Von Nico Esch, dpa
Fünf Jahre können eine Ewigkeit sein. An seinem 60. Geburtstag hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche gerade wieder eine Gewinnprognose kassieren müssen und nur knapp eine Revolte der Arbeitnehmer überstanden. Deren Vertreter im Aufsichtsrat wären ihn gern losgeworden. Es hagelte Kritik – an seinem Sparkurs, an seiner kompromisslosen Art, an seinem Führungsstil, am Rückstand auf die Konkurrenz von BMW und Audi. Zetsche bekam so etwas wie Bewährung, durfte bleiben, aber erstmal nur drei weitere Jahre statt der üblichen fünf.
Am Samstag (5. Mai) wird Zetsche 65 Jahre alt. Er ist immer noch da – und verkündet inzwischen eigentlich nur noch Rekorde. "Zetsche hat Daimler gerettet und eine Perle daraus gemacht", sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer – und verweist auch auf Zetsches Anfangszeit als Vorstandschef, als der Autobauer die erst gepriesene und am Ende nur noch verfluchte Verbindung mit dem US-Konzern Chrysler beendete.
Mittlerweile ist Daimler so erfolgreich, dass Investoren schon das "Besser-geht's-nicht-Problem" beklagen. Angesichts der Bestwerte bei Absatz, Umsatz und Gewinn 2017 müsse es ja fast zwangsläufig bald wieder abwärts gehen, hieß es erst neulich bei der Hauptversammlung.
Baustellen gibt es genug
Tatsächlich sind die Herausforderungen nicht ohne. Bei der Elektro-Wende drängt die Zeit, die Pläne kosten Milliarden – ohne Garantie, dass sie auch aufgehen. Dieselskandal und Kartellvorwürfe könnten, je nach Ausgang, auch noch richtig teuer werden.
Nebenbei will ein fundamentaler Konzernumbau bewältigt werden. Und dann weiß auch keiner so richtig, was eigentlich Li Shufu im Schilde führt – der chinesische Auto-Milliardär, der sich so heimlich, still und leise fast zehn Prozent der Daimler-Anteile zusammenkaufte, dass selbst die Führung darüber staunte.
Baustellen gibt es also auch jetzt wieder genug bei Daimler. Und trotz der Rekordergebnisse auch einige Kritik daran, wie der Autobauer sie angeht. Darauf, dass deshalb jemand "Zetsche muss weg!" ruft, braucht man heute aber nicht mehr zu warten. Schon gar nicht bei der Arbeitnehmervertretung, die ihn einst absägen wollte. "Heute ist er über jede Kritik erhaben", meint Dudenhöffer.
Lob vom Betriebsrat
Zetsche beweise Bodenständigkeit und Offenheit, beim Smalltalk mit Mitarbeitern in der Kantine ebenso wie am Rande von durchaus immer noch harten Verhandlungen, lobt Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht. "Mit dem beruflichen Erfolg zu wachsen, fällt leicht, mit dem Erfolg auf dem Boden zu bleiben, umso schwerer", sagt er. Genau das zeichne Zetsche aus. Er lebe die moderne Unternehmenskultur, die er sich wünsche, selbst vor. Das hatte früher – vor Brecht – oft noch ganz anders geklungen.
Zetsche ist insgesamt seit über 40 Jahren bei Daimler, seit 20 Jahren im Vorstand, seit zwölf Jahren dessen Vorsitzender. Früher, sagt Dudenhöffer, stand der Autobauer für Manschettenknöpfe und Krawatten, jetzt für Jeans und Turnschuhe. Zetsche hat diesen Kulturwandel eingeleitet. Er ist der Kumpel-Chef, der zwar nicht mehr als "Dr. Z" in Werbeclips auftritt wie früher in den USA, dafür nun aber für ulkige Grußbotschaften zu Weihnachten Gedichte vorträgt oder den markanten Schnauzbart in der Glühwein-Tasse verschwinden lässt.
Bewerbungsgespräche am Steuer
Auch die Mitarbeiter drehen schräge Videos, um sich damit für ein "Meet & Greet" mit Zetsche zu bewerben. Im Daimler-Blog kann man dem promovierten Ingenieur und Lenker des Multimilliarden-Konzerns dann dabei zusehen, wie er lässig plaudernd mit Betriebsratschef Brecht und einigen anderen der weltweit 294.000 Daimler-Leute in der S-Klasse herumfährt oder Bewerbungsgespräche am Steuer führt. "Grüß Gott, wunderbar, ich bin Dieter" – PR-gerecht aufbereitet, gern geklickt und kommentiert. Selbst beim Grünen-Parteitag inmitten der Diesel-Querelen haben sie am Ende für ihn geklatscht.
Es gibt aber auch den anderen Zetsche – abgeschirmt, wortkarg, der Journalisten und Aktionäre mit den immer gleichen, vom Zettel abgelesenen Antworten auf ihre Fragen frustriert. Gern auch mehrfach hintereinander, wenn es Nachfragen gibt. Daimler hat in Sachen Diesel die US-Behörden und die Stuttgarter Staatsanwaltschaft am Hals. Der Vorwurf der Kartellabsprachen mit anderen Autobauern wird von der EU-Kommission untersucht. Und dann darf man auch die Partner aus China nicht mit einem unbedachten Wort verprellen. An jedem Zetsche-Satz, so wirkt es deshalb bisweilen, haben vorher mindestens drei Juristen gefeilt.
Bei Fragen zu seiner Zukunft hält sich der Manager bislang ähnlich bedeckt. Ein Gespräch zu seinem Geburtstag kommt nicht zustande. Ende 2019 läuft sein Vertrag aus, danach könnte er den Vorsitz im Aufsichtsrat übernehmen. Dessen jetziger Chef Manfred Bischoff hat schon im vergangenen Jahr gesagt, dass er sich das vorstellen könnte.
Zeitlich passen würde es: Zetsche müsste eine zweijährige Abkühlphase abwarten, Bischoff ist bis 2021 gewählt. Seit Februar sitzt Zetsche im Aufsichtsrat von Tui, soll auch dort "mittelfristig" den Vorsitz übernehmen. Gewählt ist er für fünf Jahre – aber da kann ja bekanntlich noch viel passieren.