Vor genau einer Woche ging‘s los: Schwere Gewitter zogen über Süddeutschland auf, am Dienstag löste der Deutsche Wetterdienst sogar Katwarn aus, das offizielle Warnungen und Handlungsempfehlungen von Sicherheitsbehörden und Leitstellen direkt auf das Smartphone von potentiell von Unwettern betroffenen Menschen einer bestimmten Region sendet.
Die Unwetter-Walze traf nach 2019 erneut auch das Münchner Umland. Im Gegensatz zu vor zwei Jahren traf es aber vergangene Woche weniger stark den Westen, dafür aber umso heftiger die südlich und östlich der Landeshauptstadt gelegenen Regionen der Landkreise München, Ebersberg und Bad Tölz/Wolfratshausen. Auch aus den Landkreisen Passau, Deggendorf, Rottal-Inn und Freyung-Grafenau wurde von schweren Unwetterschäden berichtet. Hagel und Starkregen hinterließen teilweise eine wahre Schneise der Verwüstung.
Kfz-Schäden im 3-stelligen Euro-Mio.-Bereich
Neben dem stark beeinträchtigten Straßenverkehr kam es auch zu Sperrungen von Bahnstrecken (z.B. von München bis Landshut). Alleine die Kfz-Schäden aus der Vorwoche liegen – über alle Versicherer hinweg – bereits jetzt im gut dreistelligen Millionenbereich und werden mit den deutschlandweit in den kommenden Wochen noch erwarteten Hagelschlägen wohl auch das Gesamtjahresergebnis 2020 deutlich übertreffen. Zur Erinnerung: Im Vorjahr verzeichnete die Kfz-Assekuranz alleine rund 350 Mio. Euro Schadenkosten durch hagelbeschädigte Fahrzeuge. Das war – verglichen mit den sonst üblichen, durchschnittlichen Schäden in Höhe von 850 bis 900 Mio. Euro – außergewöhnlich wenig.
Soweit bisher aus Sachverständigenkreisen bekannt ist, hat es vergangene Woche im südlichen und östlichen Raum um München auch mehrere Autohäuser hart getroffen, die aktuell rund 100 und mehr hagelbeschädigte Neu- und Gebrauchtfahrzeuge zu beklagen haben. Sieht man von den Totalschäden einmal ab, soll die durchschnittliche Schadenssumme pro reparaturfähigem Fahrzeug ersten Schätzungen zufolge bei 2.000 bis 2.200 Euro liegen.
Schadenaufnahme wird noch mehrere Wochen dauern
Offizielle Aussagen zu einer vorläufigen Gesamtschadensumme gibt es derzeit allerdings noch nicht, da die betroffenen Versicherer zunächst einmal die Vielzahl der eingehenden Schadenmeldungen betroffener Fahrzeughalter sammeln und parallel die ersten Besichtigungen koordinieren und starten müssen. Hinzu kommt, wie immer bei derartigen Ausnahmeereignissen, eine weitere Vielzahl von Schäden an privaten und gewerblichen Immobilien sowie aus der Landwirtschaft. Bis alle Schäden gemeldet sind, würden "sicher noch einige Wochen vergehen", so übereinstimmend mehrere Schadensachbearbeiter von direkt betroffenen Assekuranzen. Erneut gab es auch eine Reihe wirtschaftlicher Totalschäden, deren abschließende Regulierung mittels weitestgehender Scheckregulierung zügig vorangehen wird. Die Instandsetzung von noch reparaturwürdigen Fahrzeugen dürfte sich dafür aber über mehrere Monate hinziehen, wie man aus der Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte weiß.
Hagel echte "Corona-Hilfe" für alle Dienstleister
Für die gesamte Hagelschadenbranche, dabei vor allem für die professionellen Ausbeulunternehmen, die Kfz-Sachverständigen, aber auch Autohäuser, K&L Fachbetriebe, Restwertbörsen und Auktionshäuser ist die Masse der Schäden ein durchaus willkommenes "Geschenk des Himmels", das über so manche Verluste aus der Corona-Pandemie hinweghilft. Die Karawane aller am Schadensabwicklungs- und Instandsetzungsprozess Beteiligten hat sich vergangene Woche bereits auf den Weg gemacht und ist in den betroffenen Regionen aktiv. Bis alleine die gesamten Schäden der Vorwoche abschließend begutachtet sind, wird es nach Einschätzung von hagelerfahrenen Sachverständigenbüros wohl "sicher bis Oktober" andauern.
Bereits Tage vor den schweren Gewittern waren mehrere Hagelflieger (z.B. in Baden-Württemberg und Bayern/Rosenheim) in Alarmbereitschaft und während der Gewitter regional auch im Einsatz. Noch schwerere Schäden konnten dadurch zwar vereinzelt verhindert werden, aber die breite Häufung und über mehrere Tage andauernden Unwetter waren letztlich zu massiv, als dass die letztlich nur überschaubar verfügbaren Flieger eine noch deutlich effektivere Schadenabwehr hätten leisten können. Hier wird künftig wohl mehr getan werden müssen, um vor allem größere Städte und dicht besiedelte Räume noch besser zu schützen.
"München hatte einfach nur Glück"
Die Schwüle in der vergangenen Woche entlud sich vor allem in Wolfratshausen, Ebersberg und Stuttgart in schweren Niederschlägen mit zum Teil faustgroßen Hagelkörnern, die auch Fensterscheiben an Fahrzeugen und Wohngebäuden zum Bersten brachten. Der begleitende Starkregen überschwemmte Straßen und ließ manche Keller und Tiefgaragen voll laufen. München selbst hatte nach Aussage des Wetterexperten Dominik Jung (wetter.net) "einfach nur Glück", nicht wie beim Pfingstmontagshagel 2019 erneut ähnlich schwer getroffen zu werden.
Extremhitze kam vier bis sechs Wochen zu früh
Während die beiden Monate April und Mai im historischen Vergleich "deutlich zu kühl" ausfielen, war der Juni bisher um durchschnittlich 4 Grad "deutlich zu heiß". Laut dem Metereologen Jung herrschten beispielsweise am 18. Juni in München 32,3 Grad. Das sei typisch für den Hochsommer Ende Juli/Anfang August, nicht aber zum jetzigen Zeitpunkt. Bei derartigen Wetterlagen könne es dann durchaus zu genauso extremen Entladungen kommen, wie man sie vergangene Woche erlebt hatte. Während nämlich die warme Luft nach oben in kühlere Lagen aufsteigt, bilden sich "exakt zwischen diesen warmen und kühlen Luftmassen immer wieder schwere Gewitter", so Dominik Jung. Einen direkten Rückschluss auf den Klimawandel will er durch die derzeitige Wetterlage zwar nicht herstellen, aber dass "die Extreme deutlich zunehmen", könne er allemal bestätigen. Der Gesamtverband der deutschen Versicherer (GDV) weist indes bereits seit mehreren Jahren darauf hin, dass Unwetter mit schweren Stürmen, Starkregen, Überschwemmungen und Hagel längst keine Jahrhundertereignisse mehr sind, sondern sich in immer kürzeren Zeitabständen wiederholen und dadurch die Combined Ratio in der Schaden- und Unfallversicherung entsprechend häufiger negativ beaufschlagt wird (wir berichteten).
Tote und Verletzte in Tschechien
Wie extrem und gefährlich solche Naturgewalten inzwischen auch bei uns sein können, zeigte sich vor wenigen Tagen u.a. auch im Südosten Tschechiens, wo ein für unsere Breitengrade extrem seltener Tornada mit Geschwindigkeiten von 300 bis 400 Stundenkilometern wütete und mindestens fünf Todesopfer forderte. Mehr als 200 Menschen wurden gleichzeitig verletzt, als der gewaltige Sturm über sieben Dörfer fegte, unzählige Dächer abdeckte und die Fensterscheiben bersten ließ. Der tschechische Regierungschef Andrej Babis sprach von einer "wahren Apokalypse" und Innenminister Jan Kamcek schickte alle verfügbaren Rettungskräfte in die Region an der tschechisch-slowakischen Grenze. Die Armee unterstützt ebenso wie die Nachbarländer Österreich (mit Rettungshubschraubern) und die Slowakei.
Tornado hätte auch München oder Wien treffen können
Nachdenklich indes stimmt die Aussage von Andreas Friedrich, der seit 1994 Tornadobeauftragter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist und den der "SPIEGEL" wie folgt zitiert hat: "Der Tornado hätte genauso in Deutschland oder Österreich entstehen können. Die Randbedingungen waren auch im Süden gegeben. Es war reiner Zufall, dass es nicht München oder Wien getroffen hat." In den beiden Großstadt-Metropolen wären die Schäden in jedem Fall deutlich größer ausgefallen als in den "eher dünn besiedelten Region um Hodonin".
Wetterlage bleibt angespannt
Der aktuelle Warnlagebericht des Deutschen Wetterdienstes vom heutigen Montag, 28. Juni 2021, sagt für die laufende Woche weiterhin "gebietsweise kräftige Schauer und Gewitter, dabei zeitweise Unwetter, insbesondere durch (extrem) heftigen Starkregen, lokal aber auch durch Hagel oder Orkanböen" voraus. Betroffen davon könnten vor allem erneut Bayern und Baden-Württemberg sein, ferner Teile von Hessen und Niedersachsen sowie große Teile von Nordrhein-Westfalen. Schauer, Gewitter und Starkregen werden aber auch für die übrigen Bundesländer nicht ausgeschlossen. (kaf)