Frank Sommerfeld, Vorstandsvorsitzender der Allianz Versicherungs-AG, unternahm Ende vergangener Woche den entscheidenden Vorstoß für die gesamte deutsche Versicherungswirtschaft: "Ab sofort" können Reparaturen bei den rund 1.400 Werkstätten der Innovation Group auch mit gebrauchten Ersatzteilen angeboten werden. Den Schadensteuerer mit Sitz in Stuttgart hat die Allianz bekanntermaßen im vergangenen Jahr komplett übernommen.
Innovation Group geht voran, ClaimParts liefert die Teile
Bereits im April dieses Jahres wurde die Innovation Group laut Sommerfeld an die Gebrauchtteile-Plattform ClaimParts angeschlossen. Seither nutzen die IG-Partnerbetriebe die neue Suche nach sogenannten "GreenParts", welche "natürlich auch bei einem Lieferengpass von Neuteilen helfen" könne. Der Pilotlauf verlief offensichtlich so zufriedenstellend, dass der CEO jetzt die Gebrauchtteil-Instandsetzung auch öffentlich ausgerufen hat und offiziell zum heutigen Montag im IG-Werkstattnetz "scharf" schalten lässt.
Allianz treibt Nachhaltigkeit auch weltweit
Die Philosophie, welche den weltweit tätigen Münchner Versicherer seit zwei Jahren massiv umtreibt, fasste Frank Sommerfeld nochmals in einem ausführlichen Statement zusammen, das unserer Redaktion vorliegt. Darin hält der Vorstandschef fest: "We secure your future – diesem Anspruch will die Allianz Gruppe weltweit gerecht werden. Damit Zukunftsvorsorge für Kundinnen und Kunden gelingen kann, muss die Erde ein lebenswerter und versicherbarer Ort bleiben. Nachhaltigkeit ist dafür unerlässlich. Nicht nur in der Kapitalanlage. Auch als großer Sachversicherer kann die Allianz mit Produkten und Services in der Auto- und Wohngebäudeversicherung sowie bei Unternehmensversicherungen klimaschädliche Emissionen reduzieren und die Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft unterstützen."
"Grüne Reparatur" rückt in den Kernfokus
Bereits auf dem 10. Allianz Autotag am 19. Oktober 2022 beschäftigten sich vor allem Sommerfeld, Schadenvorständin Lucie Bakker sowie namhafte nationale und internationale Experten mit der Frage, wie nachhaltig Autoversicherungen sein können (wir berichteten ausführlich). Konkret ging es damals nicht nur um Karosseriearbeiten, sondern auch um Präventiv- und Instandsetzungskonzepte für Hochvolt-Batterien, die Aufbereitung von teuren Aluminiumteilen sowie "blinden", vergilbten Scheinwerfern und weiteren Lösungsansätzen für die poklamierte "grüne, nachhaltige Reparatur".
Der seinerzeit noch amtierende Geschäftsführer des Allianz Zentrum für Technik (AZT), Christoph Lauterwasser, sah auf Basis zahlreicher Untersuchungen mit alternativen Reparaturmethoden das größte Potenzial zur CO2-Einsparung, wenn Kfz-Schäden instandgesetzt werden statt stets nur Neuteile zu verwenden (Stichwort: "I statt E"). Denn gerade die Herstellung eines Neuteils habe einen deutlich höheren CO2-Ausstoß als eine Reparatur.
Ressourcenschonung, Kosten- und CO2-Minimierung
Die Allianz Versicherungs-AG gibt nach eigenem Bekunden jährlich rund sechs Milliarden Euro aus, um Schäden für ihre Kunden zu beseitigen. Von daher sind die Überlegungen des Vorstandschefs nachvollziehbar: "Wenn es uns gelingt, einige der beschädigten Teile nachhaltig zu ersetzen, kann daraus ein echter Beitrag für die Umwelt entstehen. Insbesondere in einem nachhaltigen Schadenmanagement in der Kfz-Versicherung sehe ich viele Hebel, die den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren können. Es ist deshalb für mich von größter Bedeutung, ressourcenschonende Alternativen bei der Reparatur zu prüfen, anstatt fortwährend ausschließlich neue Ersatzteile zu verwenden."
Ohnehin seien sich alle Experten inzwischen einig darüber, so Sommerfeld, dass Reparieren nachhaltiger ist, als Neuteile einzusetzen. Das AZT verwies auf den beiden zurückliegenden Allianz Autotagen wiederholt u.a. darauf, dass bei der Windschutzscheibe eines VW ID.3 "rund 99 Prozent der CO2-Emissionen eingespart" werden, wenn repariert statt ausgetauscht werde. Darüberhinaus falle auch der erforderliche Gesamtaufwand um "bis zu 1.200 Euro geringer" aus.
Vergleichsreparaturen und Studien
Bei der Instandsetzung beispielsweise einer Seitenwand von einem Ford Fiesta, die das AZT 2022 gemeinsam mit der Carbon GmbH durchführte, reduzierten sich die Kosten um circa 1.700 Euro, die CO2-Emissionen sanken gleichzeitig um 60 Prozent.
Vergleichbare Ergebnisse hatte Carbon übrigens erstmals vor einer großen Fachöffentlichkeit auf dem AUTOHAUS-Schadenforum im Jahr 2019 gezeigt. Mit einbezogen wurden dabei auch alle weiteren Arbeitsschritte, beginnend mit der Schadensbegutachtung und Kostenfeststellung, welche DEKRA vornahm, bis hin zu den beiden fertig lackierten VW Golf-Fahrzeugen, die einmal "konventionell" mit Ersatz der Seitenwand und einmal mit instandgesetzter Seitenwand repariert wurden.
Auch Schadensteuerer Innovation Group analysierte im Frühjahr 2023 zusammen mit dem Fraunhofer Institut in Kooperation mit Axalta und Identica-Bultink die Potenziale einer nachhaltigen Reparatur. Das Ergebnis der Studie erläuterte der damalige IG-Vorstandsvorsitzende Matthew Whittall gegenüber AUTOHAUS so: "Wird dem Instandsetzen von Bauteilen der Vorzug vor dem Teiletausch gegeben, sinken die CO2-Emissionen auf rund die Hälfte."
5.000 Tonnen weniger CO2 bei 2% mehr Reparaturen
Allianz-CEO Sommerfeld griff am Freitag explizit nochmals die entsprechenden Berechnungen von Christoph Lauterwasser aus 2022 auf: "Würde man in Deutschland die Reparaturquote in Autowerkstätten um nur zwei Prozentpunkte erhöhen, ließen sich jährlich rund 5.000 Tonnen CO2 einsparen, das entspricht dem Energieverbrauch von 860 Haushalten."
Ferner verwies er am Freitag darauf, dass sich auf dem 10. Allianz Autotag die Experten auch dahingehend einig waren, dass die Verwendung von gebrauchten Ersatzteilen ebenfalls ein großes Emissions-Einsparungspotenzial enthält. "Im Sinne einer automobilen Kreislaufwirtschaft haben einige Länder bereits vielversprechende Maßnahmen ergriffen, um den Markt für gebrauchte Ersatzteile weiter zu fördern. In England, den Niederlanden und in Frankreich wurden schon vor einigen Jahren Vorgaben zum Angebot und zur Förderung von wiederverwendbaren Teilen in Kfz-Werkstätten eingeführt, entsprechende Gebrauchtteileportale sind etabliert und die Logistik dahinter funktioniert", konstatierte Sommerfeld und schloss sogleich die Frage an: Warum ist das nicht in Deutschland so?
Politik, Hersteller und Versicherer in der Pflicht
Einige Fahrzeughersteller hätten allerdings bereits reagiert und böten auch gebrauchte Ersatzteile in ihrem Händlernetz an. "Zudem sehen wir gerade mit Blick auf das Recycling von Elektrofahrzeugen und deren Batterien einen wachsenden Markt für Teile aus der Demontage von Alt- und Unfallfahrzeugen. Diese Entwicklung stimmt mich positiv", so Frank Sommerfeld. Dennoch sei "hier die deutsche Politik gefordert", durch gesetzliche Rahmenbedingungen die Entwicklung schneller voranzubringen. Und auch die Versicherer selbst könnten seiner Überzeugung nach dafür sorgen, "dass in Deutschland ein Markt für gebrauchte Ersatzteile entsteht und dieser für Unfallreparaturen genutzt werden kann".
Die Allianz habe das Thema seit 2022 weiter "aktiv vorangetrieben mit unserem Partner ClaimParts als Treiber". Die für eine Unfallreparatur üblicherweise benötigten Karosserieteile stünden in Deutschland zwar noch nicht in der benötigten Menge zur Verfügung, sodass interessierten Kfz-Fahrzeughaltern "oft gar kein Angebot für eine nachhaltige Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen gemacht werden kann".
Zielgruppe 3- bis 8-jährige Fahrzeuge
Es sei gängige Praxis, dass Versicherer Totalschadenfahrzeuge auch international vermarkten, um einen maximalen Erlös zu erzielen. Deshalb seien aktuell nur wenige Ersatzteile für kaskoversicherte Fahrzeuge im Alter von drei bis acht Jahren, der momentanen "Zielgruppe" für eine Gebrauchtteilreparatur, vorhanden. Noch jüngere Fahrzeuge seien meist finanziert oder geleast, bei älteren Autos ab neun Jahren lohne sich nach Ansicht des Allianz-Vorstandschefs "oftmals auch eine Reparatur mit gebrauchten Ersatzteilen nicht mehr".
"Nurmehr zertifizierte Verwerter"
Man habe sich deshalb entschlossen, ab sofort die Verwertung geeigneter Totalschadenfahrzeuge "nur noch mit in Deutschland zertifizierten Verwertern durchzuführen, die sich wiederum verpflichtet haben, die Fahrzeugteile bevorzugt dem heimischen Reparaturmarkt und mit kurzen Transportwegen wieder zur Verfügung zu stellen". Nach bereits erfolgreichen Fahrzeugeinstellungen sei die Allianz nun in der Lage, über die rund 1.400 Partnerwerkstätten der an ClaimParts angebundenen Innovation Group auch Gebrauchtteil-Instandsetzungen durchzuführen. ClaimParts verfüge derzeit über rund 4,5 Millionen gebrauchte Ersatzteile, die mit steigender Tendenz über green.casion, eine reine Plattform für zertifizierte Verwerter, eingesteuert werden. ClaimParts und auch green.casion sind Tochterunternehmen der Restwertbörse net.casion, die in den letzten Jahren akribisch die Grundlagen für Gebrauchtteilreparaturen geschaffen hat und mit ihrem "geschlossenen Kreislauf" für sich in Anspruch nimmt, der einzige Anbieter im Markt zu sein, der selbst E-Unfallfahrzeuge rechtlich einwandfrei händeln kann (wir berichteten).
"Keine Verwendung von sicherheitsrelevanten Teilen"
Im Fokus der Allianz-GT-Reparatur mit Innovation-Group-Werkstätten stehen laut Sommerfeld derzeit vor allem Karosserie-Außenhautteile wie Türen sowie Front- und Heckklappen, aber auch Spiegel, Scheinwerfer oder Rückleuchten. Sicherheitsrelevante Teile wie Lenkungen, Achsteile oder Räder würden nicht verwendet.
Insgesamt spreche man derzeit von rund 25 ausgewählten Teilen, die aus einem Unfallfahrzeug für Reparaturen gewonnen werden. Schon diese relativ überschaubare Anzahl an Teilepositionen bedeute allerdings im Vergleich zur Neuteilproduktion eine Reduktion von circa 700 Kilogramm CO2. "Aber auch Motoren, Getriebe und Aggregate können nach einer Funktionsprüfung wiederverwendet werden", zeigte der Allianz-Vorstandsvorsitzende das weitere Potenzial auf.
"Wir hoffen auch auf andere Versicherer"
Zum Abschluss seines Statements brachte Frank Sommerfeld noch eine klare Erwartungshaltung zum Ausdruck, die er an den gesamten Kfz-Assekuranzmarkt hat: "Wir hoffen, dass auch andere Versicherer unserem Beispiel folgen. Gemeinsam können wir es schaffen, unbeschädigte Teile aus Totalschadenfahrzeugen einem sinnvollen neuen Verwendungszweck zuzuführen."