Ausgabe 08/2008: Bioprobleme

Filter / Auch die Filtrationskomponenten sind auf künftige Biokraftstoffe vorzubereiten. Einblicke dazu von Mann+Hummel.BioproblemeDie jüngsten Querelen um das Thema E10 (Beimischung von Bioethanol in herkömmliche Kraftstoffe) haben es offensichtlich gemacht: Viele Fahrzeuge älterer und aktueller Bauart sind auf neuere Kraftstoffcocktails gar nicht vorbereitet. Allerdings ist mit dem derzeitigen Verzicht auf die Einführung von E10 ab Anfang 2009 die Gesamtdiskussion um Biokraftstoffe nicht vom Tisch. Mittelfristig wird die Einführung von Biokraftstoffen kommen und so lohnt es sich, bereits heute einen Blick auf die dann notwendigen Komponenten zu werfen. Insbesondere auch auf die meist verborgenen Bauteile wie Filter und Filtermedien, die – genau wie Motor und Tank – unmittelbar mit dem Kraftstoff in Kontakt kommen. 30 BiotypenFragt man Mann+Hummel, stehen umfangreiche Untersuchungen mit Biokraftstoffen inklusive synthetische GTL- und BTL-Kraftstoffe ganz oben auf der Agenda. Dazu gehören Tests zur Beständigkeit von Filtermaterialien, zur Filtrationsleistung, zur Wasserabscheidung und zu Wechselwirkungen der Kraftstoffe mit den Komponenten. Kopfzerbrechen bereitet den Forschern vor allem die hohe Zahl von mindestens 30 Biokraftstofftypen und deren Mischungen am Markt, mit teils stark unterschiedlichen Eigenschaftsprofilen. In den Tests müssen die einzelnen Biokraftstoffe mit den in Filtern verwendeten Kunststoffen, Elastomeren, Metallen und Schweißverbindungen kombiniert werden, um zuverlässige Aussagen über die Verträglichkeit der Produkte mit Biosprit treffen zu können. Da Feldversuche zeitaufwändig sind, setzt Mann+ Humm neben Testfahrten auf die Prüfstandsimulation. ExpertenrundeDoch wo liegen die besonderen Haken und Entwicklungstendenzen in Zusammenhang mit Biokraftstoffen? Das erläuterten im Gespräch Dr. Michael Harenbrock, Leitung Werkstoffentwicklung Filter, Sascha Bauer, Projektleitung Vorentwicklung, Jochen Reyinger, Leitung Entwicklung Kraftstofffilterelemente, und Stefan Eichinger, Projektleitung Filtration. AH: An Biokraftstoffen kommen wir nicht vorbei. Wie bereiten Sie Ihre Filter darauf vor?Dr. M. Harenbrock: In letzter Konsequenz müssen wir auf dem Weg zum Motor immer das filtrieren, was in den Tank fließt. Allerdings können wir für den Einsatz der Biokraftstoffe keine Lösungen von der Stange nehmen. Denn für die Entwicklung von Produkten, Simulationsmöglichkeiten und die Prüftechnik liegen im europäischen Bereich nur wenige Langzeiterfahrungen für marktgängige Lösungen vor. So läuft extern eine größere Versuchsreihe, welche die Einflussfaktoren von Biokraftstoffen in Hinblick auf Beständigkeit und Filtrationsverhalten bei Kraftstofffiltern untersucht. AH: Wie gehen Sie das konkret an? S. Bauer: Bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen zur stufenweisen Erhöhung der Biokraftstoff-Anteile müssen wir uns bei jedem einzelnen Schritt fragen, was passiert, wenn ich den bestehenden Fahrzeugpark mit Biokraftstoffen betreibe. Freigaben für nicht speziell ausgerüstete Fahrzeuge gibt es derzeit nur für die Beimischung von fünf Prozent Biodiesel als auch für fünf Prozent Ethanol. Man kann hier nicht einfach hochrechnen, was geschieht, wenn ich 10, 20 oder 30 Prozent Biokraftstoff zumische. Wechselwirkungen – auch unter Betrachtung des Motorölkreislaufs – können besondere Effekte erzeugen. Hier steckt der Teufel im Detail, wenn wir jetzt auf Kraftstoffe umstellen, die qualitativ nicht vollständig abgesichert sind.AH: Das hört sich nach einer Rechnung mit mehreren Unbekannten an? J. Reyinger: Bei Biokraftstoffen sind in Bezug auf Filtrationseigenschaften, Standzeit usw. tatsächlich sehr viele Einflussfaktoren und Wechselwirkungen noch nicht vollständig untersucht: Das sind die Additive im Kraftstoff, die Mischungsverhältnisse, das Verhalten bei höheren Temperaturen, also eine ganze Palette von Parametern. Wenn man das ohne fundierte Kenntnisse über Kraftstofftrends und Betriebsbedingungen komplett durchprüfen will, braucht man wahrscheinlich mehrere Jahre. Daher müssen wir aus der Erfahrung heraus mit Tests beginnen. AH: Und in welche Trendrichtung geht es? Dr. M. Harenbrock: Wir sprechen mit großen Kraftstoffherstellern, um deren Strategien auszuloten. Was forcieren sie, was sehen sie als Nische? Das sind für uns Informationen, um unser Bild abzurunden. Wichtig sind sowohl bereits bestehende als auch neu aufgebaute Netzwerke mit allen beteiligten Automobilherstellern, um wirklich fundierte und qualifizierte Annahmen über die künftige Entwicklung treffen zu können. AH: Wie ist der aktuelle Stand? Dr. M. Harenbrock: Wir stecken sehr viel Know-how und Ressourcen in das gesamte Thema, um die Auswirkungen von Biokraftstoffen zu verstehen. Das ist wirklich nichts Triviales. Wir arbeiten hier an einem multidisziplinären Thema, an einer Schnittstelle, wo die Chemie eine große Rolle spielt. Ein besonders wichtiges Thema ist die Wasserabscheidung. Eine Zudosierung von Biodiesel zum Dieselkraftstoff wirkt sich sehr negativ auf die Wasserabscheidung aus. Nonplusultra ist nach wie vor das Hightech-Filtermedium "Multigrade", das der Systemlieferant auf Basis neuester Erkenntnisse kontinuierlich weiterentwickelt. AH: Ab wann rechnen Sie mit Biokraftstoffen der zweiten Generation? S. Eichinger: Die Verfahren sind derzeit noch in der Entwicklung und es wird noch einige Zeit dauern, bis die Unternehmen synthetische Kraftstoffe zu marktfähigen Kosten herstellen können. Darüber hinaus ist derzeit sicherlich keiner bereit, das Dreifache zu bezahlen, nur damit er Kraftstoffe der zweiten Generation im Tank hat. AH: Wie sehen Sie die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe?S. Bauer: Meine Vision wären Biokraftstoffe aus Jatropha und Algen. An den Ufern der Kontinente gibt es genügend Bereiche für den Anbau von Algen. Wenn wir die Algen als CO2-Fresser einsetzen und dann zur Produktion von Biodiesel verwenden, haben wir einen sehr guten CO2-Kreislauf, der im Übrigen nahrungsmittelneutral ist. AH: Das heißt, wir verlassen uns auf die Algen und alles wird gut?Dr. M. Harenbrock: Wir dürfen natürlich das Einsparen von Kraftstoff nicht vergessen. Es packt das Übel noch stärker an der Wurzel, denn am besten für die Umwelt ist der Kraftstoff, den ich gar nicht verbrenne. Deshalb werden verbrauchssenkende Systeme wie neue Motorenkonzepte, die Vorteile von Diesel- und Ottomotoren miteinander verbinden, sowie Leichtbau immer wichtiger. Mit dem Ersatz von mineralischem Kraftstoff durch Biostoffe sind wir eigentlich nur dabei, das Symptom zu behandeln.AH: Meine Herren, herzlichen Dank!

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