Von Michael Gebhardt/SP-X
Ohne seinen Eigner Charles Gordon-Lennox, besser bekannt als Earl of March and Kinara, wäre Goodwood nicht mehr als ein verschlafener Weiler in Südengland, von dessen sattgrünen Hügeln man bei gutem Wetter bis zum Ärmelkanal und zur Isle of Wight blicken kann. Doch mit dem Earl, der in Eton studierte und zunächst für den Filmemacher Stanley Kubrick arbeitete, kam auch der Motorsport in die Grafschaft West Sussex zurück. Als Gordon-Lennox vor gut zwei Jahrzehnten, der Tradition folgend mit 40 Jahren die Nachfolge seine Vaters als Hausherr in Goodwood antrat, erweckte er die von seinem Großvater kurz nach dem zweiten Weltkrieg geschaffene Rennstrecke auf dem eigenen Anwesen wieder zum Leben.
Zwischen Gutshaus, Golfplatz und Flugschule trifft sich seit den 90ern zweimal jährlich alles was Rang, Namen und vor allem Geld hat, um beim Goodwood Revival in Erinnerungen zu schwelgen und historisch kostümiert Veteranen der Automobilgeschichte über den Rundkurs zu scheuchen, oder beim Festival of Speed die 1,16 Meilen lange Bergstrecke direkt vor dem Goodwood House zu erklimmen. Amtierende Highspeed-Piloten und Motorsport-Granden vergangener Zeiten geben sich ein Stelldichein, um mit Vorkriegsmodellen und aktuellen Formel-1-Boliden ihrer Leidenschaft zu frönen und die bis zu 180.000 Besucher gut zu unterhalten.
Die bekommen auch 2016 eine erstklassige Automobilshow geboten, vom 1926er Renault 40CV über den BMW 3.0 CSL von 1975 bis hin zum aktuellen Ford GT, der erst vergangene Woche in Le Mans aufs Treppchen fuhr, kann sich hier jeder sein persönliches Highlight aussuchen. Doch noch ehe am Freitagmorgen der erste Motorenlärm laut durch das Tal hallte, rüttelte eine Eilmeldung die Festival-Besucher wach: Großbritannien wird die Europäische Union verlassen! Und so gibt es auf dem Festivalgelände zwischen Tee und Gurkensandwich nicht nur die üblichen Benzingespräche, sondern immer wieder auch Diskussionen über diesen historischen Schritt.
Champagner und Benzin in Strömen
Die Laune aber lassen sich der Lord und seine Gäste bei der großen automobilen Gartenparty nicht vermiesen. Ganz im Gegenteil: Champagner und Benzin fließen in Strömen, es wird gelacht, mitgefiebert und geklatscht. Ist den Briten die soeben gefällte Entscheidung am Ende also egal? Nein – egal sicher nicht. Aber gerade hier in Goodwood, einer Art Ascot für Autos, ist England vielleicht noch ein bisschen britischer als sonst. Alte Haudegen, die in lautknatternden 50er-Jahre-Rennwagen den Goodwood-Hügel hochflitzen, Geld- und Hochadel, der den eigenen Rolls-Royce auf einer nassen Wiese parkt und zum Tweed-Anzug Gummistiegel trägt, und Damen, die unter großen Hüten wechselweise Schutz vor Sonne und Regen suchen – so präsentieren sich die Insulaner in Goodwood, und so haben sie sich auch beim EU-Referendum gezeigt: Etwas verschroben, etwas eigensinnig – aber irgendwie doch liebenswert.
Ob ihnen das Lachen noch vergeht, wird sich in den kommenden Jahren zeigen – beim Festival of Speed aber herrscht Hochstimmung. Und ein ergrauter Mechaniker, der sich gerade im Fahrerlager liebevoll um einen Vorkriegs-Rennwagen kümmert, bringt es auf den Punkt: "Ob der EU-Austritt sinnvoll ist, weiß ich nicht, hier den Hügel hoch zu heizen, ist aber auch nicht sinnvoll – und trotzdem ein voller Erfolg!"