasschadenkalkulation die gesamte Schadenabwicklung spürbar erleichtern. Zu erwarten ist darüber hinaus eine Ausweitung der automatisierten Prozesse, etwa im Bereich des Mietwagenmanagements sowie der Organisation von Abschleppunternehmen. Auch hier werden im Moment die ersten Absprachen getroffen und Partnerschaften geschlossen. Ebenfalls ausbaufähig sind im Moment noch die maßgeschneiderten Angebote für Flotten, Vermieter und größere Fuhrparks – obwohl gerade die massenhafte Abwicklung die größten aller Einsparpotenziale in sich birgt. Die Industrialisierung des Unfallgeschäfts wird also nicht aufzuhalten sein. Im Gegensatz ist eine Ausweitung der elektronischen Unterstützung auf den Gesamtprozess absehbar. zLesen SIe hier...... wie sich die Unfallschadenbranche innerhalb der letzten fünfzehn Jahre verändert hat und wer die treibenden Kräfte im Schadenmanagement waren und sind.KurzfassungGezieltes Schadenmanagement von allen Beteiligten ist heute aus dem Reparaturgeschäft nicht mehr wegzudenken. Im Gegenteil werden sich in Zukunft weitere Zuspitzungen ergeben:1. Mietwagen- und Abschleppdienstleister rücken in den Fokus der Aufmerksamkeit.2. Die Kommunikation zwischen Werkstätten und Kfz-Sachverständigen wird weiter ausgebaut.3. Das Massengeschäft mit Vermietern, Fuhrparkbetreibern und Flottendienstleistern steht momentan erst in den Startlöchern.

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