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Schadenregulierung: Konflikte mit Versicherern nehmen wieder zu

27.05.2024 14:26 Uhr | Lesezeit: 9 min
Sibylle Kessal-Wulf und Wilhelm Schluckebier
Sibylle Kessal-Wulf ist seit April 2024 Versicherungsombudsfrau und damit Nachfolgerin von Wilhelm Schluckebier.
© Foto: GDV

Die Beschwerden gegenüber Versicherern sind 2023 wieder gestiegen. Der langjährige Ombudsmann Wilhelm Schluckebier und seine seit 1. April im Amt befindliche Nachfolgerin Sibylle Kessal-Wulf werten dies als "Rückkehr zur Normalität" – nach Ende der Corona-Pandemie.

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Einmal im Jahr gibt die Schlichtungsstelle der Versicherer ausführlich Auskunft über ihre Arbeit. Lange war dies eine Angelegenheit für Wilhelm Schluckebier – nicht so in diesem Jahr. Zum Interview mit GDV.de anlässlich der Veröffentlichung des diesjährigen Jahresberichts begleitet ihn Sibylle Kessal-Wulf, seit April Nachfolgerin Schluckebiers an der Spitze der Schlichtungsstelle. Im von Karsten Röbisch geführten Interview, das wir nachfolgend wiedergeben, sprechen beide über das Beschwerdeaufkommen im letzten Jahr und den Reiz an der Aufgabe als Versicherungsombudsmann – beziehungsweise Versicherungsombudsfrau, wie es fortan heißt.

Frage: Herr Schluckebier, im vergangenen Jahr ist die Zahl der Beschwerden um 13,4 Prozent auf rund 18.000 gestiegen. Was sind die wesentlichen Gründe dafür?

W. Schluckebier: Die Zunahme der Beschwerdezahlen zieht sich durch fast alle Sparten hindurch. Da lässt sich kein spezieller Sondereffekt feststellen. 

2022 waren die Beschwerden noch deutlich gesunken. Seinerzeit hatten Sie Corona als möglichen Grund dafür genannt. Erleben wir jetzt, nach dem Ende der Pandemie, die Trendumkehr und eine gewisse Normalisierung?

W. Schluckebier: Das ist eine naheliegende Erklärung. In der Nachpandemiezeit gibt es wieder verstärkt Aktivitäten. Die Mobilität ist auf dem Niveau wie vorher. Und das schlägt sich typischerweise in der privaten Unfallversicherung, in der Reiseversicherung oder der Kfz-Versicherung nieder.

S. Kessal-Wulf: Die Menschen sind wieder aktiver und mobiler. Und damit verhalten sie sich auch risikoträchtiger, Stichwort private Unfallversicherung. Damit kommt es in der Folge zu mehr Konfliktfällen mit den Versicherern.

Die Beschwerdezahlen in der Kfz-Versicherung sind überdurchschnittlich gestiegen. Ist die größere Mobilität der Menschen der alleinige Grund dafür? 

W. Schluckebier: Die konkreten Gründe dafür lassen sich nicht verlässlich feststellen. Ein Teilaspekt ist uns aber aufgefallen: Kunden beanstanden vermehrt, dass die Versicherer verzögert ihre Anliegen bearbeiten, insbesondere auch Schäden verzögert regulieren. Das ist zahlenmäßig keine beachtliche Quantität, aber es ist eine Tendenz, die spürbar wird.

Woher rühren die Verzögerungen?

W. Schluckebier: Die Unternehmen verweisen auf Personalengpässe durch krankheitsbedingte Ausfälle und ein erhöhtes Arbeitsaufkommen.

S. Kessal-Wulf: Es wird ja allgemein über Personalmangel geklagt. Und davon bleiben auch die Versicherer nicht verschont. Ich denke, das Thema Personalmangel kann uns noch etwas länger begleiten. Das bleibt aber noch abzuwarten.

Und betrifft das nur die Kfz-Versicherung?

W. Schluckebier: Es ist eine Entwicklung, die wir in einer gewissen Breite feststellen, nicht nur in der Kfz-Sparte. Sie ist, wie gesagt, zahlenmäßig noch nicht besonders aufregend. Aber sie ist feststellbar.

Was können Sie als Schlichtungsstelle ausrichten, wenn es „nur“ um eine verzögerte Bearbeitung geht? Die Regulierung des Schadens ist doch noch gar nicht strittig.

S. Kessal-Wulf: Man kann die Bearbeitung anstoßen. Wir nehmen Kontakt mit dem Unternehmen auf und besprechen die Situation. Die Reaktion ist regelmäßig die, dass das Unternehmen die Bearbeitung des Kundenanliegens dann zügig vorantreibt. 

Ich nahm an, solange ein Versicherer einen Fall noch nicht abschließend bearbeitet hat, können Sie als Schlichtungsstelle noch nicht tätig werden.

W. Schluckebier: Das ist grundsätzlich richtig. Ein Tätigwerden ist in unserer Verfahrensordnung eigentlich so nicht vorgesehen. Aber wir können in solchen Fällen natürlich nicht untätig bleiben, das verstünde niemand. Wenn ein Kunde ein ernstes Anliegen hat und sagt: „Ich habe es jetzt x-mal beim Versicherer versucht und keine Reaktion bekommen“, dann kümmern wir uns selbstverständlich darum. Ich meine, auch das deckt der Schlichtungsauftrag ab.    

S. Kessal-Wulf: Und natürlich ist Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer überhaupt seinen Versicherer schon kontaktiert hat.

Mit der Zinswende sind die Bewertungsreserven bei kapitalbildenden Lebensversicherungen zusammengeschmolzen. Hat das 2023 auch zu mehr Beschwerden geführt?

W. Schluckebier: Wir stellen deutlich eine Zunahme von Beschwerden fest, die die Höhe der  Beteiligung an den Bewertungsreserven beanstanden. Dass die Überschussbeteiligung in der Niedrigzinsphase stagnierte, haben die Menschen verstanden. Für viele ist jetzt aber nicht nachvollziehbar, dass sich der Zinsanstieg einerseits noch nicht in dem erhofften Maße bei der laufenden jährlichen Überschussbeteiligung auswirkt, auf der anderen Seite aber die Bewertungsreserven weiter zurückgehen. Wirtschaftlich lässt sich das alles erklären, weil eben die niedrig verzinsten Wertpapiere im Bestand der Versicherer bei steigenden Marktzinsen für Neuanlagen weniger wert sind. Aber das zu kommunizieren, ist ganz schwierig. Wir versuchen es. 

Überprüfen Sie auch die Richtigkeit der Bewertungsreserven?

W. Schluckebier: Nein. Das würde die Möglichkeiten des vereinfachten Schlichtungserfahrens übersteigen. Das heißt natürlich nicht, dass das Unternehmen nach Belieben Bewertungsreserven ansetzen kann. Das hat auch etwas mit der Bilanz zu tun. Und ist dann auch Aufgabe der Aufsicht, die sich die Bilanzen anschaut und einen Blick darauf wirft, was an Bewertungsreserven angesetzt wird. Da gilt es, Zutrauen in die Aufsicht zu haben.

Es fällt auf, dass die Klagen vor Zivilgerichten seit Langem zurückgehen, im Versicherungsvertragsrecht bei den Amtsgerichten um die Hälfte in nur 15 Jahren. Wie beurteilen Sie das? Sind die Deutschen weniger streitlustig? Oder hat die Entwicklung auch mit der Stärkung der Verbraucherrechte und dem Ausbau der Schlichtungsstellen zu tun?

W. Schluckebier: Es hat dazu einen Forschungsauftrag des Bundesjustizministeriums gegeben. In dem Abschlussbericht werden mehrere Ursachen genannt. Viele Menschen scheuen die Kosten und Risiken eines Zivilprozesses oder haben das Gefühl, dass das Ergebnis eines Verfahrens schwer voraussehbar ist. Das steuert das Verhalten. Bei einem staatlichen Gericht haben Sie auch immer eine gewisse Zugangsschwelle. Wenn sie vom Gericht nur eine Auskunft haben wollen, ist das nicht ganz einfach. Und dann kommt natürlich die private Verbraucherstreitbeilegung ins Spiel. Das ist ein niedrigschwelliges, kostenfreies Angebot und für Verbraucher völlig ohne Risiko. 

S. Kessal-Wulf: Die meisten Menschen wollen ja keinen Konflikt. Sie möchten einfach ein Problem gelöst haben und danach mit dem Gegenüber friedlich weiterleben. Ein klassisches Beispiel ist der Nachbarschaftsstreit. Die meisten Leute möchten diese unmittelbare Konfrontation gar nicht. Sie haben aber ein Problem, das sie beigelegt haben wollen. Und da ist natürlich die Schlichtung das ideale Instrument. Das spricht sich ja auch zunehmend rum. Die Schlichtungsstelle der Versicherer gibt es jetzt über 20 Jahre. 

Herr Schluckebier, ihre Amtszeit ist offiziell Ende März zu Ende gegangen. Wie lautet ihr Fazit nach fünf Jahren als Versicherungsombudsmann.

W. Schluckebier: Es lohnt sich, sich für die private Verbraucherschlichtung zu engagieren. Sie ist ein wirkungsvolles Alternativmodell der Konfliktlösung: effektiv, schnell, mit niedriger Zugangsschwelle, unbürokratisch und zum Wohle aller Beteiligten – der Kunden wie der Unternehmen. Das Verfahren verbürgt zudem eine hohe fachliche Expertise. Es war mir eine ausgesprochene Freude, daran mitwirken zu dürfen.

Und Frau Kessal-Wulf, was reizt Sie an der Aufgabe?

S. Kessal-Wulf: Dass ich an meine frühere Tätigkeit anknüpfen kann. Ich war 38 Jahre im Richteramt. Vor meiner Zeit als Verfassungsrichterin war ich schwerpunktmäßig im Zivilrecht tätig. Da war ich nicht nur mit der Streitentscheidung befasst, sondern auch mit der gütlichen Beilegung. Als Richterin muss ich in jeder Phase eines Verfahrens darauf hinwirken, dass sich die Parteien gütlich einigen. Es ist jetzt also für mich nichts grundsätzlich Neues. Und der Reiz ist in der Tat, dass man mehr Gestaltungsmöglichkeiten hat. Man ist nicht mehr so im Korsett der Zivilprozessordnung, sondern kann etwas freier agieren. 

Mit Ihnen gewinnt die Schlichtungsstelle erneut ein ehemaliges Mitglied des Bundesverfassungsgerichts. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum es so viele ehemalige hochrangige Richter zur Schlichtungsstelle zieht?

S. Kessal-Wulf: Ich denke, es sind genau die Gründe, die ich eben angerissen habe. Man kann die bisherigen richterlichen Erfahrungen nutzen und daran anknüpfen. Man hat eine sehr spannende neue Perspektive, wie man mit solchen Fällen umgeht. Ich glaube, das ist der eigentliche Reiz. Also dieses gestalterische, individuellere Mitwirken. 

Apropos Reiz. Herr Schluckebier, was werden Sie künftig machen?

W. Schluckebier: Ich habe den Vorsatz, mich mehr um meine kleinen Enkelkinder zu kümmern und endlich mal mein Golfspiel zu intensivieren. Und mehr zu wandern. Das ist eines meiner großen Hobbys. Und im Übrigen werde ich noch als Mitherausgeber bei fachwissenschaftlichen Kommentaren unterwegs sein.

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