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Kurz vorm Rauswurf?: Umbau der VW-Spitze ging Eklat um Diess voraus

09.06.2020 10:19 Uhr
Herbert Diess
© Foto: picture alliance/Kay Nietfeld/dpa

So sehr hat es bei VW lange nicht mehr gekracht: Vor anderen Managern stellt der Chef die Integrität des Aufsichtsrats in Frage – und wirft Kontrolleuren Straftaten vor. Ist der Verlust der Markenführung der Preis, den Diess zahlen muss? Auch andere Konflikte schwingen mit.

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Von Jan Petermann, dpa, und Marco Engemann, dpa-AFX

Die Nerven liegen blank in Wolfsburg. Wieder einmal. Aber derzeit so deutlich wie vielleicht seit dem Beginn von "Dieselgate" vor fast fünf Jahren nicht mehr. VW-Konzernchef Herbert Diess gibt die Führung der Hauptmarke in der größten Autogruppe der Welt ab. Freiwillig und aus eigener Einsicht – oder muss er sie abgeben? Ist es eine letzte Warnung an den gern offensiv und schneidig auftretenden Manager, nachdem sich in den vergangenen Monaten die Probleme und Kommunikationspannen häuften? Offizielle Darstellung: Diess müsse "mehr Freiraum" für strategische Aufgaben erhalten. Inoffizielle Lesart bei so manchem: Er könne noch froh sein, wenigstens den Gesamtkonzern weiter steuern zu dürfen.

Bei Volkswagen sind sie Machtkämpfe, Interessenkollisionen und sonstige Auseinandersetzungen beinahe schon gewohnt – zum Leidwesen der Beschäftigten, die ihr Unternehmen immer wieder in ein schlechtes Licht gerückt sehen. Doch jetzt hat der oberste Manager im Streit um die Verantwortung für Fehler den Bogen womöglich überspannt.

Vor mehr als 3.000 Managern beklagte sich Diess in einer Videokonferenz über das Durchstechen sensibler Informationen zu den Schwierigkeiten, mit denen der Hersteller zu kämpfen hat. Beim Aushängeschild Golf 8 hinkt die Produktion den Zielen dramatisch hinterher, Software-Probleme plagen das Modell, viele Mitarbeiter fühlen sich mit dem steigenden Druck alleingelassen.

Auch der milliardenteure Hoffnungsträger ID.3 verzögert sich. Bei der Auto-Kaufprämie wagte sich Diess mit Forderungen weit vor, die nicht fruchteten. Dann noch die zunächst als abwiegelnd wahrgenommene Kommunikation rund um ein rassistisches Internet-Werbevideo. Und die Frage, ob in einer solchen Gemengelage Diess' angeblicher Wunsch nach einer frühzeitigen Vertragsverlängerung als angemessen erscheint.

Erst riss den einflussreichen Vertrauensleuten der IG Metall der Geduldsfaden. In einer beispiellosen Aktion sprachen sie dem Vorstand per offenen Brief über weite Strecken das Misstrauen aus. Man sei "zunehmend massiv besorgt", vermisse eine klare Krisenstrategie zu den Produktionsproblemen sowie zum öffentlichen Bild, das VW abgebe.

Aber auch Diess fühlte sich offenbar angegriffen, weil Interna gestreut worden seien. Vorletzte Woche musste er sich im Aufsichtsrat erklären. Bei dem, was am vergangenen Donnerstag in der Managerrunde dann folgte, sollen manche Anwesenden kaum ihren Ohren getraut haben.

Preisgabe von Interna: Attacke auf Aufsichtsräte

"Die Vorkommnisse im Aufsichtsrat in der letzten Woche und die Kommunikation über die Vorkommnisse im Aufsichtsrat helfen dem Unternehmen nicht", sagte Diess. "Sie sind auch ein Zeichen fehlender Integrität und Compliance. Das sind Straftaten, die im Aufsichtsratspräsidium passieren und dort offensichtlich zugeordnet werden können." Man müsse "aufpassen, dass der Aufsichtsrat, unser oberstes Gremium, im Prinzip uns da nicht in dieser Position schwächt". Das saß. Aber nicht nur bei den anderen Managern, sondern auch bei den so betriebsöffentlich kritisierten Kontrolleuren.

Ein Konzernsprecher sagte, es sei nicht Diess' Absicht gewesen, die eigenen Aufseher anzugreifen. Im engsten Machtzirkel sitzen neben Chefkontrolleur Hans Dieter Pötsch Vertreter der Familien Porsche und Piëch, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und hohe Betriebsräte. "Dr. Diess wollte nicht zum Ausdruck bringen, dass sich Mitglieder des Aufsichtsrats strafbar gemacht haben", erklärte VW. Die Äußerungen seien "im Kontext von Presseberichten getätigt worden, für deren Grundlage in wiederholten Fällen offensichtlich vertrauliche Informationen auch zu Themen des Aufsichtsrats an Medien gelangt waren".

Dennoch empfanden manche das offenbar als Untergraben der Autorität des obersten Konzerngremiums. Diess soll kurz vor dem Rauswurf gestanden haben, ist mitunter zu hören – vor allem formalrechtliche Bedenken hätten einige Entscheidungsträger noch davon abgehalten.

Die Idee, den erfahrenen Ralf Brandstätter vom Co-Geschäftsführer der Kernmarke zum operativ alleinzuständigen Chef der Fahrzeuge mit dem VW-Logo zu machen, habe es jedoch auch unabhängig von den jüngsten Zuspitzungen gegeben. Einige Kommentatoren bezweifeln zudem, ob es eine glückliche Entscheidung ist, Diess bei aller Kritik ausgerechnet in der schwierigen aktuellen Phase die Hauptmarke zu nehmen.

Kein Geheimnis ist, dass es insbesondere zwischen Betriebsratschef Bernd Osterloh und Diess seit langem kriselt. Schon beim Sparprogramm "Zukunftspakt" gerieten beide heftig aneinander, als der damals neue Markenchef gerade frisch vom BMW gekommen war. Danach herrschte über einige Zeit hinweg so etwas wie ein Burgfrieden. Im Zusammenhang mit dem schwierigen Golf-8-Anlauf – den Diess in sozialen Netzwerken als großen Erfolg darstellt, was an den Bändern teilweise Kopfschütteln auslöst – entzündete sich der Konflikt von neuem.

Spätestens jetzt dürfte dem Manager, der bisher Konzern und Kernmarke in Personalunion leitete, eine heikle Bewährungsprobe bevorstehen. Er habe seine Äußerungen als "unangemessen und falsch" entschuldigt, hieß es aus dem Kontrollgremium am Dienstag. "Die Mitglieder des Aufsichtsrates haben die Entschuldigung von Dr. Diess angenommen und werden ihn auch künftig bei seiner Arbeit unterstützen."

"Ruhigeres Fahrwasser" nötig

Der Porsche/Piëch-Clan, der von Diess' Management-Qualitäten und Zukunftsorientierung überzeugt ist, steht – vorerst – ebenfalls weiter zu dem promovierten Fertigungstechniker. "Herr Diess hat sich in aller Form entschuldigt", ließen die VW-Mehrheitseigner erklären – verbanden damit aber eine deutliche Mahnung. "Klar ist auch: Das Unternehmen muss jetzt in ruhigeres Fahrwasser kommen."

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KOMMENTARE


LB

09.06.2020 - 10:55 Uhr

Herr Piech ist nicht mehr da, die Chaosspiele haben begonnen. Dieser Konzern hat seinen Kompass verloren.


herbie

09.06.2020 - 16:44 Uhr

Ob der Name Diess oder XY heißt. Diese Manager sind nur Marionetten ihrer Chefs. VW ist ein diktatorisch geführtes Unternehmen. Das wird VW seine wirtschaftliche Stärke kosten. Neue Mitarbeiter werden bei VW schnell vertan. Es muss ein neues Führungskonzept bei VW eingeführt werden. Einer als König in der Chef-Etage funktioniert nicht mehr. VW ist somit in einer schwierigen Lage.


VB

09.06.2020 - 18:16 Uhr

In diesem Unternehmen gibt es seit vielen Jahren nur einen Chef, der aber leider keine Verantwortung übernimmt und bei Problemen immer nur auf Andere zeigt. Und weil Herr Osterloh so agiert, wird es bei VW immer wieder Chaos und Schuldzuweisungen geben.


Carajan

09.06.2020 - 18:43 Uhr

Viele Jahre hatte der Konzern ein stabiles Management und es ging viele Jahre nur nach vorne. Der Knick kam mit dem Erfolg unter Winterkorn und der Gier der Aktionäre. Um diese immer weiter befriedigen zu können, schreckte man auch vor Betrug nicht zurück. Es ging ja auch viele Jahre gut, aber dann kam die große Baisse. Den Rest kennen wir ja alle. Die Nachfolger von Winterkorn & Stadler traten ein schweres Erbe an, wobei ich heute denke, das Matthias Müller einen besseren Job gemacht hat als der jetzt entmachtete Herbert Diess. Aber auch Diess jetzt die ganze Schuld aufzubürden ist eigentlich unfair. Er musste vielen Verantwortlichen auf die „Füße treten“ und hat sich da nicht immer einen Gefallen getan. Auch Herr Osterloh, der als BR-Vorsitzender nur das Wohl der Mitarbeiter im Auge haben sollte, ist längst seiner Verantwortung etwas entrückt. Horrende Jahresbezüge haben seinen Blick fürs soziale Wohl der Mitarbeiter deutlich getrübt. Für Diess ist das ein Abschied auf Raten, ähnlich wie der von B. Pischetsrieder (... der kam übrigens auch von BMW).


Dirk Habets

09.06.2020 - 18:47 Uhr

Wenn ich schon lese, dass an einer Videokonferenz mehr als 3.000 Manager teilnehmen ... Das Grundübel von allen Konzernen ist ein Wasserkopf von Managern, die viel verdienen, nix leisten und morgen mit dicken Geldkoffern in andere Funktion ihr" Wissen" zum Besten geben ...


Renato

09.06.2020 - 19:04 Uhr

Herbert Diess wurde von den Hauptaktionären Piëch/Porsche angezählt und vom mächtigsten Betriebsrat der Branche „angesägt“. Dass er trotzdem als Vorstandschef bleiben darf, ist wahrscheinlich eine Maßnahme des Aufsichtsrats. Man will erst mal wieder in ruhigeres Fahrwasser, bevor er dann „auf eigenen Wunsch“ ausscheiden wird. Seinem Vorgänger Matthias Müller wurde damals ein ähnliches Ausscheiden unterbreitet, natürlich mit einem kleinen Zückerchen (Abfindung).


Gerhard Krauser

10.06.2020 - 08:50 Uhr

Nach 2015 massiv Marktanteile erkauft - jetzt stockt der Absatz und die Herausforderungen sind ganz andere. Die starken Gewerkschaften haben ihren starken Vorstandsvorsitzenden überschätzt. Und der starke Vorstandsvorsitzende hat die starken Gewerkschaften unterschätzt? Oder umgekehrt?


Bernd Schürmann

10.06.2020 - 10:05 Uhr

Auch von Seiten des Handles gibt es ein paar Fragen, die durch Herrn Diess beantwortet werden müssten. Neben den schon erwähnten Problemen beim Golf 8 zur Qualität und der so genannten Markteinführung und der ID-Probelematik gibt es noch weitere Themen. Erneute WLTP-Verzögerungen oder die Modellpolitik. Der Tiguan ist nicht bestellbar und der Golf Sportsvan ausgelaufen, dafür gibt es vom Ladenhüter Arteon noch eine weiter Variante.


Leser

10.06.2020 - 11:35 Uhr

Wie heißt es immer so schön, der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken. Das lernt jede " Führungskraft" als erstes von ihrem Vorgesetzten. Nur im Vorstand hat man eine andere Sichtweise, da gilt ja nach wie vor das Prinzip der Unfehlbarkeit. In seiner gesamten Zeit bei Volkswagen kann ich nicht eine positive Entwicklung des Konzerns feststellen. Im Fußball wäre der Trainer schon lange getauscht worden. die Eskapaden des Herrn Diess müssen beendet werden. Mitarbeiter und Kunden müssen einen verlässlichen Konzern mit klarer Struktur und Konzept für die Zukunft bekommen, ansonsten verschwindet ein Dinosaurier.


ExVerkäufer

10.06.2020 - 13:49 Uhr

Dieser Konzern sollte schon lange mal die Quittung von den Kunden und den Händlern bekommen. Dafür haben sie aber zu gute Produkte und zu ängstliche Betriebsinhaber und eine unfähige Händlerorganisation. Deshalb wird es immer so weitergehen. Geld ist ja genug da und sonst holt man es eben bei den Händlern und Kunden. Die 3000 Manager und sicherlich unzählige Beraterfirmen werden es schon hinbekommen.


Walter

10.06.2020 - 21:48 Uhr

VW ist eine korruptes und gefährliches Unternehmen.


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