Die deutsche Automobilindustrie steht auf ihrem wichtigsten Markt China vor multiplen Herausforderungen. Zwar sind die Absatz- und Gewinnchancen für Volkswagen, BMW & Co. in der Volksrepublik weiterhin enorm, die Hersteller sehen sich aber einer zunehmenden Wettbewerbsintensität gegenüber. Dafür sorgen verstärkt chinesische Unternehmen, die in zentralen Zukunftsfeldern wie der Elektromobilität, der Fahrzeugvernetzung und dem autonomen Fahren auftrumpfen. Gleichzeitig wächst die Abhängigkeit gerade auch der deutschen Anbieter vom chinesischen Markt erheblich. "Aufgrund der geopolitischen Ambitionen Chinas und der wachsenden Konflikte steigt für die deutsche Automobilindustrie das Verwundbarkeitsrisiko", heißt es in einer aktuellen Studie des Center of Automotive Management (CAM).
Bereits 2022 hatten die deutschen Hersteller erhebliche Marktanteile verloren, während der Gesamtmarkt um 9,7 Prozent zulegte. Großer Gewinner war der heimische Konzern BYD, dessen Verkäufe um fast 150 Prozent zulegten. BYD war nach dem Volkswagen-Konzern zweitstärkster Autohersteller in China ist. Im ersten Quartal 2023 steigerte BYD seinen Absatz wiederum um 90 Prozent auf 552.076 Fahrzeuge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, während die deutschen Hersteller - wie der Gesamtmarkt - im Minus lagen.
"Die Abhängigkeit der deutschen Automobilhersteller von China bleibt sehr hoch", erklärt CAM-Leiter Stefan Bratzel. Er verweist auf eine aktuelle Auswertung, wonach die Marktrelevanz, d.h. Anteil der China-Verkäufe zum Gesamtabsatz im Jahr 2022, bei Volkswagen 40 Prozent, bei Mercedes-Benz 36,8 Prozent und bei BMW 33 Prozent beträgt. Bratzel: "Auch Tesla verkauft mehr als ein Drittel seiner weltweiten Produktion in China." Umgekehrt folge daraus ein hohes Verwundbarkeitsrisiko der Unternehmen infolge möglicher geopolitischer Spannungen bzw. technologie- und wettbewerbsorientierten Turbulenzen.
Der Markthochlauf der Elektromobilität in China stellt aus Sicht des Experten für die deutschen Autobauer eine doppelte Herausforderung dar. China ist weltweit der Kernmarkt der reinen Elektromobilität (BEV) mit einem Wachstum von 84 Prozent auf mehr als fünf Millionen Pkw im vergangenen Jahr. Auch im ersten Quartal 2023 stiegen die BEV-Neuzulassungen überdurchschnittlich zum Gesamtmarkt auf 1,08 Millionen (plus 12,5 Prozent), was einem Anteil an den Gesamtzulassungen von 21 Prozent entspricht.
Allerdings entwickelten sich die deutschen Hersteller im Vergleich zum Wettbewerb noch unterdurchschnittlich. Marktführer bei Elektrofahrzeugen 2022 war BYD mit einem Marktanteil von 18 Prozent (plus 184 Prozent), gefolgt von SAIC (inkl. Wuling) mit 11,9 Prozent (plus 9,1 Prozent) und Tesla mit 8,7 Prozent (plus 37,1 Prozent). Die VW Group kam im Zukunftsfeld der Elektromobilität nur auf einen Marktanteil von 3,1 Prozent (plus 68 Prozent). "Insgesamt können die deutschen Hersteller ihre historisch starke Stellung in China im Zukunftsfeld der reinen Elektromobilität bislang nicht halten", so Bratzel.
Hinzu kommt, dass der weltweite E-Marktführer Tesla im chinesischen Markt einen Preiskampf eingeleitet hat, der auch die deutschen Hersteller zu Reduktionen zwingt. Nach Einschätzung von Bratzel wird dadurch eine Konsolidierung der Branche eingeleitet: "Da nur wenige Automobilhersteller derzeit mit der Elektromobilität Geld verdienen, dürften die Gewinnmargen insgesamt deutlich sinken. Dadurch steigt auch bei den deutschen Automobilherstellern perspektivisch der Kostendruck im Bereich Elektromobilität erheblich. Dies dürfte jedoch den Volumenhersteller Volkswagen deutlich stärker treffen als die Premiumhersteller BMW und Mercedes."
Rudi S.