Von Michael Blumenstein / Autoflotte
Ohne Elektro geht nichts mehr. Bei keinem der Hersteller. Einige Länder haben kürzlich das Verbrenner-Aus in 15 Jahren festgeschrieben, andere steuern darauf zu und ein Ausweg aus dem Ausweg ist nicht in Sicht. Ob das alles auch für Flotten sinnvoll ist, sei dahingestellt. Elektromobilität ist toll – zweifelsohne. Und in vielen Fällen die sinnvollste Art, sich individuell fortzubewegen – aber eben (noch) nicht in allen Fällen. Aus ökologischen Gesichtspunkten wie aus ökonomischen.
Auch Autoflotte und AUTOHAUS sind seit Sommer 2020 rein elektrisch unterwegs – zumindest mit den eigenen Firmenwagen. Den Corsa-e haben wir bereits einem ersten Test unterzogen. Nun ist VWs ID.3 dran, den wir seit Oktober im Fuhrpark haben. Als Ausstattung wählten wir die mittlere, Pro Performance 1st Plus mit 204 PS und wassergekühltem 58 kWh-Akkupack. Nicht mehr und nicht weniger. Denn was VW sonst meist in Hülle und Fülle anbietet, gibt es beim 1st Edition und auch beim ID.3 nicht: Ausstattungsoptionen. Friss oder stirb lautet bei diesem Stromer die Devise.
Nur mit Zusatzvereinbarung und wenig Sound
Vor Vertragsabschluss mussten wir zudem eine "Zusatzvereinbarung" unterschreiben und uns damit einverstanden erklären, dass "App Connect" und "Augmented Reality Head-up-Display" bei Auslieferung des Fahrzeugs fehlen werden. Das Head-up-Display hat eh nur die Topversion "Max". Die fehlende Funktion App Connect tut weh, denn sie beinhaltet unter anderem Apple Carplay und Android Auto. Gut, dass der "Plus" stets ein Navi an Bord hat. Schlecht, wenn die Spracheingabe (trotz Onlineanbindung) eine Reihenfolge beim Ansagen des Navigationsziels vorgibt. Das gab es schon vor zehn Jahren. Kritik gibt es auch bei der Infotainment-Ausstattung. "4 +1" Lautsprecher heißt es im Prospekt. Für vorne ist das okay, im Fond sehr anachronistisch. Denn gute Musik oder Hörspiele für die Kinder kommen hinten nur unzureichend an. Eine Option, das 6+1-System aus dem Max zu ordern, gibt es nicht.
So sitzen wir also bereits mitten drin im geräumigen ID.3, der als recht übersichtlich durchgeht. Die Doppel-A-Säule hilft hier ebenso wie große Fensterflächen. Lediglich hinten raus ist die Heckscheibe schmal geraten. Platzmangel kann man dem 4,26 Meter-Sachsen nicht vorwerfen. In alle Richtungen ist etwas mehr Luft als im Golf (ins Gepäckabteil geht ähnlich viel), wenngleich die Höhe vor allem auf dem Beifahrersitz für einige gerade ausreichend sein mag. Eine Sitzhöhenverstellung gibt es nur beim? Richtig: Max. Bei der Außenlackierung hatten wir die Wahl zwischen grau, anderes grau, weiß (irgendwie auch bisschen grau) und grün. Wir haben uns für Makena-Türkis Metallic Schwarz entschieden. Grün unten, schwarz oben. Nicht schön, aber ein Poolfahrzeug sollte einen klitzekleinen Farbakzent setzen.
Innen: hell, sehr hell
Das Interieur lautet "Platinum Grey - Dusty Grey Dark". Also dunkel. So vermuteten wir. Leider hat der Verkäufer uns nicht darüber aufgeklärt, dass beispielsweise das Lenkrad weiß sein wird. Wie so etwas passieren kann? In dem man vor Vertragsabschluss lediglich niedergeschriebene Ausstattungsdetails gezeigt bekommt und davon ausgeht, dass der Verkaufsberater darauf hinweist, dass eine helle Innenausstattung bei einem Poolfahrzeug eher suboptimal sein könnte. Danke an der Stelle, in 24 Monaten sehen wir uns wieder. Und da wollen wir nichts, aber auch gar nichts über eventuelle "Verfärbungen" hören. Der Dachhimmel ist übrigens anthrazit – warum auch immer.
Immerhin gab es bereits Zuspruch ob der Farbauswahl. Natürlich eher von denen, die den Innenraum nicht Corona-rein hinterlassen müssen, weil sie den ID.3 meist von außen sehen, oder gar nicht mit fahren, da die Dienstfahrt ja bis Frankfurt geht und das sei mit einem E-Auto definitiv nicht machbar, weshalb ein Mietwagen umständlich und teuer organisiert wird. Oder aber, weil stets beigefarbene Chino-Hosen und hellblaue Hemden montiert sind – und weiße Autofahrerhandschuhe vielleicht auch. Wie dem auch sei, liebe Kolleginnen und Kollegen. Desinfektionsbesteck liegt im Fahrzeug. Denn auch das sollte in Corona-Zeiten bedacht werden. Zudem steht unser ID.3 an der neuen Ladesäule in der Garage meist mit leicht geöffneten Fenstern, des Luftaustauschs wegen – sofern man die Fenster hinten öffnen konnte. Viele werden sagen: Für hinten gibt's nur hinten Fensterheber.
Die Materialauswahl ist der eines Fahrzeugs für 45.000 Euro (brutto) nicht würdig. Eventuell hebt die helle Innenausstattung die Defizite nochmals hervor. In schwarz sähen Spaltmaße und Passungen sicherlich weniger derb aus. An der von innen mit Sprühnebel versehenen Motorhaube oder den nicht geteilten Heckleuchten ändert das freilich nichts. Dafür sind die Sitze bequem, für VW-Verhältnisse zwar weich, ungewohnt, aber dennoch gemütlich. Die Sitzposition lässt sich gut justieren, wenngleich es weder Lordosenstütze noch eine Schenkelauflagen-Neigungs- oder Gurthöhenverstellung gibt.
VW ID.3 Fahrbericht 2020
BildergalerieTasten ade, Bedienungsfreundlichkeit ebenso
Wie mittlerweile im Konzern bei Fahrzeugen der Kompaktklasse üblich, besitzt auch der ID.3 keine echten Tasten mehr. Kapazitiv wird Licht geschaltet – sofern gewünscht – und die Defrost- und Heckscheibenheizungsfunktion (hin und wieder versehentlich) eingeschaltet. Über die Lenkradtasten kann gewischt werden, um beispielsweise die Radiolautstärke zu verstellen. Gleiches gilt für die Temperaturregelung und Lautstärkeregler unter dem 10,25-Zoll-Display. Leider sind diese Felder nachts nicht beleuchtet. Noch weiter darunter befinden sich die Elemente für den Einparkassistenten, fürs Klimamenü, Warnblinklicht, Assistenzmenü und Fahrmodus. Die vier Funktionstaste helfen wirklich, um schnell zwischen einigen Menüs hin und herspringen zu können.
Das Mini-Kombiinstrument hinter dem Lenkrad zeigt nur wenige Informationen an – zu wenige. Wir vermissen dort einen Kilometerzähler. Die Gesamtkilometerzahl erscheint lediglich beim Abstellen des Fahrzeugs, wer sie während der Fahrt sehen möchte, muss umständlich im Infotainmentsystem wühlen. Wollen E-Fahrer nicht mehr wissen, wie weit sie gefahren sind? Vielleicht eine Idee, den Zusammenhang zwischen gefahrenen Kilometern und Restreichweite der Batterie zu entkoppeln? Wir wissen es nicht. Angezeigt werden in jedem Fall die aktuelle Geschwindigkeit, die Restreichweite und wenn Navi und Tempomat (ACC) aktiviert sind, auch diese Infos. Ganz rechts ist noch die gewählte Fahrstufe zu sehen, die eine Handbreit weiter rechts mit dem Drehschalter eingelegt wird. Hier aktiviert und deaktiviert man auch den B-Modus, um die Rekuperatonsfähigkeit zu erhöhen. One-Pedal-Driving gibt es nicht, aber fast. Schön ist, dass Lenkrad- und Sitzheizung sehr schnell reagieren, sofern das Infotainmentsystem an kalten Tagen irgendwann aus dem Tiefschlaf aufgewacht ist und man die Wärme für HH (Hände und Hintern) über das Touchdisplay aktivieren konnte.
Da wird einem warm ums Herz
Warm ums Herz wird einem, wenn man mit dem ID.3 im Stadtverkehr unterwegs ist. Da fühlt er sich wohl, denn der Heckantrieb verleiht ihm Handlichkeit gepaart mit einem kleinen Wendekreis (rund zehn Meter), der mittels rückmeldungsstarker Lenkung seziert werden kann. Auch der Fahrkomfort gefällt, wenngleich ein Golf feiner federt, sanfter dämpft und im Vergleich zum ID.3 insgesamt ruhiger liegt. Beim Ampelspurt kommt jedoch kein Golf mit und auch sonst kaum etwas. Die 204 PS und 310 Newtonmeter drücken ab der ersten Umdrehung gnadenlos zu. Traktionsprobleme, die viele andere Akku-Autos mit Frontantrieb haben, kennt der Hecktriebler nicht.
Im Sommer haben wir ab Werk die eleganten 19-Zoll-Alus montiert, im Winter müssen die 18-Zoll-Stahlräder reichen. 160 Euro für vier Plastik-Radkappen haben wir uns gespart, wohlwissend, dass das der Aerodynamik nicht zuträglich ist. So benötigt unser ID.3 innerstädtisch – mit nur wenig Aerodynamik-Einfluss – meist 16,5 kWh auf 100 Kilometer, ohne Ladeverluste. Und dabei wird von den Protagonisten hinter dem Volant sehr wohl auf energieeffizientes Fahren geachtet. Auf der Langstrecke mit Tempo 120 km/h geht der Stromverbrauch in Richtung 20 kWh. Das bedeutet, dass nach spätestens 350 Kilometern im Stadtgebiet und knapp 300 Kilometern auf der Landstraße und Autobahn die nächste Ladesäule frei sein sollte. Wir vermuten, dass sich der Energieverbrauch mit Sommerrädern und warmen Temperaturen auf rund 15 kWh in der Stadt und 19 auf der Langstrecke (bei Tempo 120) einpendeln wird. Wer dann an einer CCS-Säule tankt, wird selten unter 50 Eurocent pro Kilowattstunde kommen, ergo liegt der Kraftstoffpreis „außer Haus“ für 100 Kilometer bei rund neun Euro. Denn die Ladeverluste betragen beim ID.3 nach unserer Rechnung an unserer neuen AC-Wallbox etwa 15 Prozent.
So gehen wir nun nach rund 2.000 Kilometern in die nächsten und halten Sie weiterhin auf dem Laufenden, wie sich unser 1,8-Tonnen-Stolz aus Wolfsburg weiterhin schlagen wird. Und bitte immer dran denken: Hände desinfizieren. Dann bleibt nicht nur Corona fern(er), auch das Interieur freut sich über saubere Lenkarbeit – zumindest dann, wenn es Platinum Grey - Dusty Grey Dark benannt wurde.
Rudi
F.C.
Uwe