Das in Bruchsal ansässige Unternehmen Volocopter präsentierte auf der Paris Air Show statische und fliegende elektrisch angetriebene, senkrecht startende Fluggeräte (eVTOLs). Zwei dieser Luftfahrzeuge, Multikopter des Typs VoloCity, hat die ADAC Luftrettung jetzt für ihr Pilotprojekt zum bemannten Einsatz im Rettungsdienst bestellt. Den entsprechenden Vertrag unterzeichneten Frédéric Bruder, Geschäftsführer der ADAC Luftrettung gGmbH, und Dirk Hoke, CEO von Volocopter. Eine weitere Vereinbarung sieht eine Option für bis zu 150 Multikopter der nächsten Volocopter-Generation vor.
Nachfolgemodell als schneller Notarztzubringer im Realbetrieb
"Wir waren von Anfang an überzeugt davon, dass diese Fluggeräte auch den Rettungsdienst der Zukunft prägen und verbessern können", erklärte Geschäftsführer Frédéric Bruder. Weiter betonte er: "Mit höheren Reichweiten und Einsatzgeschwindigkeiten sowie deutlich mehr Zuladung der nächsten Multikopter-Generation können wir die Vorteile für die Notfallversorgung auch in der Praxis umsetzen – und unseren satzungsgemäßen Auftrag erfüllen, den Rettungsdienst aus der Luft mit zukunftsweisenden Innovationen weiterzuentwickeln."
Start des Testbetriebs in 2024
Dirk Hoke, Chief Executive Officer of Volocopter, sagte: "Ich kann mir keine bessere erste Anwendung für Volocopter in Deutschland vorstellen, als damit Leben zu retten. Die ADAC Luftrettung ist der führende europäische Luftrettungsdienst mit hochqualifizierten Piloten und glaubt an eine gemeinsame bessere Zukunft Dank eVTOLs. Wir haben bereits bewiesen, dass der Anwendungsfall Notfallrettung in der Theorie funktioniert, jetzt konzentrieren wir uns auf die erste Lieferung, um den Testbetrieb 2024 zu starten."
Alles begann 2018 mit einer Studie
Die weltweit erste Machbarkeitsstudie für den Einsatz von Multikoptern im Rettungsdienst war in Kooperation mit der Firma Volocopter Ende 2018 von der ADAC Luftrettung auf den Weg gebracht worden. Für die von der ADAC Stiftung geförderte Studie hatte das international renommierte Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement der Ludwig-Maximilians-Universität München (INM) für die Bundesländer Bayern und Rheinland-Pfalz Einsatzpotentiale des Multikopters ermittelt und für zwei Modellregionen mehr als 26.000 Notfalleinsätze mit Multikoptern am Computer simuliert: für den Rettungsdienstbereich Ansbach mit dem Luftrettungsstandort Dinkelsbühl in Bayern sowie Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz.
Ab 25 Kilometer gewinnt die Notfallversorgung
Die Studie der ADAC Luftrettung konnte erstmals einen einsatztaktischen Vorteil von Multikoptern im Rettungsdienst theoretisch belegen: Deutliche Verbesserungen für die Notfallversorgung ergeben sich ab einem Einsatzradius von 25 bis 30 Kilometern. Die optimale Fluggeschwindigkeit des Multikopters sollte in diesem Fall bei mehr als 150 km/h, die Mindestreichweite bei rund 150 Kilometern liegen.
Multikopter als Ergänzung für die Rettungs-Helis
Im Vergleich zu einem Rettungshubschrauber ist ein Multikopter leiser und emissionsärmer und daher auch unter dem Aspekt von Nachhaltigkeit und Reduzierung des CO2-Abdrucks eine große Chance für die Luftrettung. Die Besatzung besteht bei einem Multikopter-Einsatz nur aus einem Piloten und einem Notarzt – und nicht wie bei einem klassischen Rettungshubschrauber aus Pilot, Notarzt und Notfallsanitäter (TC HEMS). Der Multikopter soll den Rettungshubschrauber ausdrücklich nicht ersetzen, sondern die schnelle Hilfe aus der Luft ergänzen.
Auch Frankreich bekundet Interesse
Die Machbarkeitsstudie und die Chancen für die Notfallversorgung durch Multikopter als schnelle Notarztzubringer sind bei der Paris Air Show auch auf großes Interesse des Assistance publique - Hôpitaux de Paris gestoßen. Der Klinikverbund der Pariser Krankenhäuser kann sich zusammen mit dem Partner Groupe ADP (Aeroport de Paris) vorstellen, das Multikopter-Konzept der ADAC Luftrettung nach einem erfolgreichen Start in Deutschland auch in Frankreich zu testen.
2026 könnte der Rettungsdienst-Regelbetrieb folgen
Im Sommer 2024 will das Unternehmen Volocopter den Startschuss für den ersten Regelbetrieb von Flugtaxis des Typs VoloCity in Paris geben. In Deutschland wird der erste VoloCity nach aktuellen Planungen im Herbst 2024 von der ADAC Luftrettung in Betrieb genommen. Nach erfolgreichem Abschluss eines mindestens zweijährigen Forschungsbetriebs in den Modellregionen Idar-Oberstein und Dinkelsbühl könnte das Multikopter-Projekt dann mit einem Nachfolgemodell in den Rettungsdienst-Regelbetrieb gehen. (bs/wkp)
Fakten zur ADAC Luftrettung gGmbH
Mit mehr als 50 Rettungshubschraubern und 37 Stationen ist die gemeinnützige ADAC Luftrettung eine der größten Luftrettungsorganisationen Europas mit bis heute mehr als 1,2 Millionen Einsätzen. Die ADAC Rettungshubschrauber gehören zum deutschen Rettungsdienstsystem, werden immer über die Notrufnummer 112 bei der Leitstelle angefordert und sind im Notfall für jeden Verunglückten oder Erkrankten zur Stelle. "Gegen die Zeit und für das Leben" lautet der Leitsatz der ADAC Luftrettung gGmbH. Denn gerade bei schweren Verletzungen oder Erkrankungen gilt: Je schneller der Patient in eine geeignete Klinik transportiert oder vor Ort vom Notarzt versorgt wird, desto besser sind seine Überlebenschancen bzw. seine Rekonvaleszenz. Die Crews der ADAC Luftrettung werden trainiert von der ADAC HEMS Academy GmbH. Die Wartung und technische Bereitstellung erfolgt über die ADAC Heliservice GmbH. Die ADAC Luftrettung ist ein Tochterunternehmen der ADAC Stiftung.
Die Volocopter GmbH
Volocopter bringt Urban Air Mobility (UAM) in die Megastädte dieser Welt und will nach eigenem Bekunden "die Lebensqualität der Menschen in Städten mit einer ganz neuen Art der Mobilität verbessern". Dafür entwickle das Unternehmen zusammen mit ihren Partnern "ein nachhaltiges und skalierbares UAM-Ökosystem inklusive Infrastruktur und Betrieb".
Volocopters Familie von Fluggeräten bietet Passagieren (VoloCity und VoloRegion) und Gütern (VoloDrone) "schnelle, sichere und emissionsfreie Flüge direkt an ihr Ziel". VoloIQ, die Software für das UAM-Ökosystem und digitales Managementsystem, ermögliche den sicheren und effizienten Betrieb.
Volocopter sieht sich als "Pionier der UAM-Industrie" und will kommerzielle Dienste bereits in den nächsten Jahren anbieten. 2011 gegründet, beschäftigt das Unternehmen derzeit über 500 Mitarbeiter:innen in Deutschland und Singapur und absolvierte bereits über 1.500 erfolgreiche öffentliche und private Testflüge. Kapital habe man von Investoren wie Geely, NEOM, die Mercedes-Benz-Group, DB Schenker, BlackRock u. a. eingesammelt. https://www.volocopter.com