Android Auto und Apple Car Play haben das Auto-Cockpit im Sturm genommen. Die Autohersteller haben die datendurstigen IT-Unternehmen in den vergangenen Jahren nur ungerne in ihre Infotainmentsysteme gelassen, nun wollen sie sie wieder zurückdrängen - mit eigenen Apps-Stores und maßgeschneiderter Konnektivität.
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BildergalerieApps: Mit Mirroring fing es im Auto an
Als vor rund einem Jahrzehnt - auf dem ersten Höhepunkt der Smartphone-Ära - die ersten Autos das Spiegeln von Smartphone-Inhalten auf dem Borddisplay erlaubten, war die Verbindung wackelig, die Bedienung umständlich und das App-Angebot im besten Fall lückenhaft. Doch die Vorteile des sogenannten "Mirroring" waren schnell zu erkennen: Der Fahrer konnte sein Handy erstmals auch im Auto sinnvoll nutzen und ohne es in die Hand nehmen zu müssen Musik streamen, sich navigieren lassen oder schlicht telefonieren – mit Freisprechfunktion und immer verfügbarem Adressbuch.
Bedient wurde über die schon vorhandenen Knöpfe und Schalter im Cockpit. Die Hersteller freuten sich nicht zuletzt über die Möglichkeit zu sparen – in kürzester Zeit etwa flog das CD-Laufwerk aus dem Auto und die werksseitige Handyhalterung folgte auf dem Fuße. Ab sofort konnte das Telefon in der Hosentasche bleiben oder in der Ladeschale der Mittelkonsole Strom tanken.
Softwarekonzerne bestücken das ganze Infotainmentsystem
Lange währte die Freude jedoch nicht. Denn schon bald begannen neue Konkurrenten, den Platz auf dem Bordbildschirm zu übernehmen: Apple Car Play und Android Auto verdrängten mit durchdachter, immer aktueller und blitzschneller Software die häufig klar unterlegenen Konnektivitäts-Systeme der Autohersteller. Wehren konnten sich letztere kaum: Der Nachfragedruck von Kundenseite zwang bald auch die zögerlichsten Pkw-Bauer, den Weg ins Cockpit für die branchenfremden IT-Riesen aus dem Silicon Valley freizumachen.
Mittlerweile sind die Softwarekonzerne nicht mehr nur über das Handy im Auto, sondern bestücken teilweise auch gleich das ganze Infotainmentsystem mit ihrer für den Einsatz im Auto optimierten Software, Google etwa mit "Android Automotive". Ein App Store gehört in der Regel gleich dazu. Der Preis dafür jedoch war hoch: Das Auto drohte, zur eigenschaftslosen Hardware-Hülle zu werden. Abgesehen von Lenkrad und Pedalerie nutzte der Fahrer nicht mehr die Bediensysteme von VW und Co., sondern blickte und klickte auf die Grafik-Oberflächen von Apple und Google. Für die immer stark um einen eigenen Charakter bemühten Automarken ist das bis heute ein Problem.
"Nutzererlebnis nicht langfristig aus der Hand geben"
Für Ralf Drauz, Geschäftsführer bei Faurecia Clarion Electronics, einer vollständigen Tochter des Automobiltechnologiezulieferers Forvia, ist der aktuelle Zustand nur eine Zwischenlösung. "Wir sehen, dass die Fahrzeughersteller das Nutzererlebnis nicht langfristig aus der Hand geben möchten. Ich denke, dass es die Angebote von Apple und Android zumindest bei einigen Herstellern in der nächsten Fahrzeuggeneration nicht mehr geben wird." Ein Trend, von dem er profitieren möchte: Forvia hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der führenden App-Store-Anbieter für Auto-Anwendungen entwickelt.
"Wir bieten Autoherstellern den kompletten Service an. Nicht nur einen App Store, der von Design und Bedienlogik zu dem jeweiligen Fahrzeug passt, sondern wir besorgen auch die einzelnen Apps, die der Hersteller integrieren möchte. Etwa indem wir mit Drittanbietern verhandeln und dessen Software technisch für den Einsatz im Auto anpassen. Oder indem wir spezielle Automotive Apps als Standardisierungslösung entwickeln." Der Fahrzeugbauer habe immer die volle Kontrolle über das Angebot im Store, so Drauz. Und die Nutzerdaten bleiben bei ihm – und wandern nicht zu Google und Co. ab. "Wir wollen die Daten nicht beanspruchen. Wir bieten gerne als Service an, dass wir sie auswerten, aber wir machen dies nur für den Autohersteller nutzbar."
KI-Sensor erkennt die Stimmung
Gerade der Aspekt mit den Daten ist für die Autohersteller wichtig, wollen sie künftig mehr sein als Werkzeugmacher. Mit Daten lässt sich nicht nur Geld verdienen, sondern auch die Kundenbindung und -zufriedenheit steigern. Langfristig könnten Autohersteller ein ganzes Konnektivitäts-Universum aufspannen: Das Fahrzeug kommuniziert mit dem Smartphone-Kalender, programmiert schon mal das Navi passend und warnt den Fahrer, wenn Batterie- oder Tankinhalt nicht reichen.
Steigt der Mensch ein, erkennt ein KI-Sensor seine Stimmung und den Fitnesszustand, dimmt vielleicht das Licht oder bläst einem schläfrigen Insassen kühle Luft ins Gesicht und setzt das Hörbuch fort, dass dieser vor dem Einsteigen gehört hat. Die passenden Streaming-, Klima- und Routenfinder-Apps kommen dabei nicht vom Handy, sondern aus dem Download-Store des Autoherstellers. Einiges davon funktioniert bereits heute, künftig könnten noch zahllose Funktionen hinzukommen: Vom In-Car-Payment, wie es etwa Mercedes vorantreibt bis zur automatischen Sitzverstellung, wie sie Forvia-Tochter Faurecia einbringen könnte.
Einträgliches Geschäft mit den Daten
Technisch gesehen ist die Bereitstellung eines eigenen App-Angebots längst nicht so trivial wie ein Smartphone-gewohnter Autofahrer es denken könnte. „Anders als die Stores auf dem Smartphone, haben wir nicht Hunderttausende von Apps. Auch, weil das Fahrzeug andere Sicherheitsanforderungen hat als ein Smartphone“, sagt Drauz und nennt das Thema Ablenkung. Die App im Pkw-Store ist zwar potenziell dieselbe wie auf dem Handy, aber sie sieht anders aus, hat größere Touchflächen und größere Schrifttypen, die auch während der Fahrt gut zu lesen sind. Außerdem gibt es Funktionen, die während der Fahrt nicht nutzbar sind, etwa Videostreaming.
Ob den Autoherstellern die Rückeroberung des Infotainments gelingt, bleibt offen. Denn auch Apple und Google werden das einträgliche Geschäft mit den Daten nicht einfach aufgeben. Am Ende könnte davon auch der Autofahrer profitieren, denn Geld für die Apps wird wohl erst einmal keiner von ihm verlangen. Und auch die Hersteller müssen für das Aufstocken ihres App-Angebots wohl in der Regel nicht tief in die Tasche greifen. Drauz geht davon aus, dass viele App-Entwickler schon aus eigenem Interesse im Auto an Bord kommen. Schlicht, weil sie es sich nicht leisten wollen, Millionen potenzielle Kunden zu verlieren.