Ausgabe 19/2011: Multikulti-Offensive

Multikulti-OffensiveEthnomarketing E Der freie Händler Eurocar in Landshut erschloss sich über die Jahre Migranten als wichtige Kundengruppe und stimmt sein Marketing konsequent auf deren Bedürfnisse und Lebenswelten ab. Von Kerstin HadrathDeutschland ist ein Einwanderungsland. Man mag zu diesem Sachverhalt stehen, wie man will, Fakt ist jedoch, dass die über 16 Millionen in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund gesellschaftliche Relevanz besitzen – und immer mehr auch wirtschaftliche. Gerade die Nachkommen der ab 1950 als Gastarbeiter ins Land gekommenen Türken, Italiener und Griechen verfügen heute über ein beachtliches finanzielles Potenzial. „Die 3. Generation der Einwanderer betrachtet Deutschland als Heimat, ist gut integriert und genießt einen gewissen Wohlstand“, beschreibt Hasan Kiskanc, Geschäftsführer der Eurocar Landshut GmbH, eine seiner wichtigsten Kundengruppen.Kiskanc selbst ist das Paradebeispiel gelungener Integration und erfolgreichen Unternehmertums. 1991 gründete der türkisch-stämmige gelernte Kfz-Mechaniker in der Nähe des niederbayrischen Mühldorf seinen Autohandelsbetrieb. Schon drei Jahre später zog das Unternehmen nach Landshut um, da die Wachstumschancen am alten Standort ausgereizt waren. 2001 stieg Bruder Ayhan Kiskanc nach seinem BWL-Studium als zweiter Geschäftsführer mit ein, und gemeinsam gründeten die Unternehmer die Eurocar Landshut GmbH. Ein weiterer Standortwechsel erfolgte 2009 mit dem Umzug in die Ergolfinger Straße. Auf dem 23.000 qm großen Gelände siedelten die Kiskanc-Brüder nicht nur ihr großzügig gebautes Autohaus samt separater Werkstatt an, sondern überzeugten auch den Vermieter Europcar, einen Autoteile-Großhandel, einen Kfz-Sachverständigen und ein italienisches Restaurant von der attraktiven Lage. Um noch vorhandene Freiflächen zu nutzen, sucht man an der Ergolfinger Straße weiter nach interessierten Partnern. Der einladend gestaltete Gastraum des Restaurants „Pitlane“ ist Hasan Kiskancs zweites Büro. Hier führt er fast alle wichtigen Gespräche, egal ob mit Mitarbeitern oder Kunden. „Wir machen das auf unsere Art und besprechen Problematisches bei einem Kaffee. Das entspannt die Situation meist enorm“, erläutert Kiskanc das etwas ungewöhnliche Vorgehen. Die emotionale Seite der Kunden und Mitarbeiter anzusprechen gehört in Landshut zur Unternehmensphilosophie. „Der Faktor Mensch ist wichtig“, lautet Kiskancs Credo. Vom Du bis zur UmarmungMit aufrichtigem Interesse am Menschen ist es den Inhabern der Eurocar Landshut GmbH über die Jahre gelungen, eine Zielgruppe als feste Kundenklientel zu gewinnen, die in anderen Betrieben nicht unbedingt im Zentrum der Bemühungen steht. Zwischen 60 und 70 Prozent der 17.000 Bestandskunden in Landshut sind nichtdeutscher Herkunft. Den größten Anteil stellen Kunden türkischer und russischer Nationalität und Migranten aus den Balkanländern. Die bunte Mischung auf Kundenseite findet ihr Pendant bei den 35 Mitarbeitern des Autohauses. Über zehn Nationalitäten und Sprachen sind vertreten. Einen Mitarbeiter vorzufinden, der ihre Muttersprache beherrscht, baut bei den meisten Migranten Vorbehalte und Ängste ab. Ein weiteres wichtiges Element, um gleich beim ersten Kontakt eine Vertrauensbasis zu schaffen, ist das konsequente Duzen. Die Anrede mit dem Vornamen wird bei wichtigen und langjährigen Kunden auch gern mit einer Umarmung zur Begrüßung ergänzt. Um die Befindlichkeiten der deutschen Kundschaft und deren zurückhaltendere Art zu respektieren, verwenden alle Mitarbeiter ihnen gegenüber jedoch nach wie vor die Höflichkeitsanrede „Sie“. Die unterschiedlichen Mentalitäten berücksichtigt das Autohaus auch im Verkaufsgespräch. Halten sich deutsche Kunden durchschnittlich rund 20 Minuten im Showroom auf, können es bei Interessenten anderer Nationalitäten leicht anderthalb Stunden werden. Auf solche längeren Besuche ist man bei Eurocar eingestellt und nimmt sich gern Zeit, auch wenn Stammkunden unangemeldet vorbeikommen, um einfach nur Hallo zu sagen und zu plaudern. Da in den südlichen Ländern der Familienverbund eine große Rolle spielt, bringen potenzielle Autokäufer gern mehrere Angehörige mit zum Beratungsgespräch. In den Büros der Verkäufer, die vorrangig nichtdeutsche Kunden betreuen, stehen deshalb nicht nur zwei Besucherstühle, sondern vier.Zuhören bringt EmpfehlungenAuch im Marketing setzt Hasan Kiskanc auf eine Mehrsprachen-Strategie. „Glückwunsch-SMS zu Feier- oder Geburtstagen verschicken wir auf Türkisch. Aber unsere Angebotsflyer, die in Restaurants oder Kantinen ausliegen, formulieren wir in Deutsch, da die dritte Migrantengeneration diese Sprache fließend beherrscht und sich mit der aus den Onlinebörsen bekannten deutschen Begriffen leichter tut als mit den türkischen Übersetzungen.“ Im persönlichen Gespräch dominiert dann aber meist die Muttersprache. Auch die Vorträge, zu denen die Kiskanc-Brüder regelmäßig in ihr Autohaus einladen, werden auf Türkisch gehalten. Sie drehen sich um breitgefächerte Themengebiete, wie die Wirtschaftslage in Deutschland, die geplante dritte Startbahn am Münchner Flughafen oder die Ausbildungsmöglichkeiten für Schulabgänger. Autos kommen nur am Rande, quasi als Kulisse vor, doch Hasan Kiskanc weiß aus Erfahrung, dass sich soziales Engagement, Reden und Zuhören irgendwann in Unternehmenserfolg auszahlen. Deshalb sponsert die Eurocar Landshut GmbH nicht nur Vereine der Umgebung, sondern leistet sich auch einen Außendienstler, der die Kunden in Deutschland und Österreich nicht nur in Belangen rund ums Auto betreut, sondern sich als Ansprechpartner für ihre Sorgen und Nöte versteht. Der Strom an Neukunden speist sich aber nicht nur aus der Arbeit des Außendienstes, sondern zu einem nicht unbedeutenden Teil auch aus den Empfehlungen der bestehenden Kundschaft. Um diese wertvollen Multiplikatoren zu hegen und zu pflegen, lassen Kiskanc und sein Team ihnen eine besonders zuvorkommende Behandlung angedeihen. „Wir rollen Kunden, die uns an Freunde und Bekannte weiterempfehlen, den roten Teppich aus und beziehen sie verstärkt in unser Marketing ein. Sie fühlen sich dadurch nicht nur besonders wertgeschätzt, sondern steigen auch in der Achtung ihres sozialen Umfelds“, erklärt Hasan Kiskanc.Meinungsbildner erreichen So sehr der Landshuter Handelsbetrieb von Kunden nichtdeutscher Herkunft profitiert, so wenig verklärt ihr Geschäftsführer seine bedeutendste Zielgruppe. „Migranten sind schwierige Kunden, die meist intensiv und temperamentvoll verhandeln. Will man sie wirklich differenziert ansprechen, muss man sich viel Wissen über die nationalen und religiösen Befindlichkeiten aneignen. Ein falscher Satz kann alles verderben.“ Andererseits kommen den Mitarbeitern des Autohauses die verschiedenen Mentalitäten auch durchaus zugute. Migranten haben beispielsweise ein viel entspannteres Verhältnis zu Geld als die meisten deutschen Autokäufer, weshalb der Punkt Finanzierung im Verkaufsgespräch keine große Hürde darstellt. Auch das Gewicht, dass Meinungsbildnern in Familie, Vereinen oder Gemeinden zukommt, erweist sich für den Händler als Vorteil. „Diese Meinungsbildner werden beim wichtigen Thema Autokauf gern um Rat gefragt. Wenn wir sie überzeugen können, sind weitere Geschäfte fast ein Selbstläufer“, beschreibt Hasan Kiskanc das Rat- und Empfehlungssystem. Rund 1.400 Fahrzeuge verkauft sein Unternehmen pro Jahr, den Löwenanteil machen Gebrauchtwagen aus, EU-Neuwagen spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die Strategie, Marketing und Geschäftsphilosophie auf nichtdeutsche Kunden auszurichten und damit „komplett in die Offensive zu gehen“, wie Hasan Kiskanc sagt, erweist sich nicht erst im 20. Jahr des Bestehens als voller Erfolg. Zumindest bei Eurocar in Landshut gibt es am Konzept Multikulti keinerlei Zweifel. z Lesen SIe hier......auf welche Dinge Kunden nichtdeutscher Herkunft beim Autokauf Wert legen und wie die Eurocar Landshut GmbH sich darauf einstellt.KurzfassungDas freie Handelsunternehmen Eurocar Landshut GmbH hat sich konsequent auf die Bedürfnisse und Mentalitäten seiner nichtdeutschen Kunden eingestellt: 1. konsequentes Duzen im persönlichen Gespräch2. Sammeln möglichst vieler Kundeninformationen, auch zu Religion und Vereinszugehörigkeit, um Fettnäpfe zu umgehen und Ansprache zu verfeinern 3. Ausstattung der Verkäuferbüros mit vier Besucherstühlen für Beratungsgespräche mit Familienmitgliedern4. umgangssprachlich formulierte Glückwünsche etc. auf Türkisch, fahrzeugbezogene Werbung auf Deutsch5. persönlicher Kontakt zu Vereinen, Gebetshäusern, Gemeinden durch deutsch-/ türkisch sprachigen Außendienstmitarbeiter6. Vortragsveranstaltungen im Autohaus mit für Migranten interessanten Themen

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