Ausgabe 11/2008: Richtungswechsel

Gebrauchtwagen / Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Rücktrittsbefugnis wegen Unfalleigenschaft eines Gebrauchtfahrzeugs RichtungswechselAutohaus Juristen Rechtsanwälte G. Haug & PartnerEs gehört zum täglichen Geschäft eines jeden Händlers, dass er ein Gebrauchtfahrzeug herein-nimmt – sei dies als "echter" Ankaufs- und Weiterverkaufsfall oder als Inzahlungnahme im Zusammenhang mit einem Neuwagengeschäft. Oft erhebliche Zeit nach dem Weiterverkauf wird der Käufer mit der Behauptung wieder vorstellig, es habe sich jetzt herausgestellt, dass das Fahrzeug ein Unfallwagen sei. Der Käufer erklärt dann den Rücktritt und verlangt die Rückab-wicklung des Kaufvertrages. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteilen vom Oktober 2007 und März 2008 – unterschiedlich – darüber befunden, inwieweit der Gebrauchtwagenkäufer wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten durfte. Ein Kfz-Händler verkaufte Mitte 2005 ein 6 Jahre altes Gebrauchtfahrzeug mit einer Laufleistung von ca. 55.000 km. Der Kaufpreis betrug 9.000 €. Der Verkäufer hatte sich hinsichtlich einer Unfallfreiheit nicht erklärt. Im Mai 2005 erklärte der Fahrzeugkäufer die Anfechtung des Kaufvertrages mit der Begründung, das Fahrzeug habe an der linken Tür und dem linken hinteren Seitenteil einen Karosserieschaden gehabt. Der Händler widersprach der Anfechtung und erklärte, er sei zur Nachprüfung und Nachbesserung bereit. Soweit ein Mangel an der Tür vorhanden sei, werde er den Austausch veranlassen. Der Käufer erklärte neben der Anfechtung den Rücktritt vom Kaufvertrag und ließ sich auf eine Nachbesserung nicht ein.BGH-Urteil vom 10.10.07Das Landgericht stellte in erster Instanz fest, dass die Rückabwicklungsklage des Käufers abzuweisen sei. Der Händler habe nämlich nicht über die Freiheit von Unfallschäden getäuscht. Der Käufer habe nur erwarten dürfen, über erhebliche Unfallschäden aufgeklärt zu werden. Das Fahrzeug habe jedoch keinen über einen Bagatellschaden hinausgehenden Unfallschaden erlitten. Der BGH entschied in letzter Instanz anders, der Käufer konnte von dem Vertrag zurücktreten, weil das Fahrzeug mangelhaft war. Der BGH führt hierzu Folgendes aus: Bei einem Gebrauchtwagen ist, sofern keine besonderen Umstände hinzutreten, jedenfalls der normale alters- und gebrauchsbedingte Verschleiß üblich und hinzunehmen. Welche Beschaffenheit üblich ist, hängt neben dem Alter und der Laufleistung des Fahrzeuges z. B. von der Anzahl der Vorbesitzer und der Art der Vorbenutzung ab. Für das, was der Käufer erwarten darf, kann ferner der Kaufpreis oder der dem Käufer erkennbare Pflegezustand des Fahrzeugs von Bedeutung sein. Bei Fahrzeugbeschädigungen kann es für die Unterscheidung, ob es sich um einen möglicherweise nicht unüblichen und daher hinzunehmenden "Bagatellschaden" oder um einen außergewöhnlichen, nicht zu erwartenden Fahrzeugmangel handelt, auch auf die Art des Schadens und die Höhe der Reparaturkosten ankommen. Als Bagatellschäden erkennt der BGH insgesamt nur ganz geringfügige, äußere Lackschäden an, nicht dagegen Blechschäden, auch wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und der Reparaturaufwand nur gering ist. Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob das Fahrzeug nach dem Unfall fachgerecht repariert wurde oder nicht. Allein die Tatsache, dass das Fahrzeug bei einem Unfall einen erheblichen Schaden erlitten hat, stellt einen Sachmangel im Rechtssinne dar. Sofern in diesem Zusammenhang also vom Vorliegen eines Sachmangels auszugehen ist, ist allerdings dennoch die Frage nicht beantwortet, ob auch der Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt werden kann. Es gilt für den Käufer nämlich die Hürde des § 323 Abs. 5 BGB zu überwinden. Hiernach ist ein Rücktritt nach dem Gesetzestext dann ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung des Verkäufers "unerheblich" ist. Überschreitet also ein in der Vergangenheit liegender Unfallschaden, der sich heute gegebenenfalls in der Werthaltigkeit des Fahrzeuges gar nicht mehr auswirkt, die geforderte Zumutbarkeitsschwelle?In dem der Entscheidung vom 10.10.07 zugrunde liegenden Fall urteilte der BGH, dass ein Rücktrittsrecht des Käufers bestand. Weder bedurfte es einer vorangehenden Fristsetzung zur Nacherfüllung durch Nachbesserung der nicht fachgerecht ausgeführten Reparaturarbeiten, weil der Mangel nicht behebbar war. Schließlich lässt sich der Charakter des Fahrzeugs als Unfallwagen durch eine nachträgliche Reparatur oder einen Teilaustausch nicht korrigieren. Ferner war eine Ersatzlieferung bei dem vorliegenden Gebrauchtwagenkauf nicht möglich, wie dies bei Gebrauchtwagengeschäften grundsätzlich der Fall ist. Der BGH sah bereits die bloße Lieferung des Unfallfahrzeuges als nicht unerhebliche Pflichtverletzung, so dass dem durch den Käufer erklärten Rücktritt auch nicht die Unzumutbarkeitsschwelle des § 323 Abs. 5, S. 2 BGB entgegenstand. Der BGH befasste sich also nicht damit, inwieweit aufgrund eines in der Vergangenheit liegenden Unfalls zum heutigen Zeitpunkt überhaupt noch ein messbarer Schaden im Rahmen einer Wertminderung vorhanden war. Das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts wurde daher aufgehoben, der Händler in vollem Umfange verurteilt. BGH-Urteil vom 12.03.08Der BGH erkannte offensichtlich sehr schnell, dass das Urteil vom Oktober 2007 einer Neubewertung bedurfte. Bereits den nächsten vergleichbaren Fall zog es für eine Korrektur der Rechtsprechung heran. Bei diesem Fall handelte es sich um einen drei Jahre alten Gebrauchtwagen mit einer Laufleistung von ca. 54.000 km. Der Kaufpreis betrug 24.990 €. Der Kfz-Händler verkaufte hier im Mai 2004 an einen Verbraucher. Vor dem Verkauf hatte der Händler das Fahrzeug in einer fremden Werkstatt einer Inspektion unterziehen lassen. Ein Unfallschaden wurde hier nicht entdeckt. Demgemäß lag ein arglistiges Verschweigen des Unfallschadens auf Seiten des Händlers nicht vor. Als der Käufer das Fahrzeug im August 2004 weiterverkaufen wollte, stellte sich heraus, dass der Wagen am Heck einen Unfallschaden erlitten hatte, bei welchem die Heckklappe beim Auffahren auf ein Garagentor beschädigt worden war. Daraufhin erklärte der Käufer den Rücktritt vom Kaufvertrag und klagte auf Rückabwicklung. Im Prozess wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dieses Gutachten kam zum Ergebnis, dass der Heckschaden nicht ordnungsgemäß repariert worden war. Die Kosten einer ordnungsgemäßen Reparatur wurden durch den Sachverständigen mit 1.020 € netto festgelegt, der Minderwert aufgrund des Unfalls zum Zeitpunkt des Verkaufes auf 100 €. Dieser Festlegung des Minderwerts widersprach der Kläger, er vertrat die Auffassung, der Minderwert betrage 3.000 €. Das Landgericht und Oberlandesgericht gaben in erster und zweiter Instanz dem Käufer Recht. Der BGH sah die Sache in der Revisionsinstanz anders und hob die Vorinstanzen auf.Zwar kam der BGH auch in dieser Entscheidung zu dem Ergebnis, dass ein Sachmangel im Rechtssinne dem Grundsatz nach vorliegt. Der BGH blieb dabei, dass nur Bagatellschäden von einem Sachmangel ausgenommen sind und solche Bagatellschäden nur ganz geringfügige äußere Lackschäden darstellen können, nicht dagegen Blechschäden, selbst wenn sie keine weitergehenden Folgen hatten und der Reparaturaufwand nur gering war. Jedoch gab der BGH der Rechtsproblematik der vorliegenden Art eine neue Wendung: Die Eigenschaft als Unfallwagen kann sich bei dem streitgegenständlichen Gebrauchtwagen nach Art des Unfallschadens allein in einem merkantilen Minderwert auswirken. Vorliegend hatte der Sachverständige den Minderwert mit lediglich 100 € begutachtet, der Käufer den merkantilen Minderwert mit 3.000 € behauptet. Zieht man die Angaben des Sachverständigen als zutreffend heran, würde der Minderwert weniger als 1% des Kaufpreises betragen, so dass nach Auffassung des BGH die Pflichtverletzung des Verkäufers "zweifellos unerheblich" wäre. Die gesetzlich vorgeschriebene Erheblichkeitsschwelle in § 323 Abs. 5 BGB wäre damit nicht überschritten mit der Konsequenz, dass der Käufer nicht wirksam vom Vertrag zurücktreten kann. Merkantiler MinderwertDer BGH in seiner Entscheidung vom 12. März 2008 wörtlich: "Soweit der Senat zuletzt im Urteil vom 10. Oktober 2007, ohne die Frage zu vertiefen, davon ausgegangen ist, dass bei einem nicht behebbaren Mangel wie dem hier in Rede stehenden – stets – eine erhebliche Pflichtverletzung gegeben ist, hält der Senat hieran nach erneuter Überprüfung nicht mehr fest." Durch diese Sichtweise ist ein Käufer auch nicht etwa rechtlos gestellt. Selbst wenn er nicht vom Vertrag zurücktreten kann, kann er dennoch Minderung oder Schadensersatz geltend machen. Hier wäre allerdings eine deutliche Begrenzung auf den begutachteten merkantilen Minderwert anzunehmen. Nachdem die Vorinstanzen über die Tatsachenfrage, wie hoch der merkantile Minderwert tatsächlich anzusetzen ist (100 oder 3.000 €), nicht entschieden hatten, wurde die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

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