Der Teilnehmerkreis beim Symposium des Kraftfahrzeugtechnischen Instituts in Lohfelden (KTI) setzte sich zusammen aus Vertretern der großen Kraftfahrversicherer, Vertretern des ZDK, des ZKF in Person von Hauptgeschäftsführer Thomas Aukamm, der DEKRA (Gefahrgut und Sachverständigenwesen), der DAT Deutsche Automobil Treuhand, führenden Herstellern von Diagnose- und Messtechnik sowie zwei großen Fahrzeugherstellern. Das Ziel der Veranstaltung war der Austausch über die vorhandenen und wirksamen Sicherheitsstandards. Desweiteren ging es um die Demonstration der fachlich korrekten Vorgehensweise nach einem Unfall.
Wie gefährlich ist ein HV-Fahrzeug nach einem Unfall?
"Es geistern viele Fehlinformationen und Horrorszenarien über Unfälle mit HV-Fahrzeugen durch die Welt", sagt Rainer Kühl, Leiter Strategisches Projektmanagement des KTI. Die Fakten sprechen indes "eine ganz andere Sprache", so auch KTI-Geschäftsführer Helge Kiebach. Denn bereits für die Zulassung in Europa seien alle Hersteller verpflichtet, hohe Sicherheitsstandards nachzuweisen und hochwertige Schutzeinrichtungen in die Fahrzeuge einzubauen. "Dabei ist der Schutz vor einem elektrischen Schlag, die Vermeidung eines Schadens an der HV-Batterie bzw. die permanente Überwachung der HV-Batterie hervorzuheben."
Ein Vertreter der Hersteller unterstrich dies nochmals durch den Hinweis, dass bisher kein Schadenfall bekannt ist, bei dem die Schutzeinrichtungen des HV-Systems gegen elektrischen Stromschlag versagt hätten.
HV-Diagnose und -Bewertung praktisch immer möglich
Selbst nach schweren Unfällen ist in der Regel eine Diagnose über die OBD-Schnittstelle oder direkt an HV-Batterie noch möglich, waren sich die Teilnehmer des KTI-Symposiums einig. Die richtige Diagnose sei auch die Basis für eine fachgerechte Bewertung des Batteriezustandes. Wesentliche Faktoren dabei sind die Zellspannungen, die Zelltemperaturen, die Isolationswiderstände und weitere Daten (Crashsignal, Auslösung Pyrosicherung, Trennung Pilotlinie, Zustand der Schütze, etc.)
Das 2. KTI-Symposium in Lohfelden stand unter dem Motto "Verunfallte HV-Fahrzeuge – Herausforderung Ersteinstufung, Gefährdungsklassifizierung Schaden/Transport und Gefahrgutvorschriften." Aufgeteilt war es in folgende fünf Schwerpunkte:
- Batteriediagnose nach einem Unfall auf der Basis von Herstellervorgaben
- Einzuhaltende Gefahrgutvorschriften (ADR) beim Transport von verunfallten Fahrzeugen und Antriebsbatterien
- Praktische Gefährdungsklassifizierung gemäß dem fahrzeugspezifischen Reparaturleitfaden
- Dichtigkeitsprüfung des Antriebsbatteriekühlsystems mit dem Mahle-System
- Fraunhofer AIR – Röntgentechnik in der Schadenanalyse von Antriebsbatterien
Batteriediagnose nach Unfall gemäß Herstellervorgaben
An einem Tesla Model 3, einem FIAT 500e und einem Volkswagen ID3 wurde die Diagnose der Antriebsbatterie durchgeführt. Dabei wurden die Daten des Batteriemanagementsystems (BMS) über die OBD-Schnittstelle ausgelesen. Zum Eisatz dafü+r kamen verschiedene Tester (Volkswagen ODIS, Autel Maxisys Elite II und MaxiSys EV DIAg BOX, Mahle TechPro).
Wichtige Erkenntnis: Bei einem ausgelösten Airbag kann aber nicht immer über die OBD-Schnittstelle/ CAN-Bus ein Zugriff auf die BMS-Daten erfolgen. Deshalb wurde auch die Diagnosemöglichkeit direkt an der Batterie vorgestellt. Beim Tesla beispielsweise ist der Zugang unter der Rücksitzbank, bei Volkswagen und FIAT am Unterboden an der Batterie. Für die Gefährdungsklassifizierung werden dazu aus dem BMS die wichtigsten Daten ausgelesen.
Die Daten wie die Zellspannungen, die Zelltemperaturen, die Isolationswiderstände und weitere Daten (Crashsignal, Auslösung Pyrosicherung, Trennung Pilotlinie, Zustand der Schütze, etc) bilden dabei die wesentliche Basis für die Bewertung der Antriebsbatterie. Für die Teilnehmer war es besonders eindrucksvoll, zu erfahren, wie einfach und schnell beide Diagnosemöglichkeiten durchgeführt werden können.
Einzuhaltende Gefahrgutvorschriften (ADR)
Der DEKRA Gefahrgut-Experte Thomas Schneider hat die Regeln und Anwendung des Gefahrgutrechts (ADR) für den Transport und das Handling von verunfallten HV-Fahrzeugen bzw. Antriebsbatterien sehr nachvollziehbar erläutert. Dabei ging er auf die Sondervorschriften 666 und 667 ausführlich ein.
Anhand von einem Beispiel-Prozessablauf für die Transportmöglichkeit zwischen der Verwahrstelle zum Reparaturbetrieb hat Schneider die Erforderlichkeit der Gefährdungsklassifizierung auf der Basis von Herstellervorgaben hervorgehoben. Grundsätzlich ist, wie der DEKRA-Fachmann weiter ausführte, "die zeitnahe und fachgerechte Gefährdungsklassifizierung die Voraussetzung für einen sicheren Transport und das Handling". Schneider's Ausführungen haben insofern allen Teilnehmern ein deutlich besseres Verständnis gebracht.
Die praktische Gefährdungsklassifizierung
In Ergänzung zum ersten praktischen Teil des Symposiums, der Diagnose der HV-Batterie und dem Auswerten der BMS-Daten, hat das KTI-Team danach die Durchführung der praktischen Gefährdungsklassifizierung an drei Stationen mit dem TESLA Model 3, dem FIAT 500e und dem Volkswagen ID3 vorbereitet. Dabei wurde an den jeweiligen Stationen auf Basis der Herstellervorgaben die Antriebsbatterie auf äußere Schäden begutachtet. Die Teilnehmer waren überrascht, welche klaren Vorgaben die Hersteller machen und welche Toleranzen zulässig sind.
In Verbindung mit den Ergebnissen der Batteriediagnose aus der ersten Station wurde damit eine vollständige Gefährdungsklassifizierung professionell und effektiv durchgeführt. Das Fazit für die Teilnehmer laut Rainer Kühl: "Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die Gefährdungsklassifizierung sind kein Hexenwerk, wenn die Herstellervorgaben beachtet und die richtigen Diagnosetools eingesetzt werden." Beeindruckend war für viele Teilnehmer die Einfachheit, mit der das BMS über die OBD-Schnittstelle sowie direkt an der Batterie ausgelesen werden konnte.
Dichtigkeitsprüfung des Antriebsbatteriekühlsystems
Der vierte Programmpunkt der KTI Veranstaltung war eine praktische Vorführung von Mahle mit dem Gerät E-CARE Fluid. Zuständiger Experte von Mahle für das Thema E-Mobilität war hier Mariangelo Troiani. Das in Anwendung präsentierte, neue Servicegerät kann Kühlmittel wechseln und nachfüllen sowie den Kreislauf auf Lecks prüfen. In der Vorführung hat Troiani den Ablauf des Kühlmittelwechsel am Volkswagne e-Up vorgestellt. Einfach und unkompliziert lässt sich das Gerät im Werkstattablauf nutzen und ist auch für Verbrenner nutzbar. Es gibt durch die hinterlegten Daten die Möglichkeit für einen automatischen und manuellen Ablauf. Damit hat das Gerät eine gute Nutzbarkeit für den Mechaniker.
Röntgentechnik in der Schadenanalyse von Antriebsbatterien
Den Abschluss des informativen Tages bildete der Vortrag von Philipp Fuchs, KTI Projektleiter E-Mobilität. Er befasste sich ausführlich mit dem Gemeinschaftsprojekt des Fraunhofer Instituts und dem KTI zum Thema "Antriebsbatterie-Inspektion-mittels Röntgen (AIR) an verunfallten Fahrzeugen".
Am Beispiel eines mit 50 km/h gecrashten Volkswagen e-Up hat das Fraunhofer Institut in Kooperation mit dem KTI den Zustand des Fahrzeuges und im Besonderen der Batterie untersucht. Am Fraunhofer Standort der ERZT in Fürth wurde an der weltweit größten und leistungsstärksten Röntgenanlage das komplette Fahrzeug und separat die Antriebsbatterie geröntgt. Die Ergebnisse wurden mit den Röntgenbildern eines unbeschädigten e-Up verglichen. Dabei kam heraus, dass die extreme Crashbelastung "keinerlei schaden- und sicherheitskritische Veränderungen zur Folge" hatte. "Hieraus wird deutlich, dass die Hersteller ihre Hausaufgaben im Sinne der Sicherheit sehr gut erledigt haben", kommentierte Philipp Fuchs die Resultate.
"Auch E-Schadenfälle sicher beherrschbar"
Das Gesamtfazit zur informativen wie auch aufschlussreichen Veranstaltung lautete, dass die "E-Mobilität auch im Schadenfall sicher beherrschbar ist". Wichtig dabei bleibe indes, dass "alle am Schadenbeteiligten sich an den Herstellervorgaben und den Möglichketen der mittleiweile sehr gut entwickelten Diagnosetools orientieren. Damit ist dann ein sicherer und der Basis der technischen Erforderlichkeit Umgang mit verunfallten Fahrzeugen kein Hexenwerk".