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60 Jahre Mercedes-Benz 300 SL Roadster (W 198 II): Die Sonne im Schatten des Gullwing

07.08.2017 07:00 Uhr
Mercedes-Benz 300 SL Roadster Typ W198 II
© Foto: Mercedes-Benz

Sichere Geldanlage und legendärer Sportwagen: Der Mercedes 300 SL Roadster war nicht nur Nachfolger des Flügeltürers, er überflügelte den Gullwing durch atemberaubende Offenheit und Verkaufserfolge.

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Von Wolfram Nickel/SP-X

Wie erneuert man die vielleicht größte Design-Ikone der Automobilgeschichte? Der amerikanische Mercedes-Importeur Max Hoffman wusste, was zu tun war als die Marke mit dem Stern nach einem Ersatz für den 300 SL mit seinen spektakulären Flügeltüren fahndete. Schließlich hatte Hoffman bereits die Straßenversion dieses Racers initiiert und nun - passgenau für die Open-Air-Saison 1957 - hoffte er auf eine offene Variante, den 300 SL Roadster. Der Daimler-Benz-Vorstand ließ sich rasch überzeugen, zumal die ersten Roadster-Prototypen bereits 1954 gebaut worden waren.

Technisch entsprach der offene SL weitgehend dem Coupé, allein die Hinterrad-Aufhängung wurde moderner. Mercedes übernahm dazu die Eingelenk-Pendelachse des Typs 220a mit tiefer gelegtem Schwerpunkt und verbesserte so die Fahreigenschaften des Frischluftrenners gegenüber der Blechdachversion deutlich. Tatsächlich gelang es dem bis zu 165 kW / 225 PS starken Sonnensegler aus dem übergroßen Schatten seines mit Flügeltüren bewehrten Vorgängers zu fahren, wie die eindrucksvollen Verkaufszahlen verrieten. Insgesamt 1.858 Einheiten des damals weltweit schnellsten offenen Seriensportwagens wurden gebaut, avancierte er doch zur Insignie des internationalen Jetsets und Geldadels. Vor allem aber setzte der muskulöse 300 SL zusammen mit dem Vierzylinder-Typ 190 SL die Initialzündung zur offenen SL-Baureihe. Kostspielige Roadster, die sich mit bis heute rund 750.000 Einheiten auf Platz zwei der ewigen Bestenliste der meistverkauften Frischluft-Zweisitzer positionieren – hinter dem preiswerten Mazda MX-5.

Eine solche Verbreitung hatten die Väter des 300 SL nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorhergesehen. Ihnen und auch dem genialen Mercedes-Verkäufer Max Hoffman ging es vor 60 Jahren darum, den muskulösen Sechszylinder-Roadster als reisetaugliche Alternative zu Supersportlern von Jaguar, Maserati, Ferrari oder Aston Martin zu etablieren. Erfolgreich, wie die Strahlkraft des 300 SL bewies, zog dieser doch die speed- und sportbegeisterten Amerikaner sofort in seinen Bann. Je nach Hinterachsübersetzung war der Bolide bis zu 260 km/h schnell und überdies zuverlässig wie die staatstragende Repräsentationslimousine von Bundeskanzler Konrad Adenauer, die ebenfalls das Typensignet 300 trug und einen Teil der Technik für den SL lieferte.

Mit umfangreichem Optionenkatalog

Als "The World's finest combination of quality and high performance!" wurde der zweisitzige Mercedes in Hollywood und auf der New Yorker Fifth Avenue beworben und die Fachmedien bestätigten diese selbstgefällige Einschätzung des Mercedes-Importeurs Max Hoffman. Zwar fehlte es dem elegant gezeichneten Cabriolet am Ausrufezeichen der nach oben öffnenden Flügeltüren, dafür gab es Lob für den nun bequemeren Einstieg durch niedrigere Schweller, die bis dahin besonders Damen in modischen Kleidern einiges Geschick abverlangt hatten. Das Verdeck mit innovativem Aluminiumgestänge (schließlich steht das Typensignet SL für "super leicht") ließ sich unkompliziert hinter den Sitzen unter einer Klappe verstauen und ab 1958 gab es ein schickes Hardtop, das zu den populärsten Features im umfangreichen Optionenkatalog für den 300 SL zählte.

Zeittypisch umfasste die Sonderausstattungsliste auch unterschiedliche Hinterachsübersetzungen, je nachdem, ob Sprintperformance oder Spitzengeschwindigkeit wichtiger waren. Kostspielig war der Roadster ohnehin bereits in der Basisversion, die mit 32.500 Mark zu Buche schlug. Das war deutlich mehr als für den Flügeltüren-Vorgänger verlangt wurde, zugleich aber gut ein Drittel weniger als die wichtigsten Konkurrenten für ihre Supersportler berechneten. Einziger deutscher Herausforderer war der BMW 507 Roadster, der jedoch trotz günstigerer Kosten und prominenter Käufer wie Elvis Presley in den Verkaufszahlen chancenlos blieb gegenüber dem 300 SL. Erst in den schwindelerregend hohen Notierungen der Klassiker-Auktionen des 21. Jahrhunderts konnte der bayerische Roadster seinen schwäbischen Rivalen überholen. Allerdings haben die Preise für den 300 SL in den letzten Jahren ebenfalls raketengleich abgehoben, wie ein Blick in Gebrauchtwagenportale zeigt. Seit 2012 verdreifachten sich dort die Preisforderungen für makellose Sternenträger auf bis zu 1,5 Millionen Euro.

Eine gute Geldanlage, sofern die horrenden Kosten für den Erhalt des Concours-Zustands unberücksichtigt bleiben. Noch wertvoller sind naturgemäß 300-SL-Roadster mit Glamour-Faktor und davon gibt es viele. Sei es der 300 SL, den sich einst James Deans Filmpartnerin Natalie Wood gönnte oder die Fahrzeuge von Romy Schneider, Sophia Loren, Gina Lollobrigida, des Aga Kan und des Schah von Persien. Hinzu kommen die vielen SL Roadster, die es zu einer eigenen Filmkarriere brachten unter Kino-Regisseuren wie Robert Redford, Carol Reed, Francis Ford Coppola, Tim Burton oder Clint Eastwood. Überraschend ist, dass nicht einmal alle Fachleute konsequent zwischen 300 SL Coupé und Cabrio differenzieren, die nie parallel gebaut wurden. Und so wurden im Jahr 1999 beide 300-SL-Versionen von einer Experten-Jury zum "Sportwagen des Jahrhunderts" gewählt.

Vollgasfest auf Langstrecken 

Eine verdiente Auszeichnung für den Sportwagen in den perfekten Proportionen eines Speedbootes, mit steiler Windschutzscheibe und einem Reihensechszylinder als Spaßbeschleuniger. Dank der sieben Kurbelwellenlager, einer fast quadratischen Zylinderauslegung und der von der Fachpresse gelobten Fertigungsqualität war der Einspritzer auch auf Langstrecken vollgasfest. In einer Ära, die noch zwischen maximalerDauergeschwindigkeit und kurzzeitigerHöchstgeschwindigkeit differenzierte, außergewöhnlich, aber im Rennsport entscheidend. Genau dort knüpfte der Roadster an die Erfolge des Gullwing an. Paul O'Shea, der bereits 1955 und 1956 mit dem Flügeltürer die nordamerikanische Sportwagenmeisterschaft gewonnen hatte, holte den Titel 1957 erneut, nun mit einem 300 SLS. Diese Sonderanfertigung des Roadsters wog gut ein Viertel weniger als der Seriensportler und leistete 173 kW / 235 PS.

Die Vmax-Talente des regulären Roadsters dokumentierte dagegen im November 1958 der ADAC. Damals erzielte ein 300 SL mit abgedecktem Beifahrersitz auf der Autobahn München-Ingolstadt einen Schnitt von 242,5 km/h. "Was für ein Höllenritt in einem himmlisch schönen Sportwagen", kommentierte ein anwesender Journalist angesichts des herausfordernden Streckenprofils dieser Autobahn. Die Bremsen des SL waren zwar groß dimensionierte Duplex-Trommelbremsen mit Rippen zur besseren Kühlung, aber Vierradscheiben-Bremsen gab es erst 1961. Dies passend zum Debüt des E-Type, mit dem Scheibenbremsen-Pionier Jaguar den Stuttgarter Roadster endlich deklassieren wollte. Ein vergebliches Unterfangen, denn auch dem dramatisch gezeichneten E-Type gelang es nicht, den altgedienten 300 SL auf freier Strecke zu überholen. Beendet wurde dieses Duell erst im Februar 1963. Gemeinsam mit dem kleineren Bruder 190 SL ging der 300 SL in den Ruhestand, während die Medien den 230 SL mit markantem Pagodendach als neuen Star am Roadsterfirmament feierten.


Mercedes-Benz 300 SL Roadster

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