In Stuttgart wird es erst einmal keine Fahrverbote für ältere Diesel-Autos geben. Das Land geht gegen das umstrittene Fahrverbotsurteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart von Ende Juli vor. Die grün-schwarze Landesregierung einigte sich am Montag auf eine Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, wie die Regierungszentrale mitteilte. Dabei werden lediglich die rechtlichen Aspekte des Stuttgarter Urteils noch einmal gegengecheckt. Bis dahin wird es nicht rechtskräftig. Fahrverbote drohten schon zum 1. Januar 2018.
Die Einigung erzielten dem Vernehmen nach Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Vize-Regierungschef Thomas Strobl (CDU), nachdem der Koalitionsausschuss am Freitag im Streit auseinandergegangen war. Kretschmann begründete die Sprungrevision mit schwierigen Rechtsfragen und Rechtsunsicherheiten, die höchstrichterlich geklärt werden müssten. Parallel werde alles getan, um für sauberere Luft in Stuttgart zu sorgen. Strobl sagte: "Wir haben immer gesagt: Wir wollen saubere Luft und keine Fahrverbote."
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte geurteilt, dass die vorgesehenen Maßnahmen für die Landeshauptstadt nicht reichten, um die seit Jahren vor allem mit Stickoxiden und Feinstaub verschmutzte Luft nachhaltig zu verbessern. Somit drohen Fahrverbote für alte Diesel-Autos, die als Hauptverursacher von Stickoxiden gelten. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte im kommenden Jahr, vielleicht im Februar, fallen. Eine Berufung hätte länger gedauert.
Eigentlich wollten große Teile der Grünen einen Annahme des Urteils. Eine Bürgerinitiative unterstützte diese Haltung am Montag: Mehrere Dutzend Menschen demonstrierten vor Kretschmanns Amtssitz für eine Annahme des Stuttgarter Verwaltungsgerichtsurteils. Die CDU wollte hingegen eine Berufung, um das Urteil auch inhaltlich zu überprüfen. CDU-Politiker verbanden damit die Hoffnung, dass dann kürzlich geplante Maßnahmen berücksichtigt werden könnten. Dazu zählen Software-Updates für Diesel-Autos, die die Industrie angekündigt hat.
Kritiker halten die Software-Updates aber für nicht ausreichend, um die Luftsauberkeit zu verbessern. Auch das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte erklärt, dass es ohne Fahrverbote nicht geht. Sowohl die Grünen als auch CDU hatten mehrfach erklärt, notfalls auch eine Sprungrevision mittragen zu wollen. Dabei werden lediglich die rechtlichen Aspekte des Urteils noch einmal gegengecheckt.
Große Ungewissheit
Zu den rechtlichen Aspekten, die nun noch einmal geprüft werden, gehört die Frage, ob das Land Fahrverbote in Eigenregie umsetzen kann, wenn der Bund nicht handelt, obwohl er zuständig wäre. Das Verwaltungsgericht Stuttgart war der Meinung, das Land könne selbst solche blauen Umweltzonen einrichten, in die ältere Diesel nicht fahren dürften. "Doch ob das rechtlich überhaupt möglich ist, darüber besteht in der Rechtsprechung große Ungewissheit", meinte Kretschmann. «Wir halten das auch selbst für juristisch fragwürdig.»
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch bezeichnete die Sprungrevision als faulen Kompromiss. "Wer Fahrverbote wirklich verhindern will, muss mit einer Berufung an einer rechtlichen und inhaltlichen Prüfung des Urteils interessiert sein." FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sieht die Reputation von Vize-Regierungschef Thomas Strobl zerstört. Strobl, der auch CDU-Landeschef ist, war noch vor rund einer Woche in der CDU-Landtagsfraktion für eine Berufung eingetreten.
Die Fraktionschefs von Grünen und CDU, Andreas Schwarz und Wolfgang Reinhart, stellten sich nun hinter die Sprungrevision. "Ein langwieriges Berufungsverfahren, das weitere effektive Maßnahmen auf die lange Bank schiebt, wäre das falsche Signal gewesen», meinte Schwarz. Reinhart meinte: «Mit einer Sprungrevision ist unser Hauptziel einer Überprüfung des Urteils erreicht, auch wenn nach unserer Auffassung eine Berufung noch zielführender gewesen wäre.»
Kurzfristige Maßnahmen
Der zuständige Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) legte die Revision noch am Montag in Leipzig ein. Die Deutsche Umwelthilfe, die in Stuttgart als Klägerin aufgetreten war, erklärte, mit der Zustimmung zur Sprungrevision könne man leben. Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch forderte Kretschmann sowie den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) aber zu Sofortmaßnahmen auf, um die Stickoxid-Belastung zu reduzieren. Dazu gehörten etwa Sofort-Nachrüstungen bei Bussen sowie Stadt- und Landesfahrzeugen. Kuhn sicherte zu, dass die Stadt Stuttgart dahingehend alles tun werde. Über ein Paket mit kurzfristigen Maßnahmen zur Luftreinhaltung aus dem Haus von Minister Hermann will die Koalition noch verhandeln. (dpa)