Ein neues EU-Gesetz soll die Daten aus vernetzten Fahrzeugen nutzbar machen – zum Nutzen von Fahrzeughalter:innen, zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und um nachhaltige digitale Innovationen zu ermöglichen. Der EU Data Act war denn auch das Hauptthema beim kürzlichen 11. Allianz Autotag (wir berichteten). Expert:innen diskutierten die neue Regelung im Allianz Zentrum für Technik (AZT) in Ismaning.
"Meine Daten": Der Kunde selbst entscheidet
Die Bewertung der Allianz fiel dabei eindeutig aus: "Wir begrüßen den EU Data Act", sagte Klaus-Peter Röhler, Mitglied des Vorstands der Allianz SE. Das neue Gesetz stehe für Innovation und Wettbewerb – "es ist eine europäische Initiative zur Stärkung der europäischen Digitalwirtschaft". Die neue EU-Regulierung folge zudem einem überzeugenden Grundsatz: ‚Mein Gerät, meine Daten‘ – "wir unterstützen diese Idee", so Röhler. Nutzer:innen eines vernetzten Autos, so die neue Rechtslage, können künftig vom Hersteller verlangen, dass die im Fahrzeug gesammelten Daten an Dritte übermittelt werden. Für "leicht zugängliche Daten" fordert der EU Data Act sogar eine Bereitstellung der Daten in Echtzeit.
"Verkehrssystem wird sicherer, sauberer und smarter"
Das, sagte Röhler, könne zu echten Innovationen führen: "Wir wollen unsere Kundinnen und Kunden in der Autoversicherung mit attraktiven Angeboten davon überzeugen, ihre Daten mit uns zu teilen. Auch andere Unternehmen und Start-ups hätten durch den EU Data Act die Chance, innovative und sinnvolle Services anzubieten. Durch die Verwendung von Millionen von Live-Kamera- und Positionsdaten aus Fahrzeugen ließe sich sogar das Problem der Parkplatzsuche in Innenstädten lösen.
Das wäre nicht nur für Autofahrer:innen ein Gewinn, sondern es würde erhebliche Mengen Energie einsparen, dem Klimaschutz und der Luftqualität helfen. "Wenn Fahrzeugdaten sinnvoll genutzt werden, haben sie das Potenzial, unser Verkehrssystem insgesamt sicherer, sauberer und smarter zu machen."
Neue Leistungen und Services möglich
Mit detaillierten Daten aus dem Fahrzeug können künftig ganz neue Versicherungsleistungen und Services zur Verfügung gestellt werden, ist der Allianz SE Vorstand überzeugt: "Im Falle eines Unfalls wäre es möglich, durch die Auswertung von Positionsdaten und Daten von Crash-Sensoren das Ausmaß des Schadens automatisch und in Echtzeit zu erfassen. Die Allianz könnte damit "sofort einen Abschleppdienst benachrichtigen, einen Leihwagen reservieren, passende Ersatzteile bestellen und einen Werkstatttermin für unsere Kundinnen und Kunden vereinbaren".
Rettungskette verkürzen und Unfallfolgen mindern
Bei schweren Unfällen könnte – ebenfalls ohne unnötigen Zeitverlust – sofort medizinische Hilfe geleistet werden, wodurch Personenschäden in ihrer Schwere und bezüglich etwaiger Langzeitfolgen deutlich abgemildert würden. In der Vergangenheit bedurfte es erst einer entsprechenden Information durch die Versicherungsnehmer:innen. "Künftig werden wir proaktiv auf unsere Kundinnen und Kunden zugehen und helfen, wenn sie uns am meisten brauchen", so Röhler.
Risikogerechte Prämien und eindeutige Haftungsklärung
In seiner Key Note betonte er zudem, dass die Allianz durch die Nutzung von Autodaten allen Kund:innen "den bestmöglichen Preis anbieten" kann: "Wir können deutlich risikogerechtere Versicherungsangebote kalkulieren, die sowohl die Fahrweise von Fahrerinnen und Fahrern als auch die Ausstattung des Fahrzeugs mit Sicherheitssystemen, und ob diese ein- oder ausgeschaltet sind, berücksichtigen. Gleichzeitig können die Sensor- und Kameradaten für die ordnungsgemäße, korrekte und faire Untersuchung eines Unfalls und zur Haftungsklärung verwendet werden", sagte Röhler.
Unfallschuld bei Mensch oder der Maschine?
Besondere Bedeutung werden die direkt aus dem Fahrzeug gesendeten Daten bekommen, wenn autonome und KI-gestützte Systeme in Zukunft das Fahrzeug steuern. "Betroffene, aber auch die Gesellschaft haben ein Recht darauf, zu erfahren, ob der Mensch oder die Maschine den Unfall verursacht hat", so Röhler.
Eine aktuelle Umfrage der Allianz in fünf europäischen Ländern zeigt darüberhinaus, dass eine Mehrheit der Autofahrer:innen bereit ist, ihre Autodaten an ihren Versicherer weiterzugeben, wenn sie im Gegenzug verbesserte Serviceleistungen erhalten: In Deutschland sind es 53 Prozent, in Großbritannien sogar 61 Prozent (wir berichteten). "Das ist für uns eine sehr wichtige Rückmeldung, auf die wir stolz sein können: Unsere Kundinnen und Kunden wissen, dass sie uns vertrauen können, weil wir sorgsam und in ihrem Interesse mit ihren Daten umgehen", kommentierte Röhler die Umfrageergebnisse.
"Echter Wettbewerb braucht faire Preise!"
Die Diskussionen auf dem 11. Allianz Autotag drehten sich auch um die Frage, wie Dritte in der Praxis an die Daten im Auto herankommen. Der EU Data Act legt fest, dass "leicht zugängliche Daten" in Echtzeit übermittelt werden müssen. Doch welche sind das? Und welchen Preis darf der Autohersteller für die Übermittlung an Dritte verlangen? "Echter Wettbewerb kann nur entstehen, wenn die Fahrzeughersteller faire Preise aufrufen. Sonst haben Dritte keine Chance, innovativ zu werden", sagte Röhler.
Noch fehlt der Rechtsrahmen für Datenschutz
Was aber soll eine einzelne Kundin oder ein einzelner Kunde mit den Daten ihres bzw. seines Fahrzeugs anfangen? Und vor allem: Wie sollen sie an die Daten gelangen und sie weitergeben? Das kann nach Auffassung Röhlers nur funktionieren, wenn für die Einzelperson in der Praxis ein ganz einfacher Weg für den Datentransfer bereitsteht. "Das EU-Datenschutzgesetz schafft nur die rechtliche Grundlage für die grundsätzliche Weitergabe von Daten aus dem Fahrzeug an Dritte. Es fehlt aber noch der Rechtsrahmen, der konkretisiert, auf welche technische Weise die Daten aus dem Fahrzeug für alle Marktteilnehmer nutzbar gemacht werden können", so der Allianz-Vorstand. Hierfür müsse der Gesetzgeber "schnellstmöglich eine praktikable Lösung finden, sonst kann der Datenschatz zum Kundennutzen und zum Nutzen aller Beteiligten nicht gehoben werden".
Die Allianz-Forderungen zur Fahrzeugdaten-Nutzung im Überblick
Zusammengefasst lassen sich vier grundsätzliche Forderungen des Münchner Autoversicherers festhalten, die zur Nutzung der Fahrzeugdaten dringend benötigt werden:
- Fahrzeughalter:innen müssen volle Transparenz über die in ihrem Fahrzeug erhobenen Daten erhalten. Jeder Autobesitzer muss eine genaue Übersicht bekommen, um zu wissen, welche Daten aus seinem Fahrzeug erhoben werden. Zusätzlich muss erkennbar sein, welche dieser Daten in Echtzeit an Dritte übertragen werden können.
- Damit Autobesitzer:innen die neu erlangte Hoheit über ihre Fahrzeugdaten sinnvoll einsetzen können, braucht es einen standardisierten Mindestdatensatz, um neue Services herstellerunabhängig zu ermöglichen und damit die Daten in Echtzeit über definierte Schnittstellen schnell und einfach geteilt werden können, wenn der Besitzer oder die Besitzerin es wünscht.
- Die Allianz fordert einen regulierten Marktplatz und einen unabhängigen Datentreuhänder, der den sicheren Austausch von Fahrzeugdaten gewährleistet. Diese unabhängige Institution muss sicherstellen, dass Berechtigte auf Daten zugreifen können.
- Damit Autofahrer:innen von der Vielzahl an denkbaren Innovationen profitieren können, sind faire Preise für die Datenübertragung an Dritte vonnöten. Die Kosten müssen kalkulierbar sein, um einen breiten Wettbewerb zu ermöglichen. (kaf/wkp)