Von Wolfram Nickel/SP-X
Gegründet wurde die Marke mit dem langjährigen Logo von Lanze und Lenkrad am 29. November 1906 von Vincenzo Lancia und seinem Freund, Claudio Fogolin. Schon damals bestand eine enge Beziehung zum größten italienischen Autohersteller – war doch Lancia erfolgreicher Werksrennfahrer für Fiat und posierte noch 1907 mit Giovanni Agnelli für Fotos im Fiat Typ 8. Auch Lancias Partner Fogolin war ein vormaliger Fiat-Testfahrer. Im Jahr 1908 ging es dann los mit den eigenen bahnbrechenden Fahrzeugen. Der Tipo 51 genannte und später in Alfa 12 HP umbenannte Lancia Pkw führte den Leichtbau in Automobilkonstruktionen ein und beeindruckte überdies mit einem nach damaligen Maßstäben außergewöhnlich drehfreudigen 2,5-Liter-Vierzylinder. 1.800 Touren waren 50 Prozent mehr als die Konkurrenz bot und genügten, um sofort die technikbegeisterten Amerikaner zu faszinieren. Tatsächlich war es eine amour fou, denn ebenso schnell und heißblütig wie die Amerikaner Lancia liebten, ließen sie die Marke immer wieder fallen. Die Hollywoodstars Greta Garbo, Gloria Swanson, Marlene Dietrich oder Gary Cooper stahlen mit ihren hinreißend schön gezeichneten Lancia allen amerikanischen V12- oder V16-Kreuzern die Show und Ernest Hemingway betrachtete Lancia als Marke für Literaten und Intellektuelle.
Stets waren es die exklusivsten Lancia-Kreationen von weltbekannten Karossiers wie Ghia, Michelotti, Pininfarina, Touring oder Vignale, die in Amerika Furore machten. Bis sich Fiat 1982 mit allen Konzernmarken aus der Neuen Welt verabschiedete. Nur um 2010 völlig überraschend einen Lancia Delta mit Chrysler-Grill auf der Detroit Autoshow zu zeigen. In Serie gingen allerdings ein Jahr später keine amerikanisierten Lancia für den US-Markt, sondern umgebadgte Chrysler-Modelle vor allem für Europa. Fiats frisch erworbene amerikanische Tochter sollte fortan mit Italo-Versionen von Chrysler Voyager (als Lancia Voyager), 300 C (als Lancia Thema) und 200 (als Lancia Flavia) das Überleben des Turiner Nobellabels sichern.
Lancia ließ Konkurrenten alt aussehen
Ganz anders vor 110 Jahren die Anfänge von Lancia & C in der Turiner Via Ormea. Damals war es weniger die Noblesse als Neuerungen am laufenden Band, wofür Lancia stand. 1913 fuhr der Lancia Theta als erster Europäer mit serienmäßiger 6-Volt-Elektrik bei Lichtmaschine, Scheinwerfern und Anlasser vor. 1922 folgte der wegweisende Lambda mit selbsttragender Karosserie und vorderer Einzelradaufhängung sowie dem neuen Markenmerkmal eines V4-Motors mit engen Zylinderwinkeln. Dann der Lancia Aprilia von 1936 als Meilenstein in den kompakteren Klassen. Mit Einzelradaufhängung rundum und stromlinienförmiger Karosserie ließ er die Konkurrenten alt aussehen. Für Vincenzo Lancia war es die letzte Konstruktion. Der rastlose Ingenieur starb im Februar 1937 an einem Herzinfarkt, das Unternehmen wurde jetzt von seiner Familie fortgeführt. 1950 debütierte der viertürige Aurelia mit Pontonkarosserie ohne B-Säule, dem ersten Großserien-V6, revolutionärer hinterer Schräglenkerachse und neuer Transaxle-Bauweise. Ein technisches Meisterwerk, das Lancia zu viel Geld kostete. So fehlte es vorübergehend am Kapital für die Erneuerung der Produktionsanlagen.
Die Aurelia-Modellreihe mit traumhaft schönen Coupés und Cabriolets, aber auch die erfolgreichen Motorsportaktivitäten – 1954 und 1955 sogar in der Formel 1 – leerten die Kasse schneller als sie durch Bestseller wie den kleinen Appia gefüllt werden konnte. Deshalb verkaufte die Familie Lancia 1955 ihre Firmenanteile an den italienischen Industriellen Carlo Pesenti. Zumal dieser den Geist der Marke weiterleben lassen wollte. "Design enthüllt das innere Wesen einer Sache", hatte Vincenzo Lancia einst gesagt und die Schönen und Reichen bestätigten ihn durch den Kauf der aufregenden Prestigeautos mit dem Logo der Lanze. So war es für Filmstars der Nachkriegszeit wie Brigitte Bardot und Jean-Paul Belmondo selbstverständlich, die Designjuwelen aus Turin zu fahren.
Fiat übernah Lancia 1969
Zudem gab es ab 1957 mit der Flaminia ein Flaggschiff, das über den Dingen zu schweben schien. Als luxuriöse Limousine Presidenziale, schönes Coupé, schneller Super Sport oder Cabriolet konnte es die Flaminia mit Bentley und Aston Martin aufnehmen. Keine Überraschung deshalb, dass im James-Bond-Filmabenteuer eine Flaminia gegen Bentley antrat. Die 1960er Jahre brachten neue progressive Lancia-Erfolgsträger wie Flavia und Fulvia hervor, aber die Kassenlage blieb so klamm, dass Fiat 1969 die marode Marke übernehmen musste. Nur so konnte die drohende Werksschließung und ein Verkauf an Ford verhindert werden. Zu neuer Größe stieg Lancia ab 1972 noch einmal mit dem Beta und seiner verzweigten Modellfamilie aus Limousinen, Shooting Brake, Spider und Sportcoupés auf. Derweil holte der keilförmige Stratos den ersten Rallye-WM-Titel und eröffnete damit eine damals beispiellose WM-Trophäensammlung, die der Lancia Delta in den 1980er Jahren fortsetzte.
Der kompakte Delta von 1979 war es auch, der die Lancia-Absatzzahlen oben hielt und eine Allianz mit Saab initiierte. So gab es den Lancia einerseits als Saab 600, andererseits entstand der Lancia Thema von 1984 aus einer Gemeinschaftsentwicklung mit dem Saab 9000. Danach aber stürzten die Stückzahlen ins Tal der Tränen. Was wirtschaftliche Flops wie das Flaggschiff Lancia Gamma von 1976 bereits andeuteten setzte sich bis zum exzentrischen Thesis von 2002 fort. Allein in Italien sicherten die feinen Kleinwagen A 112, Y10 und Ypsilon – ein Erbe der zugunsten von Lancia eingestellten Fiat-Tochtermarke Autobianchi – neben dem Microvan Musa Lancias Position als Volumenhersteller. International konnte nicht einmal der 2008 als formales Kunstwerk wiederbelebte Delta frische Erfolge bewirken. So gibt es jetzt im Jahr des 110. Jubiläums von Lancia Tränen statt Freudenfeuerwerke. Wenigstens eine goldene Zukunft bleibt Lancia: In der Klassikerszene sind die Italiener bereits heute begehrte Pretiosen.
Tom
Karl-Heinz Scherer
Christopher Bürger