Ausgabe 11/2008: Sackgasse

GVO / Nach dem Evaluierungsbericht der EU-Kommission könnte die letzte Stunde der Kfz-GVO geschlagen haben. Händlerschutzbestimmungen nur noch im Zivilrecht. SackgasseVon Doris PlateDiskutiert wird es schon eine ganze Weile – jetzt verdichten sich die Anzeichen: Mit dem Auslaufen der Kfz-GVO im Jahr 2010 könnte diese Sonderregelung für unsere Branche ein für alle Mal zu Grabe getragen werden. Schirm-GVO heißt das neue Zauberwort. Diese Verordnung könnte dann für die grundsätzlichen Regelungen in unseren Vertriebs- und Serviceverträgen verantwortlich sein.Im jetzt vorliegenden Evaluierungsbericht der Generaldirektion Wettbewerb wird es ganz deutlich: Am Ende eines jeden Kapitels fragen die Verfasser, ob die beschriebene Wirkungsweise der aktuellen Kfz-GVO auch mit der Schirm-GVO möglich gewesen wäre.Um es vorwegzunehmen: Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Kfz-GVO keine "Kunststückchen" gebracht hat, die mit der allgemeinen Verordnung nicht auch hätten erreicht werden können. Rechtsanwalt Uwe Brossette von der Kölner Kanzlei Osborne Clarke hat sich den Bericht der EU-Kommission über die Wirkungsweise der jetzt geltenden Kfz-GVO ganz genau angesehen. Seine ausführliche Analyse können Sie im E-Paper und auf AUTOHAUS Online nachlesen (s. Kasten, S. 13). Die wichtigsten Fakten fassen wir hier zusammen:MehrmarkenvertriebAH: Herr Brossette, welche Entwicklung sieht die EU-Kommission im Bereich Mehrmarkenvertrieb und welche Schlüsse zieht sie daraus?U. Brossette: Ausgehend von der Tatsache, dass neue Automobilhersteller nur dann eine Chance im Europäischen Markt haben, wenn sie auf bereits etablierte Vertriebsnetze zurückgreifen können, bestätigt die Kommission in ihrem Bericht die Notwendigkeit des so genannten "Multi-Branding" für einen effektiven Inter-Brand-Wettwerb. Laut Kfz-GVO kann kein Hersteller verlangen, dass sein Händler sich ganz auf ihn konzentriert. Vertriebspartner müssen vielmehr das Recht haben, mindestens 70 Prozent der insgesamt eingekauften Fahrzeuge auch von anderen Herstellern kaufen zu dürfen (30-Prozent-Grenze). Laut Schirm-GVO kann ein Hersteller aber verlangen, dass ein Händler bis zu 80 Prozent nur mit seinen Produkten handelt.Nach den Antworten, die die Kommission auf ihren Fragebogen erhalten hat, geht sie davon aus, dass im derzeitigen Marktgeschehen keine Marktabschottungstendenzen bestehen. Dies sei aber nicht der 30-Prozent-Grenze zu verdanken, sondern dem generellen Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen, das auch in der Schirm-GVO steht. Neue Vertriebswege AH: Mit der Kfz-GVO von 2002 wurden Vorschriften eingeführt, die den Händlern die Möglichkeit geben sollten, sich freier zu entwickeln. Dazu gehört das Recht, sich auf den Verkauf zu spezialisieren, Niederlassungen einzurichten bzw. ihre Händlerverträge an andere Händler zu veräußern. Welche Trends zeichnen sich hier ab?U. Brossette: Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Vertriebslandschaft im Autobereich nach wie vor äußerst homogen ist. Fast alle Hersteller vertreiben ihre Fahrzeuge über ein gleichartiges System der quantitativ-selektiven Selektion. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Vertragsstandards generell fordernder geworden sind und den Händlern weniger Raum für die Entwicklung neuer Verkaufsformate lassen.Schließlich stellt die Kommission fest, dass nur wenige Händler von dem Recht zusätzliche Verkaufsniederlassungen zu eröffnen Gebrauch gemacht haben. Auch die Weitergabe der Serviceverträge (Subcontracting) wurde nur wenig angenommen. Vor diesem Hintergrund kann die Kommission keine Vorteile der Kfz-GVO erkennen, die über den Gehalt der Schirm-GVO hinausgehen würden. Außerdem stellt die Kommission fest, dass bislang keine Beschwerden hinsichtlich der Anwendung der relevanten Marktanteilsschwellen vorliegen. Darüber hinaus hätten sämtliche Hersteller aus ihren Verträgen die Exklusivitätsklauseln herausgenommen. Im Hinblick auf die Eröffnung zusätzlicher Verkaufsstellen sowie dem Subcontracting hatte die Kommission ebenfalls noch keinen Anlass zur Intervention. Die Kommission führt das darauf zurück, dass beide GVO-Regelungen betriebswirtschaftlich wenig attraktiv sind.Folglich hat die Beseitigung des Zwangsjackeneffektes mit Einführung der GVO 1400/2002 nicht den erwünschten Erfolg gebracht. In fast allen Fällen haben sich die Hersteller für den selektiven Vertrieb entschieden und bis auf eine Ausnahme keine eigenen Vertriebsmodelle entwickelt. Allerdings gilt im Hinblick auf die Marktanteilsgrenzen, dass diese sich als ein wirksames Mittel zur Förderung des Intra-Brand-Wettbewerbes erwiesen haben. Beispielhaft wird hier auf den Marktanteil des Volkswagen Konzerns in der Tschechischen Republik hingewiesen, der über 40 Prozent liegt. Volkswagen kann dort nur qualitativ selektieren, was im Hinblick auf den Intra-Brand-Wettbewerb weniger restriktiv ist. Die Kommission erachtet daher das Konzept der Marktanteilsschwellen als durchaus relevant und effektiv, um Flexibilität zu fördern und den Intra-Brand-Wettbewerb anzuregen. Die zweite Beobachtung, die die Kommission im Rahmen ihrer Marktbefragung gemacht hat, bezieht sich auf die abnehmende Händlernetzdichte. Sie hinterfragt insoweit folgerichtig, ob dies nicht zwangsläufig auch zu einer Abnahme des Intra-Brand-Wettbewerbes führen müsse, stellt dann allerdings auch fest, dass die Bereitschaft der Verbraucher, für einen günstigeren Preis auch längere Anfahrtswege in Kauf zu nehmen, erkennbar gestiegen sei. Vor diesem Hintergrund könnte argumentiert werden, so die Kommission, dass die Anzahl der Händlerstandorte noch erheblich weiter sinken müsste, bevor eine Auswirkung auf den Intra-Brand-Wettbewerb festzustellen sei. Solange die Händlermargen gering seien, könne nicht davon ausgegangen werden, dass im Rahmen des quantitativen Vertriebes der Markt zu Lasten der Verbraucher abgeschottet werde. Allerdings stellt die Kommission auch in Frage, ob die Marktanteilsschwelle für die quantitative Selektion auch zukünftig bei 40 Prozent liegen sollte. Denn die Erfahrungen insbesondere in den Märkten, in denen ein Hersteller diese Marktanteilsgrenze überschreitet und fortan ein flexibleres (qualitativ selektives) Vertriebsnetz unterhalten muss, zeige, dass insoweit Möglichkeiten bestehen, den Intra-Brand-Wettbewerb bei einer entsprechenden Senkung anzuregen. Welche Entscheidung die Kommission insoweit trifft, ist allerdings noch offen. HändlerschutzAH: Und was wird aus dem Händlerschutz?U. Brossette: Der Bericht macht keinen Hehl daraus, dass der Schutz vertraglicher Positionen dem Wettbewerbsrecht an sich fremd sei und vor diesem Hintergrund auch die Schirm-GVO keinerlei spezifische Maßnahmen enthalte, um die schwächere Vertragspartei zu schützen. Gleichwohl sieht die Kommission, dass der Hersteller die stärkere Position hat. Deshalb garantiert die Kfz-GVO dem autorisierten Händler bzw. der Werkstatt das Recht, seinen Vertrag an einen beliebigen anderen Händler- bzw. Werkstattkollegen veräußern zu dürfen, ohne dass insoweit die Zustimmung des Herstellers erforderlich wäre. Ferner ist für Händler- und Werkstattverträge eine Mindestlaufzeit von fünf Jahren bzw. eine Mindestkündigungsfrist von zwei Jahren vorgesehen. Jegliche Kündigung ist mit einer ausführlichen, objektiven und transparenten Begründung zu versehen. Schließlich steht es jeder Vertragspartei offen, ein Schiedsgericht anzurufen. Im Hinblick auf die Kündigungs-/Vertragsdauer-Regelungen hat sich die weit überwiegende Zahl der Hersteller für das Modell des Vertrages mit unbestimmter Laufzeit entschieden. Bei der Kommission seien insoweit aber keine formellen Beschwerden eingegangen, die zeigen würden, dass ein Hersteller das Kündigungsrecht in der Form missbrauchen würde, um wettbewerbsaktive Händler aus ihren Netzen auszuschließen. Die Kommission konnte nach eigenen Angaben zudem keine Fälle feststellen, in denen die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Begründung der Kündigung nicht eingehalten wurde. Im Hinblick auf die Schiedsgerichtsklausel habe die Kommission europaweit lediglich sieben Fälle feststellen können, in denen ein Schiedsrichter im Hinblick auf die Erfüllung von Verkaufszielen eingeschaltet wurde. Meinungsverschiedenheiten werden also eher vor Gericht ausgetragen.Die große Mehrheit der Händlerorganisationen hat im Rahmen der Befragung die Meinung bekundet, dass die Händlerschutzbestimmungen im Wesentlichen präventive Wirkungen gezeigt haben. In keinem einzigen Fall wurden aber konkrete Daten übermittelt, die diese Ansicht stützen. Im Hinblick auf den Investitionsschutz führt die Kommission weiter aus, dass die von der GVO vorgesehenen zwei Jahre ohnehin nicht im Ansatz ausreichen würden, die investierten Kosten wieder zu amortisieren. Insoweit sei das nationale Vertragsrecht, das in den meisten Mitgliedsstaaten gelte, wesentlich besser geeignet, die Position der Händler aus dem Gesichtspunkt des Treu und Glaubens zu schützen. Auf der anderen Seite vermutet die Kommission, dass im Nachgang zur radikalen Rationalisierung in den Herstellernetzen ab dem Jahr 2002 kaum noch Raum für weitere Kündigungen sei. Netzkündigungen würden zudem das Risiko beinhalten, auch effiziente Händler zu verlieren, die weniger leicht zu ersetzen seien. Andererseits hätten die gekündigten Händler so auch die Chance, mit Newcomer-Marken neu zu beginnen, um somit die negativen Folgen der Kündigung zu umgehen.Die Kommission kommt in ihrem Bericht zu dem Schluss, dass aufgrund des sehr vitalen Interbrand-Wettbewerbes es nicht mehr gerechtfertigt erscheint, spezielle Händlerschutzbestimmungen aufrechtzuerhalten. Für den Schutz der Händlerinvestitionen ist nicht das Wettbewerbsrecht das richtige Instrument, sondern ausschließlich das Zivilrecht. Zudem würden lang laufende Händlerverträge die Gefahr in sich bergen, dass Newcomer dem Netzwerk schwieriger beitreten können. gvo DOSSIERDie ausführliche Analyse des Die ausführliche Analyse des GVO Evaluierungsberichts von RA Uwe Brossette können Sie im AUTOHAUS E-Paper oder im Dossier von AUTOHAUS Online www.autohaus.de/gvo2010 nachlesen. Dieses Dossier "GVO – Was Sie wissen müssen" enthält Ereignisse und Diskussionen zur Zukunft der GVO seit 1.1.2008.

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