Von Benjamin Bessinger/SP-X
Wolfgang Dürheimer ist im SUV-Rausch. Nicht dass der Allgäuer von Sinnen wäre. Und auch mit Alkohol hat das rein gar nichts zu tun. Dass der Bentley-Chef gerade wie berauscht wirkt, hat einen andern Grund: Den Bentayga. Denn seit die britische VW-Tochter als erste Top-Luxusmarke einen stilechten Geländewagen auf die Räder gestellt hat, kann sich Dürheimer vor Bestellungen kaum retten. Obwohl die Produktionskapazität bereits um mehr als die Hälfte angehoben wurde, ist das Dickschiff für die nächsten zwölf Monate ausverkauft. Und Varianten wie der erste Bentley-Diesel, der Plug-In-Hybrid oder das Coupé sind noch gar nicht auf der Straße. Entsprechend wenig Luft bleibt den Briten gerade für andere Projekte. Kein Wunder also, dass der neue Mulsanne weiter auf sich warten lässt.
Doch weil das 2009 präsentierte Flaggschiff mittlerweile arg in die Jahre gekommen ist, gönnt Bentley dem Luxusliner jetzt zumindest noch einmal ein Facelift. Schaut man das Auto für sich alleine an, ist das Update vergleichsweise dünn. Denn vom neuen Kühlergrill, den großen LED-Scheinwerfern und den retuschierten Stoßfängern einmal abgesehen, gibt es außen nicht viel, was von der Modellpflege kündet. Und auch innen machen erst einmal nur der Touchscreen für das Infotainment in der ersten Reihe und die in Sitzlehnen integrierten Tabletcomputer für den Fond den Unterschied. Bis man den Blickwinkel etwas weiter aufzieht und das ganze Portfolio ins Visier nimmt. Dann nämlich erkennt man, dass Bentley eben nicht nur retuschiert und renoviert hat, sondern dass es zur Modellpflege sogar ein neues Modell gibt. Denn frei nach dem Motto "Aller guten Dinge sind drei" steht neben dem Standard-Mulsanne und dem Speed plötzlich noch der Mulsanne Extended Wheelbase, der als XL-Version mit 25 Zentimetern mehr Länge künftig etwa die Hälfte der Bestellungen ausmachen soll.
Für Preise ab 351.526 Euro gibt es dann aber nicht nur mehr Radstand und den entsprechenden Freiraum vor dem Rücksitz. Die Briten haben den Fond der 5,83 Meter langen Limousine wie im Flugzeug zu einem First-Class-Abteil umgebaut und zum Beispiel neue Liegesessel mit elektrisch verstellbarer Beinauflage installiert. Außerdem lassen sich aus der Mittelkonsole zwei Klapptische zaubern, die mit ihren fast 800 Einzelteilen schon für sich ein Wunder von Feinmechanik und Kunsthandwerk sind.
Luxuslounge auf Rädern
Während sich der Besitzer in seiner Luxuslounge auf Rädern mit dem Kopf tief in wolkenweichen Kissen den schönsten Zielen entgegenlümmelt und die Zeit bis zur Ankunft mit Champagner aus dem klimatisierten Barfach oder einem Ausflug ins Word Wide Web vertreibt, muss der dienstbare Geist hinter dem Steuer ordentlich arbeiten. Zwar braucht es bei 512 PS und 1.020 Nm selbst für den knapp drei Tonnen schweren Palast auf Rädern kaum mehr als den kleinen Zeh, um die feudale Fuhre in Fahrt zu bringen. Nicht umsonst wischt der Zeiger schon nach 5,5 Sekunden über die 100er-Marke. Doch in engen Hotelvorfahrten rangiert man den langen Lulatsch nur mit viel Fingerspitzengefühl, im Stadtverkehr ist man ständig in Alarmbereitschaft und wer sich mit so einem Koloss von Auto tatsächlich an die Spitzengeschwindigkeit von 296 km/h heranwagt, sollte scharfe Sinne haben.
Auf nennenswerte Hilfe der Elektronik darf der Fahrer dabei nicht bauen. Zwar hat Bentley mittlerweile wenigstens einen Totwinkel-Assistent, adaptive Scheinwerfer und einen Abstandstempomaten eingebaut. Und natürlich gibt es ein intelligentes Fahrwerk und eine kaum merkliche schaltende und waltende Achtgang-Automatik. Doch den bei der bürgerlichen Konkurrenz bis in die Niederungen verbreitete Lenkeingriff für die Spurführung zum Beispiel kann der Bentley genauso wenig bieten wie eine Verkehrszeichenerkennung oder eine Einparkhilfe. Da merkt man selbst dem aufgefrischten Auto an, wie alt es eigentlich schon ist. Genauso übrigens wie bei dem völlig überfrachteten und nicht gerade übersichtlichen Bedienpaneel über dem Mitteltunnel, das mit dem neuen Touchscreen auch nicht viel leerer wird.
Wo man in der Version mit langem Radstand am liebsten hinten rechts fährt, appelliert der mindestens 323.918 Euro teure Mulsanne Speed an die Eigenverantwortung des Eigentümers und lockt nach vorne links. Nicht nur, weil sein Achtzylinder 25 PS mehr Leistung und 80 Nm mehr Drehmoment hat. Sondern vor allem, weil der Motor plötzlich auch nach Kraftwerk klingt und das Auto gerade so viel strammer abgestimmt ist, dass es sich nicht mehr ganz so schwerfällig anfühlt und man den Mulsanne deshalb überraschend unbekümmert über die Landstraße fliegen lassen kann.
Auch als Standard-Version
Hinten rechts oder vorne links? Wer sich partout nicht entscheiden kann, für den gibt es ab 297.191 Euro natürlich noch die Standard-Version und mit ihr die Gewissheit, dass man in einem Mulsanne eigentlich auf jedem Platz gut aufgehoben ist. Und ob der Wagen nun 512 oder 537 PS hat und 296 oder 305 km/h erreicht, macht nun wirklich keinen fühlbaren Unterschied. Genauso übrigens wie die Preisdifferenz von etwa 25.000 Euro. Das reicht zwar Normalverdienern für ein neues Familienauto. Doch der gemeine Bentley-Kunde gibt das wahrscheinlich allein für die farbigen Ledernähte aus, auf die Designchef Stefan Sielaff so stolz ist.
Auch wenn sie ihr Flaggschiff mit der dritten Modellvariante noch einmal gehörig aufgewertet haben, wissen natürlich auch Dürheimer und seine Entwickler, dass es eigentlich langsam an der Zeit für einen neuen Mulsanne wäre. Doch erstens haben die Ingenieure ihre Reißbretter und Computer voll mit mindestens genauso drängenden Aufgaben. Und zweitens hätte das Timing für Bentley kaum besser laufen können. Denn just wenn die Briten jetzt mit der Produktion des neuen Mulsanne beginnen, schickt Hauptkonkurrenz Rolls-Royce den Phantom für den bevorstehenden Generationswechsel in eine Zwangspause. Zumindest für die nächsten zwei Jahre macht dem Mulsanne deshalb die Führungsrolle als luxuriöseste Limousine der Welt keiner streitig.