Das Einzige, was das neue Geschäftsmodell von HUK, HDI und LVM nicht anbieten wird, sind Versicherungen. Das trauen sich die drei Kooperationspartner auch weiterhin in Eigenregie zu. Geht es dann aber um Themen wie Kauf, Wartung, Verkauf des Gebrauchtwagens, Finanzierung, Fahrzeug-Zulassung oder auch Wartung/Inspektion, einen Termin für den zweimaligen Räderwechsel pro Jahr oder für die anstehende HU/AU bei einer Prüforganisation, dann soll künftig das gesamte Dienstleister-Management der neu gegründeten "Prisma Plattform GmbH" greifen.
Weitreichend formuliertes Betätigungsfeld
Die Gesellschaft mit Sitz in Coburg wurde erstmals am 10. April 2021 ins Handelsregister eingetragen. Als Gegenstand des Unternehmens wurde dabei angegeben die "Entwicklung, der Betrieb und der Vertrieb einer Business-to-Business (B2B) Service Plattform zum Austausch von Produkten und Dienstleistungen zwischen den an die Plattform angebundenen Partnerunternehmen, welche diese Partnerunternehmen befähigt, eigene digitale B2C-Lösungen, Plattformen und Ökosysteme zu gestalten." Am 24. September trat Alexander Hund als Geschäftsführer in das Unternehmen ein und löste seinen Vorgänger Reiner Klug ab, dessen GF-Bestellung am 6. Oktober endete.
Wenn der Kunde nur noch Check24 kennt...
Hund ist ein guter Kenner der Branche: Nach fast fünfjähriger Tätigkeit bei Webasto stieg er in die Beratung ein (MB Technische Consulting GmbH, danach bei Roland Berger), ehe er im April 2017 zu Check24 kam, wo er zunächst als Head of Product-Management arbeitete und die letzten knapp drei Jahre Geschäftsführer der Check24 Vergleichsportal Autoteile GmbH war. Herbert Fromme, der hierzulande zur Versicherungsbranche wohl bestvernetzte Fachjournalist, schrieb vor Kurzem in einem Beitrag für die Süddeutschen Zeitung (Ausgabe vom 7. Oktober 2021): "Dass die drei Versicherer ihn holen, deutet an, worum es bei der Aktion geht: Sie fürchten, den direkten Kontakt zum Kunden zu verlieren. Denn Plattformen wie Check24 oder Amazon setzen sich zwischen Anbieter und Kunden. Wer über Check24 seine Police abgeschlossen hat, weiß oft gar nicht so genau, wo er eigentlich versichert ist, für ihn ist es eben Check24."
... und dann auch noch die Hersteller quer schießen
Das aber sei Gift für die Versicherer, weil sie durch den verloren gegangenen Direktkontakt ihren Kunden "keine eigenen Angebote mehr machen" könnten. Fromme führt als weitere Bedrohung für die Kfz-Assekuranzen die Mobilitätsplattformen der Autohersteller auf, die ihrerseits Versicherungen, aber zusätzlich auch "alle möglichen Mehrwertdienste für Autofahrer" anböten.
Nun sind Versicherungs-Vermittlungen in der Automobilwirtschaft allerdings mitnichten eine Erfindung der "Neuzeit". Die ältesten Kooperationen in der Branche datieren aus dem Jahr 1948. Konkret waren dies der "Volkswagen Versicherungsdienst" (inzwischen aufgegangen in der gemeinsam Volkswagen und der Allianz gehörenden Volkswagen Autoversicherung AG) oder auch der "Opel Versicherungsdienst" (das heutige Geschäft managen Allianz und die AVS Automotive VersicherungsService GmbH).
"Wilderer" im eigenen Hoheitsbereich
Die markeneigenen Versicherungsleistungen (Stichwort: Police ab Autohaus) sind traditionell vor allem der HUK-Coburg ein arger Dorn im Auge. Vorstandssprecher Klaus-Jürgen Heitmann, der seit seinem Einstieg bei der HUK vor über 18 Jahren das oberfränkische Unternehmen peu à peu zur Nummer Eins im deutschen Kfz-Markt formte, betrachtete die Autohersteller seit jeher als "Wilderer" im klassischen Geschäft der "traditionellen" Kfz-Versicherer.
Im Rahmen einer Pressekonferenz geißelte Heitmann beispielsweise 2008 in Nürnberg die Politik der Automarken scharf und verwies schon damals darauf, dass er nicht angetreten sei, um das selbe Schicksal klaglos hinzunehmen, das zuvor schon das "traditionelle" Geschäft vieler Banken ereilte: Sie hätten mehr oder weniger kampflos die Finanzierung von Neu- und Gebrauchtfahrzeugen den Autobanken der Hersteller überlassen. In einem vor kurzem mit Uwe Schmidt-Kasparek für das Online-Medium "Versicherungswirtschaft heute" geführten Interview äußerte Heitmann in Zusammenhang mit den Finanzierungen der Autobanken vielsagend: "Hier müssen wir uns ebenfalls positionieren, um unseren eigenen Zugang zum Kunden zu behalten. Das tun wir mit unserer HUK-Autowelt, aber auch mit dem Ausbau u.a. zum Serviceanbieter rund um die Versicherung. Dabei kann es auch um mögliche sinnvolle Modelle der Zusammenarbeit gehen."
Die "Gedankenspiele" des Klaus-Jürgen Heitmann
Vom künftigen Ökosystem der Prisma Plattform war in diesem Interview am 6. Oktober noch nicht die Rede, etwas nebulös aber immerhin bereits von "neuen Partnerschaften", welche den Markt "dramatisch verändern könnten". Um weiterhin "direkt am Kunden" zu sein, könne es nach den Worten Heitmann‘s sogar "Sinn machen, eine eigene Sharing-Flotte aufzubauen". Auffallend deutlich blieb der HUK-Vorstandschef bei gleich mehreren Themen im Konjunktiv, so beispielsweise auch, als es um eine mögliche Kooperation mit Tesla oder noch weiteren Herstellern ging.
"Gedankenspiele" nennt Heitmann das gerne. Wer ihn aber lange genug kennt, weiß, dass er solche "Gedankenspiele" nicht nur liebt, sondern auch mal völlig überraschend Realität werden läßt. Erinnert sei hier an die HUK-Autowelt, an den HUK-Autoservice – oder auch an die Öffnung und Verfügbarmachung des eigenen HUK-Partnerwerkstätten-Netzwerkes für "Marktbegleiter" (z.B. VHV- und Gothaer-Konzern, Concordia, Debeka und die Autoversicherer der Generali-Gruppe Deutschland).
Coburg, Bahnhofsplatz
Auch wenn bislang von keiner Seite eine Bestätigung dafür gegeben wurde, dürfte nach Ansicht unserer Redaktion davon auszugehen sein, dass mindestens die Ursprungsüberlegungen – vielleicht aber sogar das gesamte Arbeitskonzept – zur Schaffung der Prisma-Plattform im Kopf von Klaus-Jürgen Heitmann entstanden sind. Lange genug war auch er vor seiner Zeit als Berater unterwegs, hatte damals bereits die HUK-Coburg als Betreuungskunden, kennt damit also Zielstrategien und deren Umsetzung en detail. Der Gesellschaftssitz von Prisma am Coburger Bahnhofsplatz, wo sich auch das HUK-Vorstandsbüro befindet, kam ganz sicher nicht rein zufällig zustande...
"Jeder willkommen – sogar die Allianz"
Und Prisma könnte den Versicherern in der Tat "das Heft des Handelns zurückgeben", wie es kürzlich Herbert Fromme in der SZ formuliert hatte. "Immerhin haben sich der größte Autoversicherer HUK-Coburg mit der Nummer vier im Markt, der LVM, und der bedeutenden Gesellschaft HDI zusammengeschlossen." Weitere Teilnehmer seien ebenfalls willkommen. Im Fromme-Interview mit dem neuen Prisma-Chef Alexander Hund sagte dieser: "Wir schließen niemanden aus." Selbst die Allianz sei "willkommen" – wenngleich diese sich mit hoher Wahrscheinlichkeit genauso wenig einer Kooperation mit der HUK-Coburg anschließen wird, wie sie dies in der Vergangenheit auch bei anderen Themen tunlichst unterlassen hatte.
Reichen der Allianz bisherige Netzwerke und Joint Ventures?
Neuer Druck auf die Allianz entsteht durch Prisma aber allemal. Schließlich ist es in den letzten Jahren bereits erkennbar ruhig um die Allianz-Beteiligungsgesellschaft InstaMotion geworden, die vor fünf Jahren eigentlich als Pendant zur HUK-Autowelt angetreten war, um bei An- und Verkauf von geprüften Gebrauchtwagen weiterhin den Fuß in der Tür zu den eigenen Kunden zu behalten. Freilich ist die Allianz auch mit einer eigenen Direktversicherungsmarke (Allianz Direct, vormals AllSecur) im Internet unterwegs, ist zusammen mit dem Konzern Versicherungskammer Bayern und dem ADAC einer der drei großen Gesellschafter in der Service-Partner Netzwerk GmbH (SPN) und hat seit gut zweieinhalb Jahren die 51-Prozent-Mehrheit am gemeinsamen Joint-Venture mit der ADAC Autoversicherung.
Der klar auf mehr direkten Kundenkontakt durch eine Vielzahl an Services rund ums Auto zielende Vorstoß mit der künftigen Prisma Plattform GmbH dürfte dennoch einen nicht ganz unerheblichen Besprechungsaufwand bei der Allianz Deutschland AG in Unterföhring auslösen.
Kunden wünschen...
Viele Versicherungskunden erwarten laut Prisma-Geschäftsführer Hund heute, "dass ihnen ganzheitliche Lösungen angeboten werden". Dies ist übrigens auch beim NW- und GW-Kauf im Autohaus nicht anders: Wie die Puls-Marktforschung seit Jahren immer wieder bei der Ergebnisauswertung zum jährlichen AUTOHAUS-VersicherungsMonitor festhält, wünschen sich die Kunden zu einem hohen Prozentsatz, dass ihnen vom Autohaus auch ein konkretes Versicherungsangebot unterbreitet wird.
... aber viele Autohäuser lassen trotzdem Geld liegen
Diese Chance auf Mehrumsätze (pro Kfz-Police sind das im Durchschnitt jährliche Mehrerträge zwischen mindestens 500 bis mehr als 1.500 Euro, die aus Provisionen, Zusatzkontakten in der Werkstatt und beim Teile-/Zubehörverkauf mit Inanspruchnahme von Serviceleistungen und auch Instandsetzungsrabeiten resultieren) lassen allerdings viele Betriebe noch immer ungenutzt liegen. Dies ergibt sich alleine schon aus Penetrationsraten, die häufig gerademal um die 15 Prozent bis höchstens 35 prozent liegen, während wirklich gut im Versicherungsgeschäft agierende Autohäuser durchaus auch auf Penetrationen von 50 bis sogar 80 Prozent kommen.
Herstellermarkt aufgeteilt
Für die jeweils markeneigenen Autohaus-Versicherungen stehen als Risikoträger inzwischen deutlich mehr Assekuranzen als Kooperationspartner und Risikoträger zur Verfügung, als dies noch vor ein paar Jahren der Fall war. Platzhirsch ist zwar nach wie vor die Allianz mit insgesamt 21 betreuten Pkw- und Nfz-Marken, gefolgt von Verti und Nürnberger, die sechs Marken betreuen, dem HDI (3), Kravag und Provinzial (2), AXA und ERGO (2), BGV und ERGO (1), Bavaria Direkt und Sparkassen-Finanzgruppe (1), R+V (1) sowie die Toyota-eigene Versicherung Aioi Nissay Dowa Insurance Europe/MSAD, die nachhaltig erfolgreich ihre Lexus-, Daihatsu- und Toyota-Fahrzeuge eindeckt und ihre Händler eng betreut. Vom HDI einmal abgesehen, unterhalten die HUK-COBURG und LVM keinerlei direkte Versicherungs-Kooperationen mit Automobilherstellern.
Die widerspenstigen Segment II/III-Kunden
Das Portfolio, um selbst im Wettbewerb mit künftigen Dienstleistungen der Prisma Plattform GmbH bestehen zu können, wäre also vorhanden. Mithin fehlt es häufig an der richtigen und engagierten Kundenansprache. Und nicht selten werden Angebote aus den Marken-Autohäusern auch als "teuer" empfunden und von preissensiblen Kunden mit Fahrzeugen, die qua Alter nicht mehr in Herstellergarantien befindlich sind (Stichwort Segment II/III), deshalb eher Angebote von Freien Werkstätten oder markenunabhängigen Dienstleistern genutzt.
IT und Finanzierung von Prisma – ohne Werkstattprovisionen
Auch Alexander Hund weiß, dass "mit der Plattform eine Vielzahl unterschiedlicher Dienstleistungen sehr einfach" angeboten werden könne. Die IT-Techniken, mit denen die Plattform maßgeschneiderte Angebote machen will, liefert laut dem SZ-Bericht von Herbert Fromme das Hamburger Startup SDA zu. An SDA sind eine Reihe von Versicherern beteiligt – indirekt auch die Allianz. Den Aufbau von Prisma will Hund im Wesentlichen mit SDA-Beschäftigten schaffen, später soll die Plattform rund 50 eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben.
Finanzieren soll sie sich über Beiträge der Versicherer. Ausdrücklich wolle man "keine Provisionen mit Werkstätten und anderen Anbietern vereinbaren". Wenn es solche Provisionen gebe, würden die zwischen Versicherer und Dienstleister abgerechnet.
Entschärfung des Wechslerwillens
Sollte das System funktionieren und sich Prisma als tatsächlich nützlich für die Kunden erweisen, "kann die Plattform den Markt für die Kfz-Versicherung dramatisch verändern", sagte Hund drei Tage nach der hier bereits erwähnten Aussage von HUK-Coburg-Vorstandssprecher Klaus-Jürgen Heitmann fast wortgleich. Und wer die Plattform schätze, weil sie ihm letztlich viel Arbeit und auch möglichen Ärger abnimmt, wechsele auch "weniger leicht seinen Kfz-Versicherer wegen 20 Euro Preisunterschied".
Klar ist jedenfalls, dass HUK-Coburg, LVM und HDI bei ihren 18 Millionen Kfz-Kunden auf Linie und im engen Kontakt bleiben wollen, indem sie ihnen viel an sonstigem Eigenaufwand rund ums Auto mit der für 2022 anlaufenden Plattform abnehmen.
Lediglich das Versicherungsgeschäft selbst wollen die drei Versicherer weiter fest in eigener Regie behalten. Alles andere soll digital über Prisma laufen. "Das können alle möglichen Dienstleistungen sein, dazu gehören Ölwechsel, Bremsen, Abgasuntersuchung oder Hauptuntersuchung", läßt sich Geschäftsführer Hund zitieren.
"Wir können alles abbilden"
Der Kunde müsse beispielsweise lediglich als Suchwunsch "Hauptuntersuchung" eingeben. Daraufhin benennt ihm Prisma diverse Werkstätten in seiner Umgebung, bei denen er als Kunde von HUK, HDI oder LVM einen vorteilhaften Preis gleich auch für etwaig nötige Vorreparaturen erhält – idealerweise gleich verknüpft mit einem freien Termin. Darüber hinaus könnten auch Services wie Zulassung, Finanzierung, Autoverkauf, Inspektion, Wartung oder sonstige Services über die Plattform angeboten werden. Hund wörtlich: "Alles, was Sie als Autofahrer machen, können wir auch abbilden."
Mit KI auch noch mehr möglich
Die Plattform will laut SZ allerdings nicht selbst offensiv im Markt auftreten: "Entweder macht der Versicherer seinen Kunden die Angebote, oder ein Dienstleister wie eine Kfz-Werkstattkette bietet Versicherten über die Plattform seine Dienste an." Möglich sei jedoch, dass KI-hinterlegt diverse Serviceereignisse erkannt werden, die dann zusammen mit einem spezifischen Angebot automatisiert an die Versicherungskunden weitergeleitet werden.
Ausblick
Zusammengefasst ist festzuhalten, dass die Prisma-Dienstleistungs-Plattform durchaus das Potenzial hat, um Versicherungskunden aufgrund auch preislich passender Services genau dorthin zu routen, wo es die drei Versicherer gerne hätten. Inwieweit es in naher Zukunft dann auch tatsächlich zu den von Alexander Hund und Klaus-Jürgen Heitmann bereits öffentlich angekündigten "dramatischen Veränderungen" und dem "massiven Umbruch" in der Kfz-Assekuranz kommen wird, bleibt abzuwarten. Genau zu beobachten bleibt sicherlich auch, ob, wann und wie Allianz & Co. auf den angekündigten Marktvorstoß reagieren werden.