Auf dem 9. Allianz Autotag präsentierte der Münchner Versicherer erstmals belastbare Fakten zum Thema E-Fahrzeuge, die nicht nur aus den Schadenakten des zuständigen Vorstands Jochen Haug stammen, sondern auch aus den Auswertungen von Praxis-Reparaturen im konzerneigenen Reparaturforschungsinstitut. Wie immer ist hier das Allianz-Zentrum Technik in Ismaning, kurz AZT, erste Adresse. Carsten Reinkemeyer, Leiter Sicherheitsforschung im AZT, präsentierte vergangene Woche beim Autotag die wichtigsten Ergebnisse.
Verbrenner-Zulassungszahlen sinken dramatisch
Einleitend wurde zunächst auf die rasant steigende Anzahl der Elektroautos im Straßenverkehr hingewiesen. So ging beispielsweise im Juli 2021 der Zulassungsanteil bei Benzinern im Vergleich zum Vorjahresmonat deutschlandweit um 40 Prozent zurück, beim Diesel betrug das Minus sogar 48 Prozent. Elektrofahrzeuge und Plug-in-Hybride liegen dagegen mit mehr als 50 Prozent im Plus und haben in den ersten sieben Monaten des Jahres fast schon ein Viertel des Neuwagenmarktes erreicht.
Kernfragen zur Untersuchung
Wie es allerdings mit dem versicherungstechnischen Risiko dieser Fahrzeuge aussieht, das sollte eine aktuelle Auswertung mit Schwerpunkt auf die Schadenerfahrung bezüglich Unfall- und Brandrisiken zeigen. Untersucht wurden dafür im Vorfeld Schäden von Fahrzeugen mit elektrischem Ladeanschluss und nennenswerter elektrischer Reichweite im Zeitraum 2018 bis 2020.
"Elektroautos unterscheiden sich äußerlich kaum noch von Fahrzeugen mit herkömmlichen Antrieben. Aber sie sind aufgrund der Batterie schwerer und meist auch steifer. Die Batterie muss gegen Beschädigung beim Unfall bestmöglich geschützt werden. Deshalb sind Elektroautos unter dem Blech anders aufgebaut als Fahrzeuge mit konventionellen Antrieben", erklärte der oberste Sicherheitsforscher im AZT, Carsten Reinkemeyer, auf der Allianz Veranstaltung.
Bis zu 7.000 Euro für den neuen Kabelsatz...
Im Schadengeschehen unterscheiden sich laut seinen Ausführungen Elektroautos nicht grundsätzlich von Fahrzeugen mit herkömmlichen Antrieben. Bei der Unfallreparatur sehe man aber "deutliche Unterschiede, die sich aus den Normen oder Herstellervorgaben für die Reparatur von Elektrofahrzeugen ergeben". Beispielsweise komme es schnell zu einem wirtschaftlichen Totalschaden, wenn die Vorgaben des Herstellers zwingend vorsehen, dass die Batterie nach Airbag-Auslösung entsorgt werden muss.
Auch könne ein vom Marder angebissenes Hochvolt-Kabel heute nicht repariert werden. Das verteuere den Schadenaufwand erheblich. "So kostete ein notwendiger Kabelsatz bis zu 7.000 Euro", führte Reinkemeyer beispielhaft an. Dass das nicht sein muss und es auch anders gehe, machte er an Herstellern fest, welche Schutzummantelungen verwenden, die getauscht werden können. Und kaum zu glauben, aber offensichtlich ebenfalls machbare Praxis bei der Instandsetzung: "Die Reparaturkosten lassen sich dadurch um bis zu 97 Prozent reduzieren."
Auch Folgekosten verteuern den Schaden
Eine wichtige Erkenntnis der AZT Untersuchung war zudem, dass bei schwer beschädigten Elektrofahrzeugen dem Halter neben den Reparaturkosten weitere Aufwendungen entstehen können. Denn grundsätzlich kann ein Stromer nur in einer Werkstatt repariert werden, die auch eine Qualifikation für "eigensichere HV-Fahrzeuge" ausweist. Ist die Eigensicherheit infolge schwerer Beschädigung nicht mehr gegeben – und das sei schon bei einem relativ kleinen, aber teuren Anteil der Schäden der Fall –, dann genüge die Qualifikation des Werkstattpersonals nicht.
Noch viel zu tun – Klare AZT-Forderungen
"Aus der Schadenpraxis sehen wir, dass diese Verzögerungen in der Schadenbearbeitung die Reparaturdauer verlängern. Das entspricht nicht unserem Anspruch an die Kundenzufriedenheit. Hier müssen die Hersteller standardisierte Lösungen schaffen", forderte Reinkemeyer unmissverständlich. Ein weiterer Unterschied zur Unfallreparatur von Fahrzeugen mit konventionellen Antrieben liege darin, dass der Akku auch bei nicht mehr funktionsfähiger Anlage noch immer viel Energie enthält. So entstehen nach einer Bergung beispielsweise zusätzliche Kosten durch die notwendige Brandvorsorge.
"Typklasseneinstufung funktioniert"
Die Untersuchung habe gezeigt, dass auch bei Elektrofahrzeugen die Unfallreparaturen der größte Hebel für eine günstige oder weniger günstige Versicherungseinstufung sind. Ergänzend hielten hier Schadenvorstand Jochen Haug und AZT-Geschäftsführer Dr. Christoph Lauterwasser fest, dass die Schadenhäufigkeit bei E-Fahrzeugen grundsätzlich nicht höher ist als die von Verbrennern. Wenn es allerdings zu einem unfallbedingten Schadensfall kommt, entstünden überdurchschnittlich hohe Einzelkosten. Da klang dann zumindest Reinkemeyers Aussage noch einigermaßen beruhigend: "Wir können durch die Untersuchung belegen, dass die Versicherungs-Ersteinstufung, die primär auf der Ermittlung der Reparaturkosten beruht, für Elektrofahrzeuge gleichermaßen wie für Fahrzeuge mit herkömmlichen Antrieben zu einer korrekten Typklasse führt."
Dabei ähneln Elektrofahrzeuge in Typklasse und Verteilung der Schadenarten den Benzinern, während Plug-in-Hybride dem Diesel-Pkw ähnlich sind. Dies erkläre sich aus der unterschiedlichen Nutzung der beiden Fahrzeugarten. Rein elektrische Antriebe werden bislang primär im urbanen Umfeld benutzt, analog zum Benzin-Antrieb. Die Plug-in-Hybride werden dagegen häufig in größeren und langstreckentauglichen Modellen eingesetzt und seien daher im Schadengeschehen den Dieselfahrzeugen ähnlicher.
Keine erhöhte Brandgefahr
Im weiteren Verkauf seiner Ausführungen ging Carsten Reinkemeyer noch auf die Gefahr von Fahrzeugbränden ein, die häufig von Konsumenten gerade bei E-Mobilen gesehen wird. Jährlich, so der AZT-Sicherheitsforscher, komme es in Deutschland werden zu rund 15.000 gemeldeten Pkw-Bränden. Zu Elektrofahrzeuge konnte er quasi "Entwarnung" geben: Deren Anteil liege weit unter einem Prozent. "In unserer Untersuchung sehen wir zudem keine höhere Brandwahrscheinlichkeit bei Elektrofahrzeugen im Vergleich zu konventionellen Benzinern oder Dieselfahrzeugen", bilanzierte er abschließend. (wkp)