Von Patrick Broich/SP-X
Der Sonntagsausflug bei bestem Wetter führt uns zu einer kleinen Runde durch Köln und anschließend durch die ländliche Peripherie. Was wir auf der Fahrt definitiv sehen: mehrere Mercedes W123. Denn davon sind in Deutschland rund 17.000 Exemplare zugelassen – nach automobiler Rarität sieht das nicht gerade aus. Was also tun, wenn man unbedingt einen exotischen Oldtimer haben möchte, es aber dennoch der W123 sein muss? Der Besitzer unseres Testexemplars hatte Glück, diese zwei Dinge miteinander kombinieren zu können. Denn der 78er 280 E in der seltenen Farbe Cayenne Orange (Code 406) dürfte so schnell kein zweites Mal zu finden sein. Hinzu kommt, dass diese Schweizer Erstauslieferung auch noch über Klimaanlage und Tempomat verfügt – nicht nachgerüstet wohlgemerkt, der Benz wurde so ausgeliefert, und das ist auch in der Datenkarte vermerkt.
Der immer noch zuverlässig funktionierende Geschwindigkeitsregler ist insofern interessant, als dass er ja erst 1975 in Europa debütierte mit Einführung des damaligen S-Klasse-Topmodells 450 SEL 6,9. Ansonsten hält sich die orangene Schönheit mit Luxus zurück – Kurbelfenster, profane Stoffsitze, nicht einmal eine Armlehne oder Zentralverriegelung sollte dem Besitzer dieses Zwoachtzigers vergönnt sein.
Unter seiner Motorhaube arbeitet der bekannte M110 mit 2,8 Litern Hubraum – im hier besprochenen Exemplar bringt es der Reihensechszylinder mit den zwei obenliegenden Nockenwellen auf 130 kW / 177 PS. Heute mag man vielleicht schmunzeln, aber vor fast vierzig Jahren war die linke Spur für den 280 E quasi abonniert. Selbst heutzutage gibt die Limousine auch auf deutschen Autobahnen keineswegs das Hindernis – die Werksangabe lautet auf 200 km/h Spitzentempo. Als Kraftübertragung dient in diesem Fall der damals sensationell fortschrittliche Vierstufen-Wandlerautomat – lieferbar gegen frivol teure 1.680 Mark. Und so geschmeidig, wie die Bremsbänder die Planetenräder festkrallen – da würde sich auch bei heutigen Neuwagen niemand beschweren. Komfort kann der 280 E, allerdings haben sich die Bereiche verschoben. So fühlt es sich wohlig an, in Tateinheit mit der weichen Federung und den 14-Zöllern der Siebziger-Serie über Frostplatzer zu schweben. Von fahrdynamischen Übungen dagegen sollte Abstand genommen werden, mit seiner aus aktueller Sicht antiquierten Schräglenkerhinterachse aus dem Vorgängermodell Strichacht war der 123er bereits Ende der Achtziger nicht mehr allzu modisch unterwegs. Mit dem W201 schließlich ersetzte Mercedes diese Konstruktion durch die modernere Raumlenkerachse.
Sonorer Klangeindruck
Es ist übrigens auch schön, den Sechszylinder von außen in Aktion zu erleben. Direkt hinter der zweiflutigen Auspuffanlage stehend, vernimmt man den sonoren Klangeindruck am besten. In Zeiten völlig ungefilterter Motortöne fiel das Zylinderraten noch einfacher als heute. Die M110er gelten übrigens als unkaputtbar – nur hydraulischer Ventilspielausgleich war den Triebwerken mit dem charakteristischen Zylinderkopf ein Fremdwort, so dass sie gerne zum Tickern neigen. Wenn man der Werkstatt seines Vertrauens moderate 200 Euro überweist, wird dieses potenzielle Problem jedoch rasch behoben.
Richtig leise bleibt es in der Fahrgastzelle nach heutigen Maßstäben nicht, aber das macht ja auch einen Teil des Oldie-Charmes aus. Schwer vorzustellen, dass man es vor wenigen Jahren noch als normal hingenommen hat, weit jenseits der 3.000 Umdrehungen auszuhalten, um mit Richtgeschwindigkeit dahinzuplätschern. Ganz genau nachprüfen kann man es nicht, denn für die frühen 123er gab es nicht einmal gegen Aufpreis einen Drehzahlmesser. Zusätzlich pustet der Wind ordentlich bei Hochgeschwindigkeitseinlagen, also schnell wieder auf die Landstraße.
Riesiges Steuerrad
Bei gemütlicheren Tempi verlagert sich die Konzentration: Jetzt bekommt auch die karge Architektur etwas Aufmerksamkeit ab. Mit dem riesigen Steuerrad fest in der Hand wandert der Blick über die überwiegend in Kunststoff gehaltenen Armaturen. Aber halt! Einen kleinen Zebranoholz-Streifen hatten die Innenraumgestalter dann doch übrig für ihren großen Sechszylinder. Wie war das noch mit dem Luxus? Die Tachoskala reichte beim 280er (auch bei den Vergasern) bis 230 km/h – der Stolz darüber, es den Käferfahrern mal richtig zeigen zu können, hat damals vermutlich über den Schmerz hinweggetröstet, dass solche praktischen Gimmicks bei den Franzosen oder Italienern dieser Klasse längst zum Serienstand gehörten. Die bescheidenen Schwaben brauchten das nicht, hier zählte schließlich Ingenieurkunst und Solidität.
Solide ist ein W123 wahrlich, diesen Geist atmet er aus jeder Pore. Selbst nach fast vierzig Jahren fährt der 280 E unglaublich fest – hier klappert oder knarzt wirklich gar nichts. Rund 35.000 Mark musste der damalige Neuwagenkäufer unseres 280 E damals auf den Tisch legen. Inklusive Automatik, Klimaanlage und Tempomat. Das leichtgängige Servo-Riesenlenkrad war ohnehin an Bord. Für 17.000 Euro bekommt man heute nur mit Mühe einen neuen Golf, der vermutlich leiser ist. Schwamm drüber, die Blicke der Passanten gehören dem orangefarbenen 280 E. Er ist der unangefochtene Star, nicht nur, aber auch wegen der Farbe. Orange Beauty eben.
Oli M