Von Michael Gebhardt/sp-x
In Westhampnett ist England so, wie man es sich vorstellt: Sattgrüne Hügel ziehen sich sanft durch die Landschaft, die Straßen sind eng, und die mit Efeu bewachsenen Stein-Häuschen tragen lustige Namen. Abgesehen von der pittoresken Bilderbuch-Idylle bietet die Gemeinde zwischen Chichster und Guildford allerdings nur wenig Grund, einen Stopp einzulegen. Für perfektes Rosamunde-Pilcher-Feeling fehlt ihr die Küste, und für einen Stop-Over auf dem Weg von oder nach London liegt der Landstrich wiederum zu nah an der englischen Kapitale. Zweimal im Jahr aber pilgern Unmengen von Menschen in das kleine Dorf; genauer gesagt zum alles überragenden Anwesen des Earl of March, Darnley und Kinrara: Goodwood House. Der Hausherr – von seinen Freund nur Lord March genannt – lädt nämlich im Frühjahr und im Herbst zu zwei Motorsportveranstaltungen der Extraklasse.
Während im September beim Goodwood Revival auf der hauseigenen Rennstrecke mit historischen Flitzern und in traditioneller Kleidung der guten, alten Zeit gedacht wird, geht es beim Festival of Speed im Juli nur um eins: Spaß – an Leistung, und an teuren Autos. Dann wird schon mal das Fairway des ersten Abschlags des ebenfalls zum Herrschaftssitz gehörenden Golfplatz kurzerhand zur Parkmöglichkeit umfunktioniert, und was zumindest ein Teil der knapp 180.000 Besucher des Festivals dort abstellt, dürfte so manchen Carspotter schon die Tränen in die Augen treiben. Rolls-Royce, McLaren und Aston Martin, Ferrari, Porsche und Lamborghini sind hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Viele Gäste reisen mit Preziosen an, die ihrerseits eines Auftritts vor dem Goodwood House würdig wären.
Die Fahrzeuge, die aufs Festival-Gelände kommen, haben vor allem eins gemeinsam: jede Menge Leistung unter der Haube. Und die stellen sie beim traditionellen Hill Climb unter Beweis. Statt wie beim Revival ein Rennen auf dem Rundkurs auszutragen, geht es beim Festival of Speed darum, den gut 1,6 Meilen langen Anstieg hoch zum Goodwood House möglichst schnell zu meistern.
Goodwood Festival of Speed 2017
BildergalerieBunte Mischung
Die Mischung an Fahrzeugen, die an den Start rollt, könnte bunter nicht sein: Quer durch alle Generationen, vom McLaren F1 bis zum Vorkriegs-Bentley, vom Fiat S76 (mit 28-Liter-Motor!) bis zum getunten Renault Zoe mit E-Antrieb, vom BMW-LeMans-Autos bis zum Formel-1-Boliden ist alles dabei, was Power hat. Auch der Porsche 911 GT2 RS, der zudem in Goodwood seine Premiere feierte. Denn neben dem Bergrennen mit alten und neuen Hochleistungssportlern, die von den Besuchern nicht nur auf der Strecke, sondern auch im Fahrerlager bestaunt werden können, nutzen immer mehr Autohersteller die große Festival-Bühne, um für sich und ihre Produkte Werbung zu machen und die Fläche vor dem Herrenhaus wird mehr und mehr zum Jahrmarkt der automobilen Emotionen.
Neben der Weltpremiere, die der 700 PS starke GT2 RS zusammen mit dem auf 500 Einheiten limitierten Sondermodell Porsche 911 Turbo S Exclusive am Vorabend des Bergrennens gefeiert hat, stellt zum Beispiel Rolls-Royce die neue, um 30 PS erstarkte Power-Version seines Cabrios Dawn vor, mit dem düster klingenden Namenszusatz Black Badge. Ein paar Meter weiter zeigt BMW seine 8er Studie und hat gleich noch den Vorgänger aus den 90ern, einen Z8 und natürlich auch das aktuelle Flaggschiff, den i8 mitgebracht. Bugatti präsentiert den Chiron in der Juli-Sonne, Ferrari feiert seinen 70. Geburtstag, Maserati gewährt einen Blick auf die frisch gelifteten GranTurismo- und GranCabrio-Modelle – und auf der Wiese direkt vor dem Goodwood House gibt es eine von Cartier gesponserte Sonderschau, wo dieses Jahr neben Legenden wie dem Aston Martin DB1, Pagani Zonda, Koenigsegg CC oder Maserati Khamsin auch mehrere seltene Fiat-500-Derivat aufwarten: der froschgrüne Spaß-Umbau Zanzara von Zagato, der Roadster Gamine von Vignale, der Ghia 500 Jolly für den Strand, das Neckar Weinsberg Coupé von NSU oder knallgelbe Geländewagen Ferves Ranger ziehen mindestens genauso viele Blicke auf sich, wie die Luxus-Sportler.
McLaren aus 280.000 Lego-Steinchen
Etwas bürgerlicher, aber ebenso leistungsstark, geht es im Infield, auf der anderen Seite der Bergstrecke zu. In Messestand-ähnlichen Pavillons entstehen zwischen Fish-and-Chips-Buden, Champagner-Bars und Tee-Ausschänken ganze Markenwelten, wo sich die Besucher über die neuesten Mini-, Ford-, Lexus-, Mercedes-, Jaguar- oder Audi-Modelle informieren können und manche davon können auf eigens dafür angelegten Handling- oder Offroad-Kursen sogar erprobt werden. Während also Rennsport-Ikonen wie Walter Röhrl oder Jackie Ickx und Nachwuchs-Legenden wie Nick Heidfeld versuchen, möglichst schnell die nicht gerade gut asphaltierte Straße zum Goodwood House hoch zu flitzen, kann man selber ganz entspannt mit dem Porsche Cayenne Turbo im Schlamm spielen oder mit dem Jaguar XF S ums Eck driften. Der hier erstmals gezeigte, 600 PS starke XE SV Project 8 ist für die Besucher allerdings ebenso tabu, wie der noch getarnt an den Start rollende, aufgefrischte XJR. Und auch der Hingucker am McLaren-Stand kann leider nicht bewegt werden: Ein paar verrückte Lego-Enthusiasten haben dort den McLaren 720 S in Lebensgröße aus 280.000 Steinchen nachgebaut. Das Kuriose dabei: Die Lego-Replica kann zwar nicht fahren, wiegt mit 1.750 Kilogramm ganze 350 Kilogramm mehr als das Original.