Kfz-Versicherung und Fuhrparks profitieren durch intensive Analysen der Flottenzusammensetzung und aktive Schadenvermeidung gleich mehrfach: Neben sinkenden Reparaturkosten steigt die Sicherheit im Arbeitsalltag, es kommt zu langfristigen vertrauensvollen Geschäftsbeziehungen und – bei konsequenter Umsetzung – sogar günstigeren Versicherungsprämien.
Die Zahlen des GDV sind aus Versicherersicht alarmierend: Nach einem schwierigen Jahr 2022 für die Kfz-Sparte sind die Zahlen aktuell tiefrot, der Branchenverband rechnet mit einem Minus von mehr als 2,5 Milliarden Euro und einer Schaden-Kosten-Quote um die 109 Prozent. Als Gründe führt man in Berlin die stark gestiegenen Preise für Kfz-Ersatzteile und die immer höheren Stundenverrechnungssätze in Instandsetzungsbetrieben an, die den Durchschnitts-Haftpflichtschaden aktuell 3.700 Euro teuer machen. Solche Kostensteigerungen sind durch Prämiensteigerungen, Prozessverbesserungen und Schadenmanagement nicht mehr aufzufangen, warnen Branchenprofis.
Warum die Kfz-Flottenversicherung von diesen Entwicklungen besonders stark betroffen ist, welche klassischen Gegenmaßnahmen aufgrund des aktuellen Marktumfeldes nicht mehr funktionieren und wie Assekuranzen gegensteuern können, diskutierte AUTOHAUS-Schadenmanager exklusiv mit zwei Experten zum Thema: Ralph Feldbauer, Geschäftsführer der Risk Guard GmbH und Dr. Sebastian Madeja, Leiter Geschäftsfeld Mobilität bei der Nürnberger Versicherung.
Kfz-Flottenversicherung unter Druck
AH: Herr Feldbauer, die K-Bilanz 2023 wird aktuellen GDV-Prognosen zufolge negativ ausfallen. Wie geht es vor diesem Hintergrund der Flottenversicherung?
R. Feldbauer: In der Tat muss man sich schon im klassischen Geschäft bei vielen Erstversicherern die betriebswirtschaftliche Sinnfrage stellen. Die ohnehin bereits seit Jahren steigenden Schadenkosten verteuern sich durch Kfz-Ersatzteile und hochpreisige Werkstattstunden momentan inflationär. Unsere Risk Management-Projekte bestätigen die GDV-Zahlen, so dass wir im Zehn-Jahres-Vergleich von einer Kostensteuerung um rund 55 Prozent ausgehen müssen. Im Vergleich zu anderen Sparten trifft es die Flottenversicherung noch einmal deutlich härter: Die wesentlich höhere Fahrleistung von Fuhrparks, andere Einsatzzwecke und häufige Fahrerwechsel führen zu einem gesteigerten Unfallrisiko. Dazu kommt – nur auf den ersten Blick paradoxerweise – die gute technische Ausstattung von modernen Fahrzeugflotten. Fahrerassistenzsysteme helfen dabei, viele Crashs und Blechschäden zu vermeiden. Dies aber nur dann, wenn sie aktiviert sind und ihre Bedienung richtig geschult wird. Kommt es dennoch zum Unfall, treibt die High Tech die Reparaturrechnungen noch weiter in die Höhe. Eine Combined Ratio von bis zu 112 Prozent macht sofortiges Handeln erforderlich.
Prävention statt Prämienerhöhung
AH: Herr Dr. Madeja, wie könnte dieses Handeln in der Praxis aussehen?
Dr. S. Madeja: Entscheidend ist, dass ein ganzes Bündel von Gegenmaßnahmen umgesetzt wird. Das beginnt mit einer intensiveren Risikoanalyse, die notwendige Grundlage von stimmigen Bewertungen und marktgerechtem Pricing ist. Ergänzend dazu muss die aktive Vermeidung von Schäden viel mehr in den Fokus rücken und von den Risikoträgern entsprechend angeboten werden. Diese Erkenntnis setzt sich bei den professionellen Erstversicherern und ihren Schnittstellenpartnern wie Maklern und Schadenmanagement-Unternehmen, immer stärker durch.
In der aktuellen Marktsituation reichen konventionelle Maßnahmen nicht mehr aus. Prämiensteigerungen in einem Maße, die die auflaufenden Schadenkosten auffangen könnten, führen ebenso zu einem Beitragsverlust durch Anbieterwechsel wie die Verschiebung des Schadenaufwands auf die Seite des Fuhrparks durch höhere Selbstbehalte. Dazu kommt, dass, wann immer ein Flottenkunde die Kfz-Versicherung wechselt, der bisherige Anbieter auch gute Risiken verliert, die er gerne weiter begleitet hätte. Beim neuen Partner beginnt der ganze Prozess dann unverändert von vorne, wenn nicht an den Ursachen der zu hohen Schadenkosten angesetzt wird.
AH: Wie kann professionelles Risk Management diesen Negativ-Kreislauf unterbrechen?
R. Feldbauer: Dadurch, dass alle Beteiligten von den richtigen Maßnahmen gleich mehrfach profitieren. Mit steigender Erfahrung in Sachen Schadenprävention wird die Risikoanalyse über das Underwriting enorm verbessert. Erreichen Risk Manager und Fuhrpark die notwendige Transparenz in Sachen Unfallschäden, lassen sich in der Regel konkrete Handlungsanweisungen ableiten, um Risiken beherrschbarer zu machen, die Arbeitssicherheit und Rechtskonformität im Flottenalltag deutlich zu steigern. Dazu kommt die Vermeidung von Folgekosten sowohl bei versicherten, als auch bei den nicht versicherten Schäden. Ein enormes Potenzial! Der Kfz-Versicherer wiederum profitiert davon, dass seine Kunden mehr Eigenverantwortung übernehmen und durch die kontinuerliche Überwachung des gemeinsamen Erfolges langfristige Geschäftsbeziehungen entstehen. Alle Beteiligten profitieren von diesem Konzept, was bekanntlich die beste Ausgangslage für erfolgreiches Wirtschaften ist.
Problemlöser Risk Management
AH: Wie setzt die Nürnberger Versicherung diese Erkenntnisse aktiv um?
Dr. S. Madeja: Vor allem durch zielgerichtetes Handeln ohne Gießkannenprinzip. Wir sind uns bewusst, dass es zuallererst auf eine genaue Individualanalyse des konkreten Fuhrparkrisikos ankommt. Neben Anzahl, Modellauswahl und technischer Ausstattung gehört dazu auch der Anteil von gemeinsam genutzten Poolfahrzeugen, die erfahrungsgemäß deutlich mehr Schäden verursachen als fest zugewiesene Firmenwägen. Wir benötigen also einen tiefen Einblick in die bisherigen Daten und Schadenzahlen, die mit der richtigen Mischung aus Erfahrungswerten und intelligenten Berechnungstools in eine faire Angebots- und Vertragsgestaltung übersetzt werden. Das Underwriting muss also professionalisiert werden und das auch im Sinne des Kunden, damit alle langfristig von Kostenreduktion und Mehrertrag profitieren können.
Im Frequenzschadenbereich Flottenversicherung ist Risk Management ein wesentlicher Stellhebel, um so gut wie alle angesprochenen Kernthemen fundiert zu bedienen. Wir bilden deshalb gerade Personal für den notwendigen ganzheitlichen Beratungsansatz aus. Übergeordnetes Ziel ist dabei Aufklärung und Transparenz. Über laufende Schadenkurzanalysen sehen unsere Kunden immer, wo sie gerade stehen. Damit dies funktioniert, müssen klare Meldeprozesse definiert und umgesetzt werden – im Großflottensegment gemeinsam mit professionellen Schadendienstleistern. Die Überwachung des Erfolgs der eingeleiteten Maßnahmen und – falls nötig - aktives Gegensteuern runden das Gesamtpaket ab. Richtig umgesetzt sinken nicht nur die Schadenaufwände und -quoten, sondern im Laufe der Zeit auch die Prämien. Mehr Vorteile kann ein Versicherer seinem Kunden kaum bieten.
Faktor Mensch mit High Tech kombinieren
AH: Wir hatten das Thema moderne Fahrzeugtechnik bereits angesprochen. Über Assistenzsysteme und autonome Modelle hinaus ist aktuell KI in aller Munde. Wie kann High Tech die Schadenprävention unterstützen?
R. Feldbauer: Ich gehe davon aus, dass wir in der Zukunft mit massiven Verbesserungen rechnen können. Dies hilft uns allerdings aktuell nur bedingt. Bis es flächendeckend zu einer Durchdringung der Fuhrparks mit der notwendigen Technik kommen wird, vergeht noch ein wenig Zeit. Bis die gewünschte Wirkung betriebswirtschaftlich einsetzt, erfahrungsgemäß noch etwas mehr. Bis dahin gilt es, den nach wie vor entscheidenden Faktor Mensch zu berücksichtigen. Jedes noch so innovative und sinnvolle System muss verstanden und akzeptiert werden, damit keine Bedienfehler passieren. Auch hier braucht es also ganzheitliche Beratung. In bestimmten Flottensegmenten und Wirtschaftsbereichen sehen wir besorgniserregend steigende Schadenfrequenzen. Dies liegt unter anderem daran, dass ohne entsprechende Einweisung sinnvolle Tools nicht angewandt oder gar deaktiviert werden. In einem ganz aktuellen Fall wurde so eine enorm teure Kollision inklusive Personenschaden verursacht, die technisch verhindert worden wäre.
Dr. S. Madeja: Trotzdem müssen wir natürlich bei den entsprechenden Möglichkeiten aktiv am Ball bleiben. Obwohl der Einsatz von Dongles oder Telematiksystemen zunächst einmal Kosten verursacht, lässt sich das Fahrverhalten spürbar positiv beeinflussen. Kommt es zum Unfall, werden Daten direkt aus dem Fahrzeug künftig immer wichtiger werden. Je strukturierter und umfangreicher die First Notice Of Loss, also die Schadenmeldung, ausfällt, umso schneller und besser vorbereitet kann der Versicherer oder sein Dienstleister in die Unterstützung und Steuerung gehen.
Die "Präventionsversicherung" kommt
AH: Der Schadenprävention gehört also aus Ihrer Sicht die Zukunft?
Dr. S. Madeja: Zumindest wird sie eine immer wichtigere Rolle spielen, auch bei uns im Haus. Prävention dient vor allem dem Kunden, in einem zweiten Schritt aber auch seinem Erstversicherer. Beide haben ein gemeinsames Interesse daran, Risiken zu reduzieren und Schäden idealerweise erst gar nicht eintreten zu lassen. Bei der Nürnberger sehen wir Schadenprävention als absoluten Schwerpunkt unserer strategischen Neuausrichtung. In meinem Verantwortungsbereich gehen wir diesen Weg bereits aktiv, um auch im Sinne unserer Flottenkunden ein professioneller und verlässlicher Partner sein zu können. Im kommenden Jahr werden wir als Gesamtunternehmen und spartenübergreifend daran arbeiten, das enorme Potenzial des präventiven Ansatzes für die Versicherungsnehmer der Nürnberger optimal auszuschöpfen.
AH: Herr Feldbauer, Herr Dr. Madeja, vielen Dank für dieses Gespräch. (kt)