Von Patrick Broich/SP-X
Die ST-Variante des inzwischen rund ein Jahr gebauten Ford Focus ist die vorläufige Topversion und wie der Vorgänger auf zwei Arten (er-)fahrbar: Als Spaß- und Vernunft-Ausführung. Beide haben etwas für sich. Hat man den Fahrerplatz des Ford Focus ST eingenommen, ist es nicht der Tachometer, der die Vernunft-Ausführung verrät, sondern der Drehzahlmesser. Bis zu 280 km/h weisen nämlich die Skalen beider Modelle aus und liefern bereits einen kleinen Hinweis darauf, dass es ordentlich zur Sache gehen kann.
Der Tourenmesser des 140 kW / 190 PS starken Selbstzünders (ab 31.900 Euro) endet kurz jenseits der 5.000er-Marke, während der exakt tausend Euro teurere, aber mit 206 kW / 280 PS ungleich stärkere Benziner erst bei sechseinhalbtausend Rotationen vor dem mechanischen Überdrehen warnt. Kein Wunder, dass Ford ihm gemittelt 7,9 Liter zugesteht, während der genügsame Diesel in der gleichen Disziplin mit nur 4,8 Litern Kraftstoff auskommen soll. Doch welchen nehmen? Diese Frage zu beantworten, ist tatsächlich nicht ganz einfach und hängt auch ein bisschen mit budgetären Überlegungen und Nutzungsprofil zusammen.
Turbo hat mächtig Biss
Das Herz schlägt für die Otto-Variante – und zwar ziemlich klar. Denn bei dem Benzin-Performer aus Köln stimmt ziemlich viel, und das ist nicht allein der faire Grundpreis. Die Ingenieure installieren zwar längst nicht mehr den rassigen Fünfzylinder, bieten aber mit 2,3 Litern Hubraum mehr Volumen als der gängige Wettbewerb. Erste Runden auf gebirgigen französischen Landstraßen beweisen, dass der Turbo mächtig Biss hat. Im zweiten Gang Volllast mit etwas Lenkwinkel führt dazu, dass der Fahrer das Lenkrad trotz serienmäßiger mechanischer Quersperre fest im Griff haben sollte. Erst ab dem dritten Gang setzt der bassig tönende Vierzylinder seine Kraft in schlüssige Traktion um und presst die Fahrgäste in die ausgeprägten Recaro-Sportsitze. Dann geht es auf kurzen Schaltwegen knackig bis in den Sechsten.
Wer die ST-Taste am Lenkrad tippt, bekommt eine Drehzahl-Anpassung – dann gast die Elektronik kurz vor dem Runterschalten an, um ein Bremsmoment und damit Kopfnicken zu verhindern. Außerdem hört man den Modus, wenn die akustisch so begehrten Fehlzündungen simuliert werden. Bappboppbopp. Unnötig oder nicht, emotional packt der Antrieb jedenfalls. Schmeiß’ dich mit dem ST ruhig in die Kehre, der Frontantrieb verzeiht auch wilde Fahrstile und giert den 1,5-Tonner nötigenfalls per gezieltem Bremseingriff aus der brenzligen Situation. Dank straffem Fahrwerk und ebenfalls strammer wie präzise rückmeldender Servolenkung macht es der ST den meisten Verkehrsteilnehmern schwer, dem kompakten Sportler zu folgen. Andererseits ist er nicht brutal hart (außer im Sport- oder Rennmodus) und verfügt somit auch über Langstrecken-Qualitäten. Nur am Rande: Nach 5,7 Sekunden steht die 100 km/h-Marke, und die Höchstgeschwindigkeit beträgt 250 km/h.
Es gibt noch Rundskalen
Es fällt tatsächlich schwer, etwas Schlechtes am ST zu finden. Dass man den Kraftstoffkonsum per Gasfuß mächtig in die Höhe treiben kann, verwundert angesichts des Resultates nicht. Selbst die Entscheidung, die ehemals klassischen Anzeigen für Ladedruck und Öltemperatur von der Konsole ins Reich des Infotainments zu verbannen, kann man dem Focus nicht recht übelnehmen. Klassische Rundskalen gibt es immerhin noch – im Kombiinstrument. Und derer darf man sich getrost erfreuen, da der allgemeine Trend des Digitalisierens die hier eingesetzte Lösung erfrischend macht – und sie ist beileibe nicht nachteilhaft.
Ford Focus ST (2020)
BildergalerieUnter dem Strich bietet der ST genügend Infotainment, er kann schnell per hinreichend großem und serienmäßigen Touchscreen navigieren. Außerdem gibt es Displayfläche zwischen den Tachoskalen mit multifunktionaler Ausrichtung. Sie kann neben den Bordcomputer-Daten auch Lotsenführung einblenden. Das geht gegen 450 Euro extra auch per Head-up-Display, allerdings projiziert der Ford die relevanten Daten auf eine nicht ganz so schick aussehende Plexiglas-Scheibe statt in die Windschutzscheibe. Irgendwo muss man ja sparen.
Diesel ist souverän motorisierter Allrounder
Vielfahrer stehen sich mit dem Diesel monetär natürlich günstiger. Und der schiebt auch kräftig: Statt 420 wüten immerhin noch 400 Nm, wenngleich sich die Zugkraft auf niedrigem Drehzahl-Level konzentriert. Ohne nennenswerte Anfahrschwäche legt der Zweiliter los, dreht für einen Selbstzünder willig in den hohen 4.000er-Bereich und erreicht Landstraßentempo binnen weniger als acht Sekunden. Untermalt wird der profane Motorklang durch etwas elektronische Nachhilfe – herauskommt eine leicht schnaubende Sportwagen-Note. Kann man mögen, muss man aber nicht. Am Ende ist der ST Diesel doch eher der souverän motorisierte Allrounder, der das Budget kilometerfressender Dienstwagen-Fahrer nicht überstrapaziert und mit optischen Leckerbissen wie markanten Felgen und dezenten Spoilern plus dem knackigen Fahrwerk reizt. Die einschlägigen Assistenten wie autonome Notbremsung inklusive Fußgänger- und sogar Fahrrad-Erkennung sind ebenso an Bord – gegen 500 Euro Aufpreis ist das Arsenal an Helferlein noch erweiterbar um Features wie beispielsweise Ausweich-Hilfe oder Falschfahrer-Warnfunktion.
Das ST-Original ist eher die Version mit Benzin-Motor. Wer möchte, bekommt beide Antriebsausführungen gegen 1.200 Euro auch als Kombi. Dann wird aus den Athleten gleichzeitig ein richtiger Pragmatiker mit einem Gepäckraum-Volumen von 1.653 Litern bei umgeklappten Sitzen. Mehr Allround-Fähigkeit geht kaum.