Der Range Rover steht hoch oben auf dem riesigen Geröllhaufen, streckt das linke Hinterrad in die Luft. Vor dem Kühler wartet eine durch lose Steine tückische steile Abfahrt. Der Motor läuft, doch alle Plätze im Auto sind leer, niemand sitzt am Steuer. Dennoch setzt sich das SUV plötzlich im Kriechtempo in Bewegung. Zwei Meter entfernt des Rätsels Lösung. Ein Mann in gelber Warnweste streicht mit seijnen Fingern über ein iPhone. Ein ferngelenkter Range Rover, der schweres Gelände meistert. Ein Beispiel dafür, wie sich der britische Autobauer Jaguar Land Rover die Zukunft vorstellt.
Lokaltermin in Gaydon, 90 Autominuten von London. Jaguar gewährt einen Blick hinter die Kulissen seines gewaltigen Entwicklungszentrums. Strenges Kameraverbot, denn überall kurven dick mit Tarnfolien beklebte Prototypen. Das neue SUV F-Pace von Jaguar zum Beispiel, oder auch das Cabrio vom Range Rover Evoque, die beide auf der IAA im September gezeigt werden. In dieser Umgebung wollen die Engländer jetzt demonstrieren, dass auch sie sich in Sachen selbstfahrendes Auto ihre Gedanken machen. "Ein fahrerloses Auto wird es bei uns aber nicht geben", betont der deutsche Entwicklungschef Wolfgang Epple. "Dazu sind Jaguar- und Land-Rover-Besitzer viel zu begeisterte Autofahrer". Die neuen Systeme sollen vor allem hilfreich den Menschen unterstützen und dessen Fehler und Schwächen erkennen und ausmerzen.
Wie eine Playstation für Erwachsene
Wie eben zum Beispiel beim ferngelenkten Range Rover. "Gerade im schweren, unübersichtlichen Gelände ist es oft kritisch, Hindernisse zu überwinden", erklärt der zuständige Ingenieur Mark Cund. Das soll mit Hilfe des Smartphones künftig leichter werden. Das iPhone des Technikers ist mit dem Auto vernetzt, klinkt sich in die Lenkung, das Gaspedal und die Bremse ein, verfügt auch über die Befehle "vorwärts" und "zurück". Mit dem Daumen dreht Cund am virtuellen Lenkrad auf dem quergestellten Smartphone, zwei Finger betätigen den Schieberegler fürs Bremsen und Beschleunigen. Wie von Geisterhand meistert der Range Rover die Abfahrt, steht dann wieder auf sicherem Terrain. "Gerade das Passieren von Kuppen und das Manövrieren zwischen Felsbrocken wird so erleichtert", berichtet Mark Cund. Der Beifahrer als Einweiser hat ausgedient, künftig soll man sich also auch alleine ins Gelände wagen können. "Irgendwie erinnert das alles an eine Playstation", räumt auch der Ingenieur ein. "Weil es so kinderleicht zu bedienen ist".
Das gleiche System kann natürlich auch zum queren Einparken in enge Lücken genutzt werden. Ähnlich wie beim neuen BMW 7er, der ab Oktober zum Beispiel selbstständig ohne Mensch an Bord in eine Garage fahren kann. Allerdings funktioniert das per Tastendruck am Zündschlüssel. Das BMW-System ist schon bestellbar, bei den Engländern ist es noch eine Idee, die allerdings schon bald verwirklicht werden könnte.
Viel weiterentwickelt dagegen ein weiteres Beispiel aus dem Gaydon-Labor, bei dem ein längst vergessener Begriff aus der Nachkriegszeit wiederbelebt wird. Als "Schlaglochsuchgerät" bezeichnete man in den Fünfziger-Jahren ebenso liebevoll wie spöttisch die Kleinstwagen von Zündapp, Messerschmitt oder Gutbrod. Weil sie eben wegen ihrer Kürze auf den damals so schlechten Straßen allen Dellen oder Vertiefungen hilflos ausgeliefert waren. 60 Jahre später steckt Hightech dahinter. Kameras und Sensoren blicken voraus und entdecken Schlaglöcher, hochstehende Gullideckel und sonstiges Ungemach für Fahrwerk und Reifen. Automatisch wird die Federung in Härte und Höhe angepasst, so dass die Insassen weniger durchgeschüttelt werden. Gleichzeitig wird der Fahrer gewarnt und kann sein Tempo reduzieren.
Schlaglochwarner könnte Kosten einsparen
"In diesem System steckt aber noch mehr Potenzial", sagt Mike Bell, der für die Vernetzung künftiger Jaguar- und Land Rover zuständig ist. Eine Kamera fotografiert das Schlagloch, sendet ein Foto zusammen mit den Koordinaten an die zuständigen Behörden. Auch andere Autofahrer können so gewarnt werden. "Das kann Millionen an Reparatur- und Reifenkosten einsparen", prophezeit Bell. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass möglichst viele Fahrzeuge im Verkehr ständig online sind, was natürlich noch einige Jahre dauern wird.
Für Entwicklungschef Epple sind Fernsteuerung und Schlagloch-Erkennung nur zwei von vielen Beispielen für die aktuelle Forschung des im Vergleich zu Autoriesen wie VW oder Mercedes kleinen Konzerns. Für den früheren Spitzenmanager von BMW ist ein weiterer Schwerpunkt das "Zusammenwachsen" von Mensch und Maschine. "Das wird vor allem an unserem Wellness-Sitz deutlich", sagt er. Durch Sensoren werden Puls und Atmung des Fahrers ständig überprüft. Messpunkte am Lenkrad testen gleichzeitig die Konzentration. Bemerkt der Bordrechner eine körperliche Schwäche, wird der Fahrer gewarnt. Gleichzeitig kann die Wirkung der Assistenzsysteme verstärkt werden. Epple: "Wir können sogar im Falle eines Infarkts oder einem anderen für den Menschen gefährlichen Ereignis Hilfe holen und so vielleicht Leben retten". (sp-x)