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Allianz-Studie: Jeder zweite Schwerverletzte ist ein Zweiradfahrer

19.04.2022 04:59 Uhr | Lesezeit: 7 min
Sorgenkind beim Zweiradverkehr bleiben laut einer neuen Allianz-Studie die Motorradfahrer. Sie stellen 18 Prozent aller Getöteten im Straßenverkehr und rund die Hälfte aller Zweiradfahrer, angefangen bei Radl und E-Bike, über Mofa, Moped, E-Scooter bis hin zu den hubraum- und PS-starken Maschinen.

Annähernd 300.000 Menschen sterben weltweit jährlich an den Verletzungen eines Zweiradunfalls, in der EU sind es über 6.000, in Deutschland waren es vergangenes Jahr fast 1.000. Die Unfallrisiken für Zweiradfahrer sind laut einer aktuellen Allianz-Studie in den vergangenen Jahren nicht gesunken, sondern deutlich gestiegen.

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Die Unfälle des Zweiradverkehrs standen im Mittelpunkt der neuen Allianz Zweirad-Verkehrssicherheitsstudie. Jeder vierte Tote (294.000) und 41 Prozent (22 Mio.) aller Verletzten des weltweiten Straßenverkehrs verunglücken mit einem Fahrrad, Moped, Motorrad oder Vergleichbarem. EU-weit ist jeder vierte Verkehrstote ein Zweiradnutzer.

"Die Unfallrisiken für Zweiradfahrer sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. In Deutschland sterben aktuell fast 40 Prozent der Verkehrsopfer als Zweiradfahrer, noch 2001 war es ein Viertel. Bei den Schwerverletzten stieg der Anteil von einem Drittel auf die Hälfte", sagt Jochen Haug, Schadenvorstand der Allianz Versicherungs-AG. 983 getötete und 28.460 schwerverletzte Fahrradfahrer und Nutzer motorisierter Räder und E-Scooter gab es 2020 laut Statistischem Bundesamt Wiesbaden. Haug: "Diese Entwicklung ist ethisch nicht hinnehmbar. Das Sicherheitskonzept Vision Zero fordert einen Straßenverkehr ohne gravierende oder gar tödliche Verletzungen."

E-Fahrrad und E-Scooter sind keine Spielgeräte

Der deutliche Anstieg bei den Zweirädern sei gerade auch dem Trend zu Elektrozweirädern geschuldet. In den ersten zehn Monaten 2021 erhöhte sich die Zahl der mit E-Scooter Verunglückten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 153 Prozent (von 1584 auf 4001), die der Schwerverletzten um 113 Prozent (von 306 auf 652). Bei den Fahrradopfern ist jeder dritte Getötete der Nutzer eines Elektrofahrzeugs). Die Allianz Studie zeigt außerdem: Das Getötetenrisiko (Getötete pro Verunglückte) für Fahrradfahrer ist nach Berechnung des Allianz Zentrum für Technik (AZT) beim E-Fahrrad gegenüber dem herkömmlichen Rad im langjährigen Mittel dreimal höher. Ein höheres Risiko findet sich nicht nur bei Senioren, sondern auch bei allen Jüngeren. Zwar sind E-Bike-Strecken im Schnitt länger als nicht motorunterstützte Radstrecken, aber die Jahresfahrleistung ist geringer.

Crashs (zu) oft ohne Unfallgegner

Sorgenkind des Zweiradverkehrs bleiben die Motorradfahrer, mit 18 Prozent aller Getöteten und jedem zweiten Getöteten aller Zweiradfahrer. Die Allianz Untersuchung zeigt, dass vor allem überdurchschnittlich viele Alleinunfälle zur Opferbilanz beitragen. So ereignen sich 35 Prozent aller Motorradunfälle ohne Beteiligung eines Dritten.

Bei Fahrrad- und E-Bike-Nutzern sind es 28 Prozent. Bei einem Alleinsturz ist nach AZT-Berechnung das Risiko einer schweren Verletzung bei Fahrradfahrern, inklusive E-Fahrrad, doppelt so hoch wie bei Unfällen mit Dritten.

Weitere Unfallrisiken

Die Studie zeigt außerdem: Im Fahrradverkehr wird zwar das Fehlverhalten "falsche Straßenbenutzung" am häufigsten registriert, doch jüngst nimmt auch dort der für das Motorrad klassische "Geschwindigkeitsfehler" zu. Unterschätzt wird die Ablenkung, besonders bei jungen Menschen. 71 Prozent der 18 bis 24-Jährigen fahren nach einer Allianz Repräsentativerhebung mit Ohrhörern Fahrrad. Unfälle in der Nacht erfuhren coronabedingt einen Rückgang, doch Leidtragende des Radverkehrs bleiben die Senioren: 59 Prozent der getöteten Fahrrad- und 43 Prozent der Mofa-/Mopedfahrer sind älter als 64 Jahre.

Ohne Fahrradhelm mehr Kopfverletzungen

Nach Bundesstatistik ist bei Fahrradunfällen mit tödlichen Verletzungen zu circa 50 Prozent der Kopf betroffen. Die Allianz Schadendaten zeigen, dass Radler ohne Helm 2,5-mal mehr Kopfverletzungen aufwiesen als mit Helm. Die Fahrradhelm-Tragequote steigt langjährig um circa ein Prozent pro Jahr und liegt aktuell bei 26 Prozent. Eine 100-Prozent-Quote ist je nach Szenario erst in ferner Zukunft zu erwarten – aus Sicht der Unfallforscher ist das inakzeptabel. Das Argument, eine Helmpflicht halte vom Radfahren ab, ist durch internationale Forschung nicht zu stützen. Dagegen ist die Akzeptanz einer Pflicht mittlerweile auch bei Radfahrern hoch. "Aus unserer Sicht scheint es dringend geraten, zumindest über eine Helmpflicht für Kinder bis 14 Jahre und für Elektrofahrräder nachzudenken. Beides wirkt nach internationaler Erfahrung unfallmindernd und birgt Signalwirkung für das Sicherheitsbewusstsein aller", sagt Christoph Lauterwasser, Leiter des AZT.

FAS-Potenziale ausschöpfen

Die Möglichkeit, mit Fahrerassistenz in die menschliche Fehlerkette einzugreifen, ist im Zweiradverkehr bei Weitem nicht ausgeschöpft. "Wir begrüßen die EU-Verordnung zur Einführung neuer Fahrzeugsicherheitssysteme. Sie schreibt Notbremssysteme, die Fußgänger und Radfahrer erkennen und selbstständig bremsen, ab 2024 in neuen Fahrzeugtypen und ab 2026 bei Erstzulassungen vor", erläutert Christoph Lauterwasser. "Das hilft, in der Breite die Systeme auf die Straße zu bringen, die durch Aufprallvermeidung oder Verminderung der Aufprallgeschwindigkeit Leben retten können."

Doch Technik allein reiche nicht: "Gute Fahrzeuge, Verkehrstechnik und Infrastruktur sind essenziell, aber sie kompensieren noch nicht Unerfahrenheit, Unwissenheit, Unachtsamkeit, Müdigkeit, Drogenwirkung, Risikofreude, Rücksichtslosigkeit oder
schieren Mutwillen zum Regelbruch, bei allen Verkehrsteilnehmern", so Jörg Kubitzki, Studienautor und Sicherheitsforscher im AZT. "Auf der Straße treffen nicht Fahrzeuge aufeinander, sondern Menschen, und ohne stärkeren Fokus auf Verhaltensrecht und Regelbefolgung wird das Unfall-Lagebild nur schwer zu korrigieren sein."

Studien-Merkmale

Für die Studie "Zweiradsicherheit im Überblick" von Dr. Jörg Kubitzki führte das Allianz Zentrum für Technik mit dem Institut Ipsos eine repräsentative Telefonerhebung unter 1205 deutschen und 500 deutsch- und französischsprachigen schweizerischen
Fahrradfahrenden durch und analysierte mit Pia Hartmann und Oliver Braxmeier von der Hochschule Coburg 1000 Allianz Schadenakten zufällig ausgewählter Fahrrad- und Motorradunfälle. (wkp)

Sehen und gesehen werden: Oft klappt das im realen Straßenverkehr nicht und Ausweichmanöver werden zur Schicksalsfrage.
© Foto: Allianz
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