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Mercedes Drive Pilot: Das erste Übernahmeangebot

22.03.2022 11:02 Uhr
Mercedes-Benz Autonomes Fahren
Mercedes startet mit dem hochautomatisierten Fahren.
© Foto: Mercedes-Benz

Mercedes stößt das Fenster zur Zukunft ein weiteres Stück auf. Mit dem "Drive Pilot" startet jetzt das weltweit erste, offiziell zugelassene System nach Level 3 für hochautomatisiertes Fahren. Auf komplett autonome Fahrzeuge werden wir allerdings weiter warten müssen.

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Der Countdown läuft. In wenigen Wochen wird Mercedes einen Teil der Automobilgeschichte neu schreiben. Als weltweit erster Hersteller erfüllen die Schwaben "die Anforderungen nach UN-R 157 für ein Level-3-System", also die gesetzlichen Auflagen für hochautomatisiertes Fahren, bei dem Autos die Verantwortung übertragen wird. Die Freigabe gilt zunächst für Deutschland und für einige Staaten der USA, wie Kalifornien, Nevada, Florida oder dem Staat New York. Dort, wo die rechtlichen Grundlagen gegeben sind.  

Was sich so technokratisch anhört, bedeutet in der Praxis nichts anderes, als dass Fahrer im Stau auf der Autobahn die Hände vom Steuer nehmen dürfen. Zu bestellen ist das System mit dem Namen "Drive Pilot" ab Anfang Mai für die S-Klasse und die vollelektrische Luxuslimousine EQS. Ausgeliefert werden sollen die ersten Fahrzeuge Mitte des Jahres.  

Der Weg bis zu diesem Punkt, den Mercedes Entwicklungschef Markus Schäfer jüngst als "einen Paradigmenwechsel wie die Mondlandung" bezeichnet hat, war lang und oftmals steinig. Obwohl das System die Sensorik aller Assistenzsysteme nutzt, die bei Mercedes ohnehin schon vorhanden sind, ergänzt um einen von Valeo zugelieferten und im Kühlergrill platzierten Laserscanner namens Lidar, war die Abstimmung aller Komponenten ein Husarenritt durch ein bislang weitgehend fremdes Land. Die Verbindung aller Komponenten, der zig Kameras, der Armada von Technik, den üppig montierten Sensoren und die Verarbeitung aller einfließenden Daten erfordert ein Höchstmaß an Komplexitäts-Management. Das System gleicht 300-mal mehr Infos ab als in einem mit 4K gestreamten Film auf Netflix vorhanden sind. Weil die Verantwortung beim Level-3–System komplett auf das Fahrzeug übergeht, dürfen keine Fehler passieren. Es ging für die Techniker darum, so viele Blind Spots - also tote Winkel - wie irgend möglich rund um das Auto zu eliminieren.  

Herkulesaufgabe auf dem Wege zur Serienreife

Alle Möglichkeiten, Zufälle und Szenarien da draußen mit einzukalkulieren, war auf dem Wege zur Serienreife eine Herkulesaufgabe. Dabei stand die Sicherheit der Insassen bei der Entwicklung unter allen Umständen immer an oberster Stelle. Deshalb ist der Drive Pilot auch eher defensiv ausgelegt und funktioniert nur unter bestimmten Bedingungen. Nur auf Autobahnen und nur bis 60 km/h.  

Es werden keine Spurwechsel getätigt, die Temperatur muss über vier Grad liegen, die Sicht muss gut sein. Also Tageslicht, keine Dämmerung, keine Tunnel, kein Regen oder Schneefall. Tage wie diese, kommen in der norddeutschen Tiefebene eher selten vor. Es wundert also nicht, dass Schäfer den Drive Pilot eher auf den Highways der Mega-Citys wie der Welt-Stau-Hauptstadt Los Angeles optimal aufgehoben sieht. Städte, wo die klimatischen Verhältnisse meist gut und die Highways proppevoll sind. "In LA möchtest du, dass jemand das Steuer übernimmt" so Schäfer, "wir geben den Autofahrern mit dem Drive Pilot Zeit zurück, die sie sinnvoll nutzen können."

Fahrer muss jederzeit Steuer wieder übernehmen können

Was nicht bedeutet, dass der Fahrer nach der Übergabe ans Fahrzeug im Auto rumhampeln, oder sich ein Schläfchen gönnen kann. Er muss stets bereit sein, das Steuer innerhalb von Sekunden wieder zu übernehmen. Tricksen geht nicht. Kameras am Cockpit überwachen streng jede Kopfbewegung und müde Augenlider. So bleibt am Ende eine recht unspektakuläre, autonome Alleinfahrt, die sich im Prinzip nicht viel anders darstellt, als der schon bekannte Staupilot. Immerhin gibt sie dem Fahrer die Möglichkeit, mal für einen Moment abzuschalten, Mails zu checken oder eine Zeitung zu lesen. Alles in der Gewissheit, dass der Drive Pilot währenddessen die Sache im Griff hat, 400 mögliche Szenarien abgleicht und die jeweils sicherste Entscheidung trifft. Elektronische Devices wie Handys, Laptops oder Tablets dürfen während dieser Phasen in Deutschland vom Fahrer benutzt werden, in den USA noch nicht.  

Wer sich diese kleine Freiheit gönnen möchte, muss einen mittleren vierstelligen Betrag investieren. Fünf- bis sechstausend Euro werden es schon sein. Genaue Preise will Mercedes Anfang April nennen. Derweil vertrösten die Stuttgarter auch weiterhin alle, die auf komplett autonome Fahrzeuge nach Level 4 warten. Mit der Serienreife rechnen die Techniker nicht mehr in diesem Jahrzehnt. 


Drei Fragen an Mercedes-Entwicklungschef Markus Schäfer

Gefühlt ist das autonomes Fahren nicht mehr so im Fokus wie noch vor ein paar Jahren. Woran liegt das?

Da bin ich ganz anderer Meinung. Automatisiertes Fahren ist einer der wichtigsten und größten Trends in dieser Dekade. Als wir noch vor ein paar Jahren von selbstfahrenden Autos sprachen, klang das für viele nach Science-Fiction. Heute können unsere Kunden bereits Level-2-Assistenz-Systeme nutzen, die den Fahrer unterstützen. Bald können sie mit dem Drive Pilot in Deutschland Level-3-Systeme tatsächlich erleben und damit hochautomatisiert fahren. Damit übernimmt zum allerersten Mal in der Geschichte ein Fahrzeug „offiziell“ die Fahraufgabe. Wir werden mit großen Kapazitäten und Fokus auf Innovation in diesem Feld intensiv daran arbeiten, unseren Kunden dann, wenn sie es wollen Zeit zurückzugeben beim Fahren.  


Wie realistisch ist vollautomatisiertes Fahren nach Level 4 noch in diesem Jahrzehnt?

Mit dem Erhalt der ersten international gültigen Genehmigung für ein Level-3-System haben wir einen großen Meilenstein auf dem Weg zum vollautomatisierten Fahren erreicht. Damit ist der Weg für weitere Automatisierung definitiv geebnet. Es gibt aber noch viel zu tun, beispielsweise im regulatorischen Bereich und natürlich bei der Technologie. Aber es geht uns nicht darum, schnellstmöglich irgendein System auf die Straße zu bringen. Viel mehr ist größtmögliche Sicherheit für unsere Kunden das, was uns bei jeder Innovation antreibt.

Welche Rolle spielt die künstliche Intelligenz beim autonomen Fahren?

Die intelligente Kombination von Soft- und Hardware eröffnet uns ungeahnte Möglichkeiten, das Kundenerlebnis im Auto völlig neu zu gestalten. Wir kümmern uns um Chips, Sensorik, Algorithmen, selbst erstellte Software und natürlich KI und Machine Learning. Das sind die neuen Disziplinen, die uns in unserer Ambition „Lead in Car Software“ jeden Tag ein Stückchen näherbringen.



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