"Inzwischen kann ich mit Fug und Recht davon sprechen, dass wir auch in Deutschland einen funktionierenden Gebrauchtteilemarkt haben", sagte net.casion Geschäftsführer Michael Kauß heute auf konkrete Nachfrage von AUTOHAUS, was denn im Verlauf der vergangenen sechs Wochen passiert sei, seit sich im Rahmen der "Initiative Vernunft & Zukunft" mehrere Schadenverantwortliche von gut 20 deutschen Kraftfahrt-Versicherungen positiv zum Einsatz von gebrauchten Fahrzeugteilen bei der Instandsetzung von Unfallfahrzeugen äußerten.
Was hat sich seit Frankfurt getan?
Auf der entsprechenden Fachtagung in Frankfurt am Main, zu der net.casion und ClaimParts geladen hatten, traten neben Dominik Hertel, dem Leiter Nachhaltigkeit der Allianz, auch weitere Protagonisten aus dem näheren Umfeld der Versicherungswirtschaft auf. Namhafte Schadensteuerer, Dienstleister, Sachverständigen-Organisationen sowie Berufs- und Partnerverbände ließen es sich nicht nehmen, Informationen aus erster Hand zu erhalten oder sich auch selbst in die Diskussionen mit einzubringen (wir berichteten an dieser Stelle und in unserem Jahresmagazin KFZ-ASSEKURANZ mehrfach ausführlich).
Dahin kommen, wo andere Länder schon sind
Schließlich geht es hierzulande um einen neuen, zirkulären Kreislaufwirtschafts-Prozess, der gerade dabei ist, mit allen heute verfügbaren Möglichkeiten – Logistik, IT, Echtzeitabfrage zum Lagerbestand tatsächlich verfügbarer Teile, KI-Unterstützung usw. usf. – rasch Fahrt aufzunehmen. Und um in punkto Akzeptanz und Selbstverständlichkeit damit auch gegenüber anderen europäischen Ländern aufzuholen, in denen Reparaturen mit gebrauchten Teilen teilweise bereits seit zehn und mehr Jahren zum Standard geworden sind. Spätestens 2027, wenn die neue Altautoverordnung umgesetzt sein wird, dürfte sich nach Expertenmeinung der Markt in Sachen Ökologie, Ressourcenschonung und Energiebilanzen "ohnehin noch deutlich wandeln".
Unfallreparatur wird grün(er)
Neben der ökologischen besitzt das Thema Gebrauchtteile mehr denn je auch eine handfeste ökonomische Komponente. Während es – zunächst ausgelöst durch die Corona-Pandemie mit gerissenen Lieferketten – seit dem Krieg in der Ukraine mit weiteren geopolitischen Auseinandersetzungen sowie Instabilitäten auch in jüngerer Zeit wiederholt zu Verzögerungen und Engpässen in der Beschaffung von Neuteilen kommt, rückt die von der Allianz Versicherung als First Mover propagierte "Grüne Reparatur" immer mehr als Alternative in den Fokus des Schadenmarktes.
Gebrauchtteile als Ausweg aus der OEM-Preisspirale
Wie sehr der Kostendruck auf die Versicherungen in den letzten Jahren zugenommen hat, zeigt sich deutlich an den hohen Defiziten der Kfz-Assekuranz in 2023 mit drei Milliarden Euro, die laut GDV auch im laufenden Jahr noch bei zwei Milliarden Euro liegen werden. Die deutschen Autoversicherer haben deshalb bereits angekündigt, in diesem Jahr ihre Prämien neuerlich nicht unerheblich zu erhöhen.
Als wesentliche Kostentreiber ausgemacht hat der GDV die aus seiner Sicht "drastischen Preissteigerungen" bei Ersatzteilen der Automobilhersteller, die sich im Zeitraum von gerademal zehn Jahren um bis zu 100 Prozent verteuert und damit extrem von den eher "zivil" angepassten Kfz-Prämien und auch dem Verbraucherpreisindex entfernt hätten.
Langfristige Entlastung bei Versicherungskosten im Fokus
"Durch die Verwendung hochwertiger Gebrauchtteile können wir Lieferengpässe kompensieren, somit Schadennebenkosten senken und gleichzeitig CO₂-Emissionen reduzieren. Das könnte langfristig auch entscheidend zur Entlastung der Versicherungskosten beitragen", lautet in diesem Zusammenhang die Botschaft von Michael Kauß und seinem Geschäftsführungs-Kollegen bei der ClaimParts GmbH, Oliver Hallstein. Ziel sei es, durch die Nutzung gebrauchter Ersatzteile eine nachhaltige und wirtschaftliche Lösung für Versicherungen und Endkunden zu schaffen.
Neuer Top-Verwerter steigert GT-Volumen auf 5,5 Millionen
Auf diesem Weg sind Kauß und Hallstein zuletzt ein ganzes Stück weiter vorangekommen. In nicht einmal sechs Wochen seit Start der "Initiative Vernunft & Zukunft" Anfang Oktober in Frankfurt/M. konnnten net.casion und ClaimParts "einen weiteren Top-Verwerter hinzugewinnen", so Michael Kauß heute in einem mit ihm geführten Gespräch unserer Redaktion. Gebracht habe dies nicht weniger als eine weitere Million an hochwertigen Qualitätsteilen. Somit stehen aktuell bereits gut 5,5 Millionen Gebrauchtteile bei ClaimParts zur Verfügung, die für eine nachhaltige Reparatur sofort genutzt werden können.
"Wöchentlich inzwischen 3.000 Teile aus der Kfz-Assekuranz"
Seit der Frankfurter Fachtagung hat sich augenscheinlich aber auch bei den dort vertretenen rund 20 Kfz-Versicherern etwas bewegt: Auch hier konnten aus Totalschäden, die aktiv in die Restwertbörse green.casion eingesteuert wurden, "mehr als 5.000 noch einwandfreie Fahrzeugteile gewonnen werden, die wir nach Begutachtung, Dokumentation und entsprechender Listung bei ClaimParts den mitwirkenden Versicherungen und deren Partnerbetrieben für ein ,zweites Leben‘ in anderen Fahrzeugen neuerlich anbieten", so Kauß.
Der wöchentliche Neuzulauf liege inzwischen sogar schon bei rund 3.000 Gebrauchtteilen, die aus Totalschäden des Grünen Kreislaufs stammen. Wie akribisch jedes einzelne Teil mit Ersatzteilnummer(n), Qualitätsbeschreibung sowie Angaben zum Spenderfahrzeug dokumentiert und beschrieben sowie mit Foto illustriert ist, macht beispielhaft das Bild am Ende dieses Beitrages deutlich. Darüberhinaus wird in der Artikelbeschreibung eindeutig festgehalten, dass es sich um ein Ersatzteil handelt, das (im konkreten Beispiel bis 21.12.2024) "exklusiv für die Regulierung von Versicherungsfällen reserviert" ist.
Allianz geht weiter voran
Frank Sommerfeld, Vorstandschef der Allianz Versicherungs-AG, der vor einem halben Jahr als Branchenerster den Einstieg in die Grüne Reparatur mit Gebrauchtteilen gestartet hat und seitdem auch nicht müde wird, alle anderen Gesellschaften auf den gemeinsamen Weg zu mehr Nachhaltigkeit einzuladen, stellt seinerseits nicht nur für den Verwertungsprozess geeignete Schäden ein, sondern profitiert andererseits von entsprechend im Zirkulationsprozess gewonnenen Gebrauchtteilen bei der Instandsetzung von Fahrzeugen "seiner" eigenen Versicherungsnehmer.
"10 Prozent der Totalschäden eignen sich besonders gut"
Die Allianz bietet ihren Kunden aktuell mit über 1.400 Partnerwerkstätten eine Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen an, wie Sommerfeld zuletzt auf dem Autotag 2024 im AZT nochmals bekundete. Verwendung finden seinen Worten zufolge derzeit rund 25 Außenteile wie Türen sowie Front- und Heckklappen, aber auch Spiegel, Scheinwerfer oder Rückleuchten. Sicherheitsrelevante Teile wie Lenkungen, Achsteile oder Räder würden nicht verwendet. "Für den ClaimPart-Prozess eignen sich derzeit rund zehn Prozent der echten Totalschäden besonders gut", befand er in Ismaning im Rahmen des internationalen Autotags (wir berichteten).
Schon ein einziges Teil egalisiert den Restwertverlust
Wie schnell sich eine Gebrauchtteilreparatur heute in der Praxis rechnet und wie hoch gegebenfalls eine Einbuße für den einsteuernden Versicherer ausfällt, wenn er nicht den bisherigen "klassischen" Restwertbörsen-Verwertungsweg wählt, wollten wir aktuell ebenfalls von net.casion-GF Michael Kauß wissen. Er erläurterte uns dafür einen ganz aktuellen Fall (siehe Aufmacherbild zu dieser Meldung), bei dem am 26. August 2024 eine (der Redaktion auch namentlich bekannte) Versicherung – im Beispiel als VU1 bezeichnet – einen Totalschaden in die Verwerterbörse green.casion einbrachte, der einen gutachterlich festgestellten Restwert in Höhe von 3.306 Euro besaß.
Am 3. September 2024 ersteigerte ein gelisteter und zertifizierter Verwerter das Fahrzeug für 3.200 Euro und zerlegte es danach fachgerecht. Neun Tage später bot der Verwerter die für den Grünen Kreislauf gewonnenen Teile mit Verwertungsnachweis über die Plattform ClaimParts zum Verkauf an. Am 6. November 2024 bestellte eine Partner-Werkstatt für eine (der Redaktion ebenfalls bekannte) Versicherung – hier als VU2 bezeichnet – eine gebrauchte Türe hinten rechts für 707 Euro inkl. Versand. Die Differenz zum Neuteil (1.056 Euro) betrug 33 Prozent.
"Bereits nur dieses eine Gebrauchtteil brachte eine nicht unerhebliche Kostenersparnis, einen verkürzten Werkstattaufenthalt (damit erneut auch Kostenersparnis) und eine CO₂ Reduktion von 67 Kilogramm mit sich", so Michael Kauß. "Und das Spenderauto hat noch mehr als 3.500 Euro zusätzliches Einsparpotential durch die weiter gewonnenen und noch verfügbaren Gebrauchtteile." Entscheidend aber sei, so Kauß, dass bereits durch die Wiederverwendung eines einzigen Teils der wirtschaftliche Verlust des (den Totalschaden einstellenden) Versicheres von eingangs 106 Euro mehr als kompensiert werden konnte.
Mit jedem weiteren Teil wird die Bilanz positiver
Weiter verfügbar aus dem Spenderfahrzeug waren beispielsweise auch zahlreiche sonstigen Teile, so beispielsweise die Motorhaube, die zusätzliche 118 Kilogramm CO₂ Reduktion bedeutete. Die beiden Bilder hierzu von der äußeren Oberfläche und der Innenseite verdeutlichen den Werkstätten vorab den Zustand des Bauteils. Etwaige kleinere Beschädigungen werden sichtbar gemacht und exakt beschrieben.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass nachhaltiges Schadenmanagement mit seinem Herzstück, dem Grünen Kreislauf, offensichtlich keinerlei wirtschaftlichen Verluste für den einsteuernden Versicherer mit sich bringt, dafür aber weitere Benefits wie beispielsweise einen zügigeren Reparaturabschluss, Ressourcenschonung und CO₂-Ersparnis.
"Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz für alle Beteiligten"
Dazu paßt auch ein abschließendes Statement von Oliver Hallstein und Michael Kauß: "Mit green.casion und ClaimParts wollen wir den Reparaturmarkt so unterstützen, dass die Kosten im erträglichen Rahmen bleiben, idealerweise wirtschaftlich ein gutes Plus entsteht und gleichzeitig die Umwelt bestmöglich profitiert. Wir setzen mit all unseren Konzepten auf die Zukunft einer Reparaturwelt, in der Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz Hand in Hand gehen – für Versicherer, Werkstätten und Endkunden."