Marketing in China: Mit Kunden chatten heißt Kunden binden

Als mobile IM-Dienste sind in Deutschland vor allem WhatsApp und Facebook Messenger bekannt. Das chinesische Pendant dazu heißt We-Chat. Viele wissen hierzulande, dass man via WhatsApp mit Verwandten und Freunden sehr gut chatten kann. Dass WhatsApp auch fürs Business, insbesondere für Marketingzwecke eingesetzt werden könnte, gilt bei uns heute jedoch noch als abwegig. Ganz anders die Situation in China. We-Chat wird in China überall für Unternehmensaktivitäten eingesetzt, auch in der Automobilbranche inklusive der Autohäuser (in China heißt Autohaus "4S Car Shop". 4S steht für Sale, Spare part, Service und Survey). Für Europäer ist es kaum vorstellbar, dass 64,7 Prozent der Unternehmen, die 2015 Online-Marketing in China trieben, nach der Statistik von CNNIC (China Internet Network Information Center) IM-Dienste als die Hauptmarketingkanäle und 75,3 Prozent der Unternehmen, die 2015 mobiles Online-Marketing in China trieben, den IM-Dienst WeChat als den Hauptmarketingkanal nutzten. We-Chat hat mittlerweile eine monatliche Anzahl aktiver Nutzer (MAU) von über 700 Millionen. WeChat ist ein fester Bestandteil des Lebens vieler Chinesen geworden. Einsatz von WeChat in Autohäusern Bisher mussten ambitionierte Autohersteller und -häuser eigene Apps entwickeln, um differenzierten Service für VIP-Kunden anzubieten und sie langfristig zu halten. Die Entwicklungs- und Vertriebskosten dafür sind sehr hoch - für kleinere Autohäuser zu hoch. Kunden müssen solche Apps extra herunterladen und installieren. Auch die Erreichbarkeit der Apps ist eingeschränkt. Chinesische Händler denken heute nicht an Apps, sondern an die Integration von WeChat in ihre eigenen Anwendungen. Dank der umfangreichen Funktionen und offenen Schnittstellen von WeChat kann jeder diese Arbeit im Grund genommen ohne fremde Hilfe selbst erledigen. Der Kostenvorteil liegt auf der Hand. WeChat bietet Unternehmen das sogenannte öffentliche WeChat-Konto und das Unternehmens-Konto an, mit denen sie auf WeChat Angebote präsentieren, Dialoge mit Kunden führen, Marketingkampagnen treiben, Kaufverhalten von Kunden analysieren und Kundenbetreuung durchführen können. Der Bezahldienst "WeChat Pay" ermöglicht Unternehmen, ein lokales Business-Ökosystem abzubilden, in dem alle Unternehmensmarketing-Tätigkeiten durchgeführt werden können, ohne das System zu verlassen. Bis Ende 2015 hat der Fahrzeugbestand in China fast 180 Millionen erreicht. Der Aftersales-Market ist enorm. Wie viele Autohäuser es in China gibt, darüber existieren keine fundierten Daten. Aber es sind viele. Der Wettbewerb ist groß, die Renditen im Autoverkauf sind gering. Autohäuser verdienen hauptsächlich im Aftersales-Geschäft. In der Vergangenheit kehrten aber viele Kunden nach dem Autokauf nicht mehr zurück in die Autohäuser. Sie suchten sich günstigere Werkstätten. Autohäuser haben kaum die Chance, mit traditionellen Marketingmethoden (potenzielle) Kunden gezielt anzusprechen und ihnen passenden Service anzubieten. WeChat Funktionsvielfalt WeChat hat diese Situation total verändert. Jedes Autohaus ist nun in der Lage, einfach ein öffentliches WeChat-Konto einzurichten, statt aufwendig eine eigene App zu entwickeln. Verkäufer können ihre (potenziellen) Kunden über WeChat "zu Freunden" machen. Diese können wiederum Follower des öffentlichen WeChat-Kontos des Autohauses sein. Über Content-Marketing kann ein Autohaus seinen Kunden Mehrwerte anbieten. Kunden fühlen sich direkt angesprochen. Das schafft Kundennähe und -bindung. Bei jedem Kauf eines Kunden im Autohaus werden auch die Kaufdaten in Verbindung mit seiner We-Chat-ID gespeichert. WeChat bietet Autohäusern im Hintergrund ein System zu Follower-Management und -Analyse, z. B. sortiert nach dem Typ der gekauften Autos, nach den demographischen Daten oder nach dem Standort des Kunden. Über solche Daten können Autohäuser heute einzelne Kunden individuell ansprechen, sie z. B. an eine demnächst fällige HU erinnern, sie über eine günstige Serviceaktion oder ein besonderes Neuwagen-Angebot informieren. Über das öffentlichen WeChat-Konto kann ein Autohaus Rabattaktionen starten oder Gutscheine/Coupons für Ersatzteile ausgeben, die (potenzielle) Kunden online erwerben und offline im Autohaus einlösen können. Über solche Aktionen werden Kunden ins reale Autohaus gelockt (O2O-Businessmodell). Dort können sie dann von den Leistungen und Services des Autohauses überzeugt werden. Die Bezahlung für Ersatzteile, Reparaturen oder auch den Autokauf kann über den WeChat-Bezahldienst "WeChat Pay" abgewickelt werden. Bei jeder Zahlung über "WeChat Pay" geben Kunden ihre Daten preis, die vom Autohaus für spätere Marketingkampagnen verwendet werden können. Im Jahr 2015 hat China Auto Dealers Chamber of Commerce zusammen mit der chinesischen Firma SCRM eine Umfrage über die Anwendung von WeChat in chinesischen Autohäusern gemacht. Dabei erhielt man insgesamt 3.971 ausgefüllte Fragebögen von Autohäusern. Von diesen hatten nur ca. 3 Prozent WeChat noch nicht in das Geschäft eingeführt! Wie die Tabelle zeigt, wurde WeChat sowohl für den Verkauf als auch für den Aftersales-Service eingesetzt. Was kann man davon lernen? Viele deutsche Unternehmen der Automobilbranche haben ein WeChat-Konto in China, z. B. Audi, BMW, VW, Continental, Mercedes-Benz. Über das öffentliche We-Chat-Konto von BMW kann man z. B. einen Termin zur Probefahrt vereinbaren. Auch Unternehmen in der Aftersales-Servicebranche sind auf WeChat aktiv, zum Beispiel das deutsche Unternehmen WashTec AG, Weltmarktführer in der Autowaschtechnik. WeChat ist zweifellos der weltweite Technologieführer in Bezug auf das Social-Media-Marketing-Tool. Bisher ist in westlichen Medien im Kontext mit China immer wieder von Produktkopien die Rede. Im Fall von WeChat muss man es diesmal aber umgekehrt sehen: Die im Westen bekannten Chat-Apps WhatsApp und Facebook Messenger haben diesbezüglich noch großen Nachholbedarf. Vor kurzem hat Facebook bekanntgegeben, dass es Business-Features in die App integrieren will. Einige Funktionen von WeChat sollen künftig in diese beiden Apps integriert werden. Deutsche Manager sollten sich vorausschauend darauf vorbereiten. Wenn man z. B. heute über die Entwicklung einer eigenen App für seine Anwendungen nachdenkt, sollte man sich fragen, ob es sinnvoll ist, langfristig große Investition dafür zu tätigen. Die Einbindung von WhatsApp oder Facebook Messenger, denkbar auch WeChat, in die eigenen Geschäftsprozesse ist meiner Meinung nach nur eine Frage der Zeit. Kurzfassung Autohäuser in China setzen den mobilen Instant-Messaging-Dienst WeChat bereits sehr erfolgreich ein: Marketing mit mobilen IM-Diensten liegt voll im Trend. Business-Anwendungen mit WhatsApp oder Facebook Messenger dürften auch hierzulande nur noch eine Frage der Zeit sein. Die deutsche Automobilbranche sollte darauf strategisch vorbereitet sein. Yinyuan Liu ist Maschinenbauingenieur und Betriebswirt für Internationales Management. Als Fachautor hat er u. a. das Buch "Social Media in China - Wie deutsche Unternehmen soziale Medien im chinesischen Markt erfolgreich nutzen können" publiziert. Seit 2007 ist er für die WashTec AG tätig.

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