Von Holger Holzer/SP-X
Lange Jahr war China ein klassisches Limousinen-Land. Wer etwas auf sich hielt, kaufte Stufenheckautos - mit Vorliebe von westlichen Marken. Doch seit das Marktwachstum sich von den Millionenmetropolen an den Küsten ins Hinterland verlagert, wird eine andere Klasse immer beliebter: das kompakte SUV – nun auch gerne von einem heimischen Hersteller. Vor allem die Great-Wall-Marke Haval bedient die Nachfrage: Mit dem H6 hat man bereits den aktuellen Bestseller im Programm, und die neue Variante H6 Coupé könnte nun noch einmal für Furore sorgen. Der Fünftürer zählt zu den überzeugendsten China-Modellen auf der diesjährigen Shanghai Auto Show und muss sich in vielerlei Hinsicht selbst vor der westlichen Konkurrenz nicht mehr verstecken.
Zugegeben: Es riecht etwas komisch, wenn man in den weichen Kunstledersitzen des H6 Coupé Platz nimmt. Bei Tiguan und Co. würde der deutsche Kunde ob des chemischen Odeurs wohl direkt wieder aussteigen. Wer sich aber nicht daran stört, blickt auf ein schick und sauber gemachtes Cockpit, das sogar in nicht wenigen Details – etwa der Klimaregelung, dem Navi-Bildschirm oder dem Dreh-Drück-Schalter in der Mittelkonsole - an den Fahrerarbeitsplatz in Konzernmodellen aus Wolfsburg erinnert. Zumindest das ausgestellte Messe-Fahrzeug ist gut verarbeitet, die Materialien fassen sich ordentlich an, wenn auch nicht ganz so gut wie in europäischen Autos.
Äußerlich bedient sich der Haval nicht so stark an bekannten Vorbildern – die genretypischen Proportionen und die leicht an einen Range Rover Evoque angelehnte C-Säule mal ausgenommen. Das Coupé will so etwas wie die schickere Version des Standard-H6 sein, etwas kürzer, etwas flacher, dank leicht gewachsenen Radstands aber ähnlich geräumig. Dazu kommt eine moderne Optik mit bulligem Sechs-Eck-Kühlergrill und hübsch flankierenden Scheinwerfern. Auch Europäer dürften sich davon angesprochen fühlen. Was die Chinesen aber vor allem zum Kauf verlocken soll, ist der Preis. Ab umgerechnet rund 19.500 Euro wird das H6 Coupé kosten, wenn es in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt kommt. Das 2013 geliftete Standardmodell gibt es sogar schon für rund 15.000 Euro. Die westliche Konkurrenz in China ist mindestens doppelt so teuer. Die günstigste Version des VW Tiguan etwa kostet knapp 30.000 Euro.
Der deutliche Preisvorteil ist es auch, was den H6 zum mit Abstand meistverkauften SUV Chinas macht. Mehr als 315.000 Einheiten wurden laut der China Passenger Car Association im vergangenen Jahr zugelassen, der Tiguan von Shanghai-VW kam mit gut 237.000 Einheiten auf Platz zwei, der CR-V von Dongfeng-Honda mit 168.000 Fahrzeugen auf Rang drei. Noch sind die westlichen Hersteller mit ihren Joint-Ventures gut in der SUV-Bestsellerliste vertreten, doch immer mehr rein chinesische Modelle stoßen hinzu. Von Haval etwa die kleineren Modelle H1 und H2, dazu zahllose weitere wie der Changan CS35, der BYD S6 oder der Chery Tiggo 5 – Autos, die in Europa keiner kennt, die in China aber auf fünf- bis sechsstellige Zulassungszahlen im Jahr kommen. Rund 26 Prozent aller neu angemeldeten Pkw waren in China zuletzt SUV.
Problem für westliche Marken
Für die westlichen Hersteller könnte das zum Problem werden. Sie bauen zwar die technisch anspruchsvolleren SUV, aber eben auch die teureren. Das Prestige, das sie mitverkaufen, spielt in den neuen Boom-Regionen des Landes aber keine große Rolle. Das zweistellige Marktwachstum findet nicht mehr in den großen Städten des Ostens statt, sondern vor allem in den hierzulande fast unbekannten Megastädten des Hinterlandes, etwa im südwestchinesischen Chongqing mit seinen fast 29 Millionen Einwohnern auf einer Fläche der Größe Österreichs. Dort wurden 2014 fast 30 Prozent mehr neue Autos zugelassen als im Vorjahr. Allradantrieb und westliche Offroad-Technik benötigt dort kaum jemand. Die Kunden schätzen weniger die eh oft nicht vorhandene Geländegängigkeit, sondern vor allem das Gefühl von Sicherheit, das die bulligen Autos im Stadtverkehr geben. Und das können die heimischen Hersteller auch ohne Hightech-Expertise liefern.
Volkswagen sucht daher offenbar nun den Anschluss. Einem Bericht des "Manager Magazins" zufolge erwägt der Konzern eine Kooperation mit Haval-Mutter Great Wall, bei der es um die Entwicklung günstiger Autos gehen soll (wir berichteten). Ursprünglich hatte man ähnliches mit dem japanischen Hersteller Suzuki versucht, das Projekt scheiterte jedoch.
Die Verhandlungen mit Great Wall könnten allerdings hart werden. Denn an Selbstbewusstsein mangelt es dem Privatunternehmen nicht. Das war in Shanghai vor allem an der Tochter Haval zu sehen. Die hatte man nicht zufällig direkt neben dem Mercedes-Stand positioniert – in einem riesigen futuristischen Amphitheater. Ein Prachtbau, der wohl nur durch kreativste Auslegung der offenbar ausschließlich bei westlichen Herstellern angewandten Messebau-Regeln überhaupt möglich war. Eine klare Kampfansage. (sp-x)