Startet nun die Aufholjagd im Handel? Showroom-Besuche und Probefahrten sind dank sinkender Corona-Fallzahlen wieder einfacher möglich, die Nachfrage zieht an. Doch das verknappte Angebot, das auch durch Lieferengpässe sowie eine Zurückhaltung der Hersteller bei den Absatzförderungen getrieben ist, lässt Einkauf- wie Verkaufspreise steigen und wirkt dämpfend auf die Rabatte. „Wir haben dadurch keinen Preisverfall wie in anderen Branchen“, erklärt Unternehmensberater Jürgen Freitäger. Die Preise bleiben tendenziell auf konstantem Niveau. Im Neuwagen-Bereich rechnet er außerdem damit, dass die Preise nicht wie bisher üblich rund zwei Prozent jährlich, sondern dieses und nächstes Jahr 2,5 bis 3 Prozent über viele Segmente weiter steigen. Diesen Trend befeuert vor allem der Nachholbedarf bei den Kunden nach der langen Lockdown-Phase.
„Zugleich findet im Retail und Onsite-Handel eine Angleichung der Preise statt“, so der Experte für Preis-Monitoring in der Automotive-Branche. Diese Entwicklungen können laut Freitäger vor allem Autohäuser nutzen, die auf einen Omni-Channel-Vertrieb setzen. Er begründet: „Der Absatzkanal-Mix mit dem Fokus auf Online bedeutet Risikosharing.“ Als Vorbilder verweist er etwa auf die Finanzierungs- und nutzungsorientierte Vertriebsansätze der Autobanken sowie neue Plattformen wie Fintechs. Er ist jedoch nicht der Ansicht, dass im Automobilhandel künftig alles digital läuft und von Playern wie Amazon beherrscht wird. „Dafür ist die Branche viel zu komplex. Veränderung kommt eher durch die Vertriebsstrategien der Hersteller, die Customer Journey zu digitalisieren, und den Trend hin zu großen Händlern, die das Thema „Online-Autohaus“ markenübergreifend spielen können“, resümiert Freitäger.
Alle Einkaufsquellen nutzen
Doch vor dem Absatz kommt der Zukauf. „Im Gebrauchtwagen-Bereich sind manche Segmente komplett ausverkauft“, so Freitäger. Auch Stefan Mellmann, Geschäftsführer des Online-Dienstleisters Cardetektiv.de, sieht beim Zukauf Herausforderungen: Beliebte Modelle, wie hochpreisige und leistungsstarke Sportwagen oder bestimmte Volumenmodelle bis zu einem Preis 15.000 Euro, seien rar. „Wir stellen fest, dass die Gebrauchtwagenpreise generell stark ansteigen. Wenig Angebot trifft auf steigende Nachfrage“, erläutert der IT-Unternehmer. Er geht davon aus, dass sich die Situation wieder beruhigen wird: „Aber das kann noch ein Jahr dauern.“
In der Zwischenzeit werde der Einkauf von Fahrzeugen nicht einfacher. Mellmann betont: „Es heißt daher für Händler, sämtliche Quellen zu nutzen und sich auch neue zu eröffnen, um Fahrzeuge zu vernünftigen Preisen beschaffen zu können. Dann sind gegenwärtig auch Geschäfte mit guten Margen drin.“
Konsolidierungsprognose bis 2030
Welche Entwicklung erwarten die beiden Branchenprofis längerfristig beim Handelsnetz? Freitäger schätzt, dass die Händlerkonzentration wieder an Fahrt gewinnt. Denn der Inhaber der gleichnamigen Unternehmensberatung sieht den Restrukturierungsdruck aus unterschiedlichen Richtungen anhalten – von der Digitalisierung der Customer Journey und dem Vormarsch des Online-Verkaufs sowie des Agenturvertriebs bis hin zur Elektromobilität und dem Ziel der Hersteller, die Vertriebskosten zu senken. „Große Gruppen können hier die benötigten Synergien von Sales und Service einfach besser nutzen“, konstatiert Freitäger. „Corona hat dies noch mal forciert.“
Mit einer größeren Konsolidierung bis 2030 rechnet auch Stefan Mellmann. „Es werden dann vermutlich rund 30 Prozent weniger Autohäuser am Markt sein. Nichtsdestotrotz haben auch kleine und mittlere Händler ihren Platz, wenn sie dort sind, wo der Kunde ist“, sagt Mellmann. „Um diesen zu erreichen, braucht es digitale Tools, Abläufe und gefragte Fahrzeuge.“
Insgesamt 36.580 Kfz-Unternehmen hat der ZDK Ende 2020 (2019: 36.600) gezählt. Davon waren 14.600 fabrikatsgebundene (im Vergleich zu 2019: –430) und 21.980 freie (im Vergleich zu 2019: +410) Betriebe. Die Lage ist damit relativ stabil geblieben. Auf längere Sicht haben sich der Händlerschwund respektive die Konzentration auf großen Gruppen und der Drift hin zu mehr freien Händlern allerdings fortgesetzt. 2010 waren es laut Verbandsdaten noch 38.050 Kfz-Unternehmen (18.100 fabrikatsgebundene und 19.950 freie).