Gebrauchtwagen: Preisschock, Dieselkrise und die Truthahn-Illusion

Jeder GW-Professional kennt die Situation: Der Geschäftsführer oder Verkaufsleiter fragt den erfahrenen GW-Bestandsverantwortlichen, warum ein Fahrzeug bereits seit 180 Tagen auf dem Hof steht, und die erste Antwort lautet in etwa: "Am Preis kann es nicht liegen, wir sind mit 1.000 Euro Abstand in den Börsen auf Platz 1." Bleibt der Verkaufserfolg trotz motivierter Verkäufer, perfekt präsentierter Ware und vorderstem Börsenplatz aus, neigen die meisten Verantwortlichen des Weiteren dazu, dies mit fehlender Nachfrage zu erklären: "Bei diesem GW benötigen wir einfach etwas mehr Geduld, da gibt es im Moment keine Nachfrage." Dieses Argument ist generell mit großer Vorsicht zu genießen, immerhin tummeln sich auf den virtuellen Börsenplätzen täglich mehrere Millionen Besucher online, die auf das vermeintlich so gute Angebot stoßen müssten. Ausbleibender Verkaufserfolg sollte daher nicht zwangsläufig mit nicht vorhandenem Nachfragepotential gleichgesetzt werden. Als Schwabe erlaube ich mir hier oft die scherzhafte Bemerkung, dass es ja immerhin gut zehn Millionen meiner "Landsleute" gibt, die ein Cabrio auch im November kaufen würden, wenn denn der Preis so unschlagbar ist wie suggeriert. Der angebotsinduzierte Preisschock Viel größer ist bei diesem Erklärungsansatz allerdings die Gefahr, dass die potentiellen Gefahren auf der Angebotsseite außer Acht gelassen werden. Der Geschäftsführer eines meiner langjährigen Mandanten hat es einmal so formuliert: "Früher oder später kommt der Preisschock." Mit Letzterem ist gemeint, dass im Markt immer wieder Situationen auftreten, in denen sich das Fahrzeugangebot von einem auf den anderen Tag radikal verändert. Auslöser dafür ist, dass neue Ware zu neuen EK-Konditionen das bestehende Preisniveau massiv unterbietet. Als Paradebeispiel hierfür sei der regelmäßig auftretende Fall geschildert, dass ein Hersteller auf seiner GW-Händler-Plattform eine baureihenspezifische Bestandsbereinigung in Form von Sonderkonditionen vornimmt, die weit unter den bisherigen Bezugspreisen liegen. Der Händler, der dann schon "clean" im Bestand ist und keine Fahrzeuge mehr zu den alten Konditionen im Bestand hat, profitiert davon und gibt den Preisvorteil schnell an die Kunden weiter; auf die Bestandsware der anderen Händler drohen hingegen durch eben dieses Verhalten hohe Verluste. Ist der Stein einmal ins Rollen gebracht, stellt sich das vorherige Preisniveau so gut wie nie wieder ein. Ein solcher Preisschock darf selbst bei den gerne zitierten "Exoten" nicht ausgeschlossen werden. Die Grafik zeigt den realen Fall eines im Januar 2017 verkauften Vorführwagens (Mercedes C450). Dabei wurde das Fahrzeug ab dem unternehmensintern vereinbarten Abverkaufsziel von 120 Tagen preislich stets auf Position 1 in allen relevanten Börsen geführt, durch kleinere Anpassungen wurde immer wieder nachjustiert. Den ausbleibenden Verkaufserfolg erklärte man durch die dünne Nachfrage bzw. die Besonderheit des Fahrzeugs. Die Bedrohung durch neue Ware wurde aus denselben Gründen als unrealistisch eingeschätzt. Am Tag 184 kam dann der angebotsseitige Preisschock: Einige neue und quasi identische Fahrzeuge wurden vom Hersteller zu Sonderkonditionen in den Markt "gedrückt", das Marktniveau fiel von einem Tag auf den anderen um ca. zehn Prozent. Verkauft wurde das Fahrzeug schließlich nach 215 Tagen mit einem Rohertrag von minus 15,2 Prozent bzw. minus 6.300 Euro. Ausnahmezustand Dieselkrise In der aktuellen Dieselkrise besteht vor allem bei der besonders preissensiblen Geschäftsart - junge GW aus freiem Zukauf - die Gefahr, die oben beschriebenen Effekte zu unterschätzen. Die Hoffnung vieler GW-Händler besteht darin, dass die alternden Bestände an Diesel-Fahrzeugen sich irgendwann durch politische Klarheit und wiederbelebte Nachfrage trotz hoher Standzeiten mit moderaten Verlusten abbauen lassen. Die Angebotspreise der Fahrzeuge auf dem ersten Platz der Internetbörsen scheinen nach der ersten starken Marktnivellierung Mitte des Jahres langsamer zu fallen, die meisten halten still, aber auch nur wenige verkaufen ihre Langsteher erfolgreich. Zudem halten sich fast alle Händler beim Zukauf von Diesel-GW gerade tunlichst zurück, so dass wenig neue Ware auf den eigenen Hof und auch in den Gesamtmarkt einfließt. Die überfällige Preiserosion der Bestandsware tritt dadurch noch nicht offen zu Tage. Der Preisschock ist damit aber beileibe nicht gebannt, er wird nur herausgezögert. Die Pipeline der jungen gebrauchten Fahrzeuge beim Hersteller (Mietrückläufer, Dienstwagen oder Großkunden-Fahrzeuge) füllt sich in der Zwischenzeit aber immer weiter auf. Der Hersteller seinerseits versucht die Ware nach Möglichkeit noch zurückzuhalten, um die Restwerte nicht gänzlich zu ruinieren. Das geht so lange "gut", bis an irgendeiner Stelle der Absatzdruck zu groß wird und der Damm bricht: Dann drohen für die Diesel-GW die Einkaufspreise über Sonderkonditionen für die Händler so günstig zu werden, dass der beschriebene Effekt des Preisschocks mit seiner ganzen Wucht einschlägt. Vorsicht vor der Truthahn-Illusion! In der Psychologie spricht man diesbezüglich von der Truthahn-Illusion: Das Tier wird vor Weihnachten gefüttert und gemästet und in dem Moment, in dem es sich am sichersten fühlt, wird es geschlachtet. Die Illusion des Truthahns besteht darin, dass er Vertrauen aufbaut und sich in Sicherheit wähnt, da er den eigentlichen Grund der Entwicklung nicht kennt. Bezogen auf GW-Geschäft und Dieselkrise: Leiten Sie keine allzu große Sicherheit aus vordersten Börsenplätzen und einem womöglich temporär stabilen Preisniveau ab, solange Ihr Fahrzeug nicht verkauft ist. Die wahre Ursache kann auch sein, dass das Preisniveau im gesamten Markt zu hoch ist. Die Natur des Preisschocks hingegen ist es nun einmal, unerwartet zuzuschlagen. Spürbare pauschale Preisreduzierung Beim Thema Abverkaufsziele geht es daher nicht nur um das Vermeiden standzeitbedingter Schäden oder um die Kosten der Bestandsfinanzierung. Vielmehr handelt es sich um eine angebotsbezogene Räson, die Falle des Preisschocks zu vermeiden. Um diese Abverkaufsziele einzuhalten, kommt der GW-Profi in Einzelfällen also selbst bei Börsenplatz 1 um pauschale Preisreduzierungen nicht herum. Die Größenordnung sollte dabei stets spürbar ausfallen, als Daumenregel eignet sich ein Wert von mindestens drei Prozent des bisherigen Angebotspreises. Kurzfassung In der aktuellen Dieselkrise besteht die Gefahr hoher Verluste durch einen angebotsinduzierten Preisschock. Um diese Abverkaufsziele einzuhalten, kommt der konsequente GW-Profi in Einzelfällen selbst bei Börsenplatz 1 um pauschale Preisreduzierungen nicht herum. Prof. Dr. Stefan Rostek lehrt als Professor für Automobilwirtschaft, insbes. Automobilhandel an der HfWU Nürtingen-Geislingen. Er ist zudem geschäftsführender Gesellschafter der Rostek Consulting GmbH.

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