Von Wolfram Nickel/SP-X
Ausgerechnet in den Achtzigern, jenem Jahrzehnt der Diskussionen um Katalysatorpflicht, Ölpreiskrisen und striktere Tempolimits war die Sportwagenwelt im Geschwindigkeitsrausch. Der Vmax-Himmel begann endlich oberhalb von 300 km/h, einer lange Zeit magischen Marke, die 1987 von den Tachonadeln gleich mehrerer Supercars getoppt wurde. Zwar hatten Ferrari, Lamborghini oder Iso Rivolta ihren Kunden dieses Tempo schon seit fast zehn Jahren versprochen, es blieb aber ein Wunschdenken, das erst jetzt Wirklichkeit wurde.
Eröffnet wurden die Vmax-Festspiele im Frühjahr 1987 vom 331 kW / 450 PS starken Porsche 959, den die Fachpresse und prominente Fahrer wie Stardirigent Herbert von Karajan auf 315 km/h beschleunigten. Ein Bestwert, der nur bis Juli 1987 Bestand hatte, denn dann stieß Enzo Ferraris letztes großes Werk, der F40, in höhere Vmax-Sphären vor. Vollgas-Ansagen, auf die der keilförmige Lamborghini Countach trotz Nachschärfung keine überzeugende Antwort fand. Wohl aber ein mit 349 km/h gemessener Jaguar XJ 220 und vor allem der über 350 km/h schnelle Bugatti EB 110, den sich sogar Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher für seine Garage gönnte. Bugattis fast schon irrsinnig hohe Preisforderung von rund 700.000 Mark irritierte Schumacher offenbar nicht, vielleicht weil für den Jaguar XJ 220 ebenso wie für gebrauchte (!) Porsche 959 sogar ein Millionenbetrag fällig geworden wäre.
Heute, in der Ära von Bugatti Chiron, Koeniggsegg Regera und rasenden Tuning-Projekten wie 9ff GT9, können Sportwagenfans nur mitleidig lächeln, wenn an die einstige, undurchdringliche 300 km/h-Schallmauer erinnert wird. Schließlich brennen die Boliden des 21. Jahrhunderts längst die Zahl 400 in den Asphalt – theoretisch. Echte Messfahrten sind mit diesen Tempogiganten mangels geeigneter Pisten meist gar nicht mehr möglich und selbst von einem Bugatti-Rekordfahrer auf dem VW-Versuchsgelände Ehra-Lessien wurde berichtet, dass Autos in Tempobereichen jenseits von 400 eigentlich nichts zu suchen haben. Schließlich sei man dann mehr Passagier als Fahrer. Gleiches wussten Piloten italienischer Hypersportler zu erzählen, die sich ab Ende der 1960er Jahre auf öffentlichen Straßen an die 300-km/h-Marke herantasteten – sie dann aber aus anderem Grund verfehlten. Es fehlte den Geschossen schlicht an genügend Muskelmasse bzw. PS, um die Prospekt-Versprechen einzulösen. Weder dem Iso Grifo gelangen die 300 noch dem ab 1974 verkauften Lamborghini Countach.
Gruppe B sorgte für Furore
Im Testalltag war der von Marcello Gandini als messerscharfer Keil gestaltete Countach nur 288 km/h schnell, was dem Lambo aber immer noch reichte, um sich bis 1987 als rasantester - und lautester (95 Phon (dBA) bei 200 km/h) – Sportwagen der Welt würdigen zu lassen. Wurde der 441 kW / 600 PS starke Prototyp Countach Evoluzione doch damals in Nardo mit einem Rundendurchschnitt von 314,1 km/h registriert. Wohlgemerkt war es ein Prototyp, aber dessen Messwerte überhöhten den Mythos Countach derart, dass sich die Serien-Countach fortan besser denn je verkauften und viele Lambo-Fans die Realität schlicht ignorierten. Etwa den schon 1984 eingeführten Ferrari 288 GTO, der ein Resultat der wildesten Rallye-Bewegung aller Zeiten war. Sorgte doch damals die berüchtigte Gruppe B für Furore, in dem sie bis zu 600 PS starke Fahrzeuge auf die Pisten schickte – bis tödliche Unfälle zum Aus führten. Nicht so für die straßentauglichen Homologationsversionen der Gruppe-B-Sportler, die etwa als 305 km/h schneller Ferrari 288 GTO und als Porsche 959 mit Biturbo-Boxer in den Handel kamen.
Der Zuffenhausener platzierte gleich einen Dreifach-Aufschlag, der an Wirkung kaum zu überbieten war. Zuerst feierte das Publikum den Porsche bei der IAA 1985 als schnellstes Auto der Welt mit Allradantrieb. Dann erkämpften drei weitgehend serienmäßige Porsche 959 die Plätze 1, 2 und 5 bei der Rallye Paris-Dakar 1986 und ein Jahr später wurden die ersten Kundenautos gefeiert als Technologieträger und Vorboten des neuen Jahrtausends. Immerhin warnte beim 959 erstmals ein Reifendruckkontrollsystem an den Magnesiumrädern vor plötzlichem Druckverlust. Komponenten aus Kevlar, Polyurethan und Aluminium kündeten von wegweisendem Leichtbau für mehr Effizienz und der Allradantrieb sowie Hochleistungsbremsen mit neuem ABS standen für mehr Sicherheit. Diese Neuerungen beendeten damals übrigens sogar eine politische Diskussion über Sinn oder Unsinn solcher automobiler Powerpakete in Zeiten von Waldsterben und Umweltschäden durch Katastrophen wie Tschernobyl. "Sicherheitstechnik, die gut ist für 300 km/h, ist auch für 100 km/h gut", erklärte etwa ein Frankfurter Architekt und Umweltkämpfer anlässlich der IAA-Premiere des Porsche. Für fast alle 959-Besitzer, darunter Boris Becker, Bill Gates oder Popsänger Falco, blieb der limitierte Kleinserien-Sportler aber vor allem Fahrspaßmaschine.
Nebenbei war er eine Geldanlage mit Wertsteigerungsgarantie. So wurde der offiziell 420.000 Mark teure Boxer schon als junger Gebrauchter zu Preisen jenseits einer Million Mark gehandelt. Superlative, die andere Vmax-Marken animierten, einen regelrechten Supercar-Hype auszurufen. Aston Martin besann sich seines V8 aus den 1960er Jahren und entlockte diesem im Vantage 279 kW/379 PS für 273 km/h. Zu wenig für ein echtes Speedsymbol, wusste Karossier Zagato, der deshalb für die James-Bond-Marke die Hochleistungsversion Vantage Zagato auflegte. Pech für Aston Martin, dass der Zagato in Tests das Ziel von 300 km/h stets knapp verfehlte.
Ein Ritt auf der Rakete
Dafür garantierte Enzo Ferraris finales Fahrzeug einen Ritt auf der Rakete, der selbst die Werte des Porsche 959 pulverisierte. 324 km/h versprach der F40 als bis dahin schnellster Straßen-Ferrari. Und der von Pininfarina dramatisch gestylte V8 hielt dieses Tempoversprechen auch, immerhin galt es 1987 den 40. Geburtstag der Marke aus Maranello zu zelebrieren. Dieses Superauto der späten Achtziger betörte nicht nur die Fans, sondern auch den Hersteller, so dass er die ursprünglich auf 450 Einheiten limitierte Serie auf 1.315 Fahrzeuge erweiterte. Dem Wertzuwachs schadete es nicht. Schon 1989 wurden für F40 über 3,2 Millionen Mark bezahlt, das Achtfache des anfänglichen Preises.
Auch Jaguar wollte deshalb die Reichen mit einem Rekordbrecher versorgen und präsentierte 1988 den XJ220 als bis dahin schnellsten Sportwagen mit Straßenzulassung. Signalisierte der Typencode des 404 kW / 550 PS freisetzenden Twin-Turbo-V6 doch eine Vmax von 220 mph (354 km/h). Einfangen ließ sich die eine Million Mark teure Wildkatze nur durch eine weltweite Wirtschaftsflaute. Plötzlich sprangen die Kunden reihenweise von den Kaufverträgen ab und das Speedsymbol stand sich ebenso wie der 1991 vorgestellte 350-km/h-Bugatti EB 110 aus dem Unternehmen des Finanzmaklers Romano Artioli in den Showrooms die Gummis platt. Der Magie schneller Tempobolzer schadet dies bis heute nicht, wie gerade erst wieder die Sportschau auf der Frankfurter IAA bewiesen hat.