Rückblick 2021
AUTOHAUS: Welche Besonderheiten waren für den Sprecher des deutschen Autohandels in 2021 die maßgeblichen Treiber?
Thomas Peckruhn: Nach der Dieselmalaise 2015 folgte der massive Einstieg in die alternativen Antriebe, begleitet durch die Transformation der Digitalisierung. Und jetzt verfolgt uns seit 2020 Corona. In diesem Jahr abermals verbunden mit einem weiteren Lockdown. Das bedeutet für das einzelne Autohaus ständige Anpassungen. Mit ihnen war eine zusätzliche Kraftanstrengung verbunden, die gerade unsere Mitarbeiter im Alltagsgeschäft besonders forderte. Dennoch haben die Händler im ersten Halbjahr durch die hohe Auftragsperformance, die sie im zweiten Halbjahr 2020 generiert haben, in Summe ein wirklich ordentliches Business gemeistert.
Chipkrise
Jetzt kam mit der Chipkrise eine weitere Herausforderung hinzu, die die Liefermöglichkeiten der Hersteller erheblich beeinträchtigt hat. Das wird nun zur Folge haben, dass wir 2021 bis zu eine Million weniger Autos als im guten Jahr 2019 in den Markt bringen werden. Und das ist gleichzusetzen mit einer Zäsur. Die Erträge im Neuwagengeschäft sind bei vielen Händlern von schwacher Ausprägung und so bilden das Gebrauchtwagengeschäft und der Service als Ertragsstabilisatoren das wichtige Rückgrat. Die Serviceumsätze wurden allerdings durch Homeoffice und rückläufigen Dienstfahren belastet. Weniger Neuwagen und weniger junge Gebrauchtwagen haben außerdem im Zeitversatz Folgewirkungen im Service. Wir kommen 2021 mit einem blauen Auge davon. So wie es seitens der Hersteller angekündigt wird, soll die Chipkrise bis ins zweite Halbjahr 2022 andauern. Diese Zeitspanne wird sicher vielfach zu einer weiteren einengenden Herausforderung. Es fehlen gleichermaßen Gebrauchtwagen, die ebenso für Zufluss im Service sorgen würden.
Herstellerdruck mit Konsolidierungswirkung
AH: Der ZDK fordert in diesen Zeiten von den Herstellern mehr denn je eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Handel. Wie ist Ihr Eindruck?
T. Peckruhn: Wir stellen generell fest, dass die Hersteller/Importeure die Gunst der Pandemie nutzen, um noch mehr Druck auf ihre Netze auszuüben, um gezielt eine weitere Konsolidierung herbeizuführen. Da gab es bei beispielsweise noch beim ersten Lockdown Hilfsprogramme. Aktuell lassen Hersteller und Importeure den Karren einfach laufen. Da gibt es schon vereinzelt individuelle Lösungen, aber nicht unisono für die Händlergesamtheit.
GVO 2022
AH: Was wird die GVO zum 1. Juni 2022 bringen?
T. Peckruhn: Bei den neuen Geschäftsmodellen, die die Hersteller/Importeure anstreben, kann die neue GVO eine wichtige Schutzfunktion sein. Damit werden einseitige Festlegungen seitens der Industrie verhindert. Denken sie an das echte und unechte Agentursystem. Ja, es gibt für den Markt notwendige Anpassungen. Denken sie an den Online-Vertrieb. Oder auch den Direktvertrieb der Hersteller inklusive weiterer Margenkürzungen. Da fallen die Vorschläge der Hersteller doch oft sehr einseitig aus. Doch es gilt die ganze Kette Hersteller, Handel, Kunde zu sehen. Wenn wir beispielsweise von der Preisführerschaft sprechen, wo künftig nur noch eine Stelle darauf Einfluss hat, ist sehr wohl zu sehen, ob das der Kunde so mitträgt. Oder denken sie an die Leasingrückläufer, die die Hersteller über andere Kanäle vermarkten wollen. Es wird zur Einführung der neuen Vertikal-GVO eine Übergangsfrist von einem Jahr geben. Die Frage wird sein, welcher Hersteller/Importeur aufgrund dessen seine Händlerverträge kündigen wird. Das werden aus unserer Sicht Einzelfälle sein.
Die neue Handelserfahrung
Wir befinden uns aktuell in einer Sondersituation, die ich im Autohandel seit 30 Jahren zum ersten Mal erlebe, dass weniger Autos produziert als nachgefragt werden. Wenn dann dem Handel immer vorgeworfen wird, dass im Neuwagengeschäft keine Erträge generiert werden können, dann treten die Händler gegenwärtig den Beweis an, dass dem nicht so ist. Die Händler können Autos mit Ertrag verkaufen und zwar so, dass die Kunden trotzdem zufrieden sind. Weniger ist mehr! Man sollte diese Pandemie-Erfahrung nicht einfach beiseiteschieben, sondern in gemeinsamen Gesprächen aufarbeiten.
ZDK 2030
AH: Der ZDK hat eingehend in mehreren Schritten seine Strategie 2030 erarbeitet. Worin liegen die Besonderheiten?
T. Peckruhn: Voran steht für mich die Forderung nach individueller Mobilität. Die Pandemie unterstreicht die Wichtigkeit dieser Forderung. Die Ersatzformen der individuellen Mobilität können diese nicht egalisieren. Denken sie an die Bahnstreiks, innerdeutsche Flüge u.a. Deshalb setzte ich in diesem Strategieentschluss für die Branche auf die Losung: "Wir können nicht nur Auto, wir können individuelle Mobilität!" Ich wünsche mir, dass sich unser Branchenverband künftig so aufstellt, dass wir die Dinge, die wir bereits in die Wege geleitet haben, denken Sie an "eCar-Service", die Projekte AÜK und SERMA, die vertriebliche Neuausrichtung im Agenturgeschäft, die digitale Prozessoptimierung, die wir über den Baustein "Diserva" begleiten, erfolgreich umsetzen und weiterentwickeln. Das trägt in unserer Zielsetzung dazu bei, die Sicherung der Beschäftigung, Wertschöpfung und Ertrag im Auto-Gewerbe weiter wirkungsvoll zu gestalten. Nutzenmehrung! Wir wollen damit auch die Wichtigkeit des stationären Handels hervorheben, die sich nicht auf eine reine Auslieferungsfunktion reduziert. Das beratungsintensive Produkt Auto braucht ein ganzheitliches Fundament. Es gilt die Stärken des Handels zu fördern. Wie müsste man sich die Pandemiebewältigung oder gar die Chiplieferfristen im Direktvertrieb vor Kunde vorstellen? Mit Kundenzufriedenheit hätte das wenig zu tun. Unsere Aufgabe ist es, dem Kunden stets die beste Lösung zu offerieren und dabei die erforderliche Flexibilität zu leben.
Autojahr 2022
AH: Wie sehen Sie das Autojahr 2022?
T. Peckruhn: Weiterhin sehr farbig! Im Pkw-Neuwagenbereich rechnen wir im ZDK mit 2,9 Millionen Einheiten, also rund 340.000 Einheiten mehr als 2021. Und im GW-Bereich mit rund 6,8 Millionen Pkw-Besitzumschreibungen. Das wären rund 100.000 Einheiten mehr als 2021. Das Überstehen der Mangelwirtschaft – je nach Marke – wird für manches Autohaus sicher zur besonderen Hürde bzw. Liquiditätsenge werden.
Dann gibt es aber noch weitere Bewegungen. Der Benzin-/Dieselpreis ist 2021 schon um 40 Cent pro Liter gestiegen und wird weiter ansteigen. Das Autofahren muss aber gerade für die zahlreichen Pendler bezahlbar bleiben. Von den anderen Energiepreisen bei Strom und Gas ganz zu schweigen. Die Plug-in-Hybride erfahren 2022 eine schärfere Regelung. Ab 6. Juli müssen Neuwagen mit weiteren neuen Fahrassistenzsystemen ausgerüstet werden, vom Rückfahr-, Spurhalte- und Notbremsassistenten bis hin zu einem Müdigkeitswarner. Sprich, die Neufahrzeuge erfahren eine weitere Teuerung. Mal sehen, wie deren Produktion mit bestehendem Chipmangel realisiert werden wird. Bis wann dann die Maskenpflicht – zwei an der Zahl – im Verbandskasten umzusetzen ist, werden wir sehen. Dagegen wird der Umtausch der alten Führerscheine sprichwörtlich weniger ins Gewicht fallen. Wir haben in unserer Branche im Verbund mit der Politik zwei Jahre Pandemie bewältigt und werden auch für das dritte Jahr nicht nur die nötige Veränderungsbereitschaft, sondern auch die nötige Flexibilität zur Meisterung aufbringen. Und die Hersteller haben die markante Aufgabe, die Mangelwirtschaft so früh wie möglich zu beseitigen und den Geist der Zusammenarbeit in dem Sinne zu gestalten, wie er im "Wiener-Peugeot-Urteil" für Europa juristisch klar entschieden wurde.
AH: Herr Peckruhn, herzlichen Dank für das Gespräch!