Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich ungeachtet des Diesel-Skandals gegen radikale Brüche auf dem Weg zu abgasärmeren Auto-Antrieben gewandt. "Wir arbeiten nicht mit Verboten, sondern wir wollen solche Übergänge vernünftig ermöglichen im Blick auf die Beschäftigten und im Blick auf den technologischen Wandel", sagte die CDU-Chefin am Dienstag in der letzten Sitzung des Bundestags vor der Wahl. In der Autoindustrie habe es "unverzeihliche Fehler" gegeben, betonte Merkel hinsichtlich der Abgasmanipulationen. Das berechtige aber nicht dazu, die gesamte Branche ihrer Zukunft zu berauben.
Angesichts drohender Fahrverbote in mehreren Städten wegen zu hoher Luftverschmutzung durch Dieselautos sagte die Kanzlerin: "Wir werden alle Kraft darauf lenken, dass es zu solchen Verboten nicht kommt." Menschen, die sich in gutem Glauben und von der Politik ermuntert Dieselautos gekauft hätten, müssten diese auch nutzen können. "Gegen den Diesel vorzugehen, bedeutet gleichermaßen auch, gegen die CO2-Ziele vorzugehen. Das darf nicht passieren", sagte Merkel.
Die Opposition warf der Kanzlerin zu große Nachgiebigkeit gegenüber der Autoindustrie vor. Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nannte es blamabel, dass die Koalition nicht das Rückgrat habe, Hersteller mit Milliardengewinnen zu Abgas-Nachrüstungen zu verpflichten. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir forderte, der Diesel müsse nachprüfbar und finanziert durch die Industrie sauber werden. Die Grünen wollen ab 2030 keine neuen Autos mit Diesel- und Benzinmotoren mehr zulassen.
Mit einem Vorstoß für neue Klagerechte für Verbraucher in Fällen mit vielen Betroffenen wie dem VW-Skandal scheiterten die Grünen. Der Bundestag lehnte es mit den Stimmen der Koalition ab, noch eine erste Lesung über einen Gesetzentwurf der Grünen auf die Tagesordnung der letzten Plenarsitzung zu nehmen. Auf ein eigenes Gesetz für solche Musterklagen hatten sich Union und SPD nicht verständigen können.
FDP-Chef Christian Lindner bemängelte, dass Merkel die Autoindustrie nicht erneut in die Pflicht genommen habe. Die Erhöhung des Fonds sei richtig. "Mir fehlt jedoch das Verständnis, warum dies allein aus Steuermitteln bestritten wird", sagte Lindner der "Rheinischen Post". Dies sei «eine falsche Form von Nachsicht gegenüber den Konzernen zu Lasten der Steuerzahler».
Gewerkschaft IG BCE fordert "Zukunftspakt für Mobilität"
Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat angesichts der grundlegenden Veränderungen in der Autoindustrie einen "Zukunftspakt für Mobilität" gefordert. "Für eine Modernisierungsaufgabe von dieser Dimension braucht man eine überzeugende Strategie, die Orientierung für Jahrzehnte bietet", sagte IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis am Montagabend in Berlin.
Die neue Bundesregierung müsse nach der Wahl unverzüglich eine "Zukunftskommission Verkehrswende" berufen. Es gehe um Investitionsentscheidungen von ungeheurer Tragweite und um Hunderttausende von Arbeitsplätzen.
Die Autobranche ist mitten in einem tiefen Wandel, die Schwerpunkte sind alternative Antriebe wie der Elektromotor und die Digitalisierung mit immer mehr Internet im Auto. Zugleich hat die Dieselkrise ihr Image schwer belastet.
Vassiliadis verglich die anhaltende Debatte über die Zukunft des Diesels mit den Diskussionen über den Atomausstieg und den Ausstieg aus der Kohle. Es sei nun aber mehr Substanz nötig: "Wir dürfen nicht im Klein-Klein der Diesel-Problematik verharren." Der Gewerkschaftschef verlangte eine konzertierte Aktion von Herstellern, Zulieferern, Energiebranche, Sozialpartnern und Politik.
Verdi-Chef Bsirske: Geld gegen Luftverschmutzung reicht nicht
Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirkse, hat die in Aussicht gestellten Millionenhilfen für die Kommunen gegen die Luftverschmutzung durch Diesel-Abgase als unzureichend kritisiert. "Dass die Kommunen 500 Millionen Euro vom Bund bekommen, um die Luftverschmutzung in den Städten und Gemeinden zu reduzieren, ist gut und überfällig, kann im Volumen aber nicht annähernd befriedigen", sagte Bsirske der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Aus Sicht von Verdi ist eine Einmalspritze nicht ausreichend, da es unter anderem auch um die Umrüstung von Bussen und den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gehe. Die Kommunen müssten nachhaltig die Verschmutzung durch Dieselmotoren herunter fahren. (dpa)